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s war die Zeit von Höttges, Max
Lorenz, ‚Pico’ Schütz. Opa nahm
mich eines Tages mit. Flutlichtspiel.
Werder gegen VfL Bochum. Der
Spielstand wurde noch von Hand geändert,
indem man die große Tafel mit der 0 mit der
Tafel, auf der die 1 stand, tauschte. Am Spiel-
ende stand unter HEIM eine 3 und unter
GÄSTE die 0.
Wenig später
kamen die Bayern. Mit ‚Kaiser‘
und ‚Bomber der Nation‘ und Wursthänd-
ler. Opa und ich waren da, und wir siegten!
SVW gegen Bayern 1:0, eine Sensation. Für
mich jedenfalls. Und weil ich noch nicht
wusste, wie Tabellen funktionieren, war ich
mir sicher: Wir sind Meister. Oder wenigs-
tens Tabellenführer. In der Schule war ich
der Held, denn ich konnte haarklein schil-
dern, wie Höttges’ Flanke in den Strafraum
segelte und Görts die ‚Pille‘ versenkte. Nur
ich hatte es gar nicht gesehen, Opa wollte in
der Pause eine Wurst essen, das Stadion war
voll, die Schlange vor dem Wurststand lang,
und das Tor fiel direkt nach der Pause, als
Opa zahlte. (Aber die Fantasie ist sowieso oft
schöner!)
Schön waren auch die Zwillinge
Christa und
Marion, in die ich nacheinander auf der Lan-
gemarck-Grundschule verknallt war. Den
ersten Kuss bekam ich allerdings von Petra
aus dem Schwimmverein, in den es mich
mangels fußballerischen Talents verschlagen
hatte. Es war ein scheuer, kühler Kuss im
regnerischen November im Neustädter Park.
Petra interessierte sich eher für etwas ältere
Jungs. Egal, mir ging es um den Kuss. Und
um Werder. Wir spielten jetzt in rot-weiß,
mit Schlüssel auf der Brust. Und kauften
groß ein (Netzer wäre fast bei uns gelan-
det). Am Ende der Saison sollte die Meister-
schaft stehen. Aber die Laumen, Neumann,
Roentved, Bernard harmonierten nicht, am
Schluss war es Platz zehn, und die Investi-
tion hatte sich nicht gelohnt. Mein Herz hat
geblutet!
Auch wegen Jenny.
Ich war inzwischen auf
dem Gymnasium am Leibnizplatz (die
Gründer des SVW besuchten 1899 dieselbe
Schule!) und Jenny in der Parallelklasse. Sie
machte mir mit ihrem süßen Lächeln Hoff-
nung. Ich schrieb Liebesbrief auf Liebesbrief
umsonst.
Auch an die Spieler.
Vor den Matches klemm-
te ich sie hinter die Scheibenwischer und
hoffte, sie mögen ihnen Kraft geben. Ich
spielte die Werder-Spiele an den Spieltagen
zu Hause vor, baute mir zwei Stühle als Tore
auf und schoss dann gegen unsere Gegner
aus Luft Tor um Tor. Der Fußball-Gott ließ
sich jedoch meist nicht gnädig stimmen. Mir
verzieh er jeden Fehler, und ich gewann
als Werder – jedes Spiel. Die echte Mann-
schaft jedoch verlor immer häufiger. Aus lau-
ter Verzweiflung sagte ich einmal zu Onkel
Kurt aus Wuppertal, wie glücklich ich wäre,
wenn ich er sein könnte. Der Wuppertaler
SV hatte gerade eine gute Zeit. Aber von sei-
nem Club kommt man eben nicht los. Gott
sei Dank! Ich besuchte häufig das Training,
wollte meinen Stars nahe sein. Die über den
Zaun fliegenden Bälle holte ich zurück. Und
wurde dafür von Rudi Assauer gelobt! Ich
war happy.
Glücklicher jedenfalls
als mit Jenny. Da ging
gar nichts. Bei Werder allerdings – obwohl
wir immer noch sangen ‚Deutscher Meister
wird nur der SVW’ – auch nichts mehr. Hött-
ges hörte auf. Und aus seinem Satz („Mit mir
steigt Werder nicht ab“) wurde im Umkehr-
schluss Wahrheit. In der ersten Saison nach
ihm ging es in die zweite Liga. Das war zur
Zeit von Silja (für sie spielte ich ebenfalls nur
in der zweiten Liga).
Und dann kam
die fußballerische Zeitenwen-
de! Auch für mich. Kristina. Was für eine
scharfe Schnitte! Zwei Jahre konnte ich nur
noch an das eine denken. Nicht Fußball! Und
tanzte vor lauter Glück gleich auf mehreren
Hochzeiten. Nur: Was im Fußball Klasse
beweist, führt dich in der Liebe schnell ins
Abseits. Kristina wechselte mich aus. (Krissi,
wenn du diese Zeilen liest: In den anderen
suchte ich immer nur dich!)
Wenigstens hatte ich
jetzt wieder den Kopf
frei fürs Wesentliche. Und es lohnte sich.
Otto, der Große, regierte mittlerweile in
Bremen. Ich begegnete ihm auf Schritt und
Tritt. Mal im ‚Casablanca’ im Ostertorstein-
weg, mal auf dem Freimarkt, wo er mit sei-
nen Jungs unterwegs war. Er schien immer
ansprechbar und sorgte dafür, dass ich mich
noch mehr als 12. Mann fühlte. Die große
Zeit von Werder brach an, und ich gewann
sie doch noch, meine erste Meisterschaft.
Ich sehe es vor mir, als wäre es heute: Im
Bett mit Beata, die ich auf der Hamburger
Schauspielschule kennengelernt hatte und
mit der ich nun am Lübecker Theater enga-
giert war (Norden musste sein!).
Weil es noch nicht
die heute übliche mediale
Rundum-Versorgung gab, wartete ich, trotz
Beata, auf späte Nachrichten. Werder spiel-
te mitten in der Woche. Frankfurt, oder?
Dann: Wahnsinn, die Schale! Und es ging
weiter. Wenig später der Europapokal. Da
spielte ich übrigens gerade ‚Amadeus’ am
Bremer Theater. Ohne Beata. Aber mit Gaby.
Oder Tine. Und Caroline, Jule, auch Tinka,
Mein Leben in
grün-weiß
Als ich sechs
war, liebte ich Judith. Sie wohnte
ein paar Häuser weiter, in der Isar-
straße in der Bremer Neustadt. Es
kam nie zum Äußersten (Kuss).
Mit sieben entdeckte ich meine
Liebe zu Werder.
Foto: imago
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WERDER MAGAZIN 295
O-TON