Grinsen, hochhalten, knipsen...
Es wäre schön, mal wieder was zum Hochhalten zu gewinnen“,
hat Werder-Trainer Thomas Schaaf vor drei Jahren seinen Wunsch
beschrieben, einen Titel zu holen. Die Trophäe haben dann aber auch
ganz andere hochgehalten.
S
eit einiger Zeit gibt es
Grafiken, die genau
zeigen, welche Wege
die Fußballer in 90 Mi-
nuten laufen. So erhält man die
überraschende Erkenntnis, dass
ein Linksverteidiger sich meist
auf der linken Spielfeldseite auf-
hält und dass ein Stürmer oft
im Angriff zu finden ist. Interes-
sant wäre es, diese Technik mal
im Medienraum anzuwenden.
Wenn die Vorurteile stimmen,
gehen die Laufwege der Journa-
listen schnurstracks zum Büfett.
Doch zumindest am 30. Mai
2009
war das ganz anders. Aber
erst, als Klaus-Dieter Fischer
reinkam.
Werder Bremen
hatte gerade das
Pokal-Endspiel gegen Bayer Le-
verkusen mit 1:0 gewonnen und
feierte mit einem großen Ban-
kett im Hotel Maritim in Berlin-
Tiergarten. Das war zwar eine
geschlossene Gesellschaft, aber
in einem Nebensaal hatte Wer-
der auch gut für die Journalisten
und andere Gäste gesorgt. Es gab
Edel-Currywurst und Schinken-
brot, Schweinebraten und ‚Her-
rencreme‘, Bier und Sekt, dazu
spielte eine Drei-Mann-Band
Fahrstuhl-Musik. In dieser At-
mosphäre standen die Reporter
mampfend in Grüppchen zu-
sammen und unterhielten sich
mit den Gästen, die immer mal
wieder aus dem Bankettsaal he-
rauskamen.
Otto Rehhagel
verkündete seine
Weisheiten („Modern spielt, wer
gewinnt“), Willi Lemke freute
sich, wie intensiv Box-Weltmeis-
ter Arthur Abraham im Stadion
mit Werder mitgefiebert hatte,
und Dolmetscher Roland Mar-
tinez plauderte nett über Ailton
und Diego, der in Berlin sein
letztes Spiel für Werder bestrit-
ten hatte.
So vergingen die Stunden.
Weit
nach Mitternacht kam Klaus-Die-
ter Fischer in den Journalisten-
Saal, und plötzlich waren alle
Antennen auf Empfang. Das lag
nicht nur am Geschäftsführer
selbst, sondern an dem, was er –
warum, wusste keiner – im Arm
hielt: Den Original-DFB-Pokal,
wenige Stunden zuvor von den
Bremer Spielern errungen. Bei
aller professionellen Distanz:
Den mal aus der Nähe zu sehen,
mal die Edelsteine funkeln zu se-
hen – das wäre schon schön. Un-
merklich rückten deswegen viele
(
wenn auch nicht alle) Journalis-
ten näher, bis die Menschentrau-
be größer war als bei Rehhagel,
und sprachen mit Fischer. Einer
der Kollegen fragte schließlich,
ob er denn vielleicht auch mal...?
Ja, er durfte:
Fischer gab ihm
den Pokal. Grinsend reckte der
Reporter den Pott in die Höhe.
Einer hatte einen Fotoapparat da-
bei. Ganz schnell wanderte die
Trophäe nun von einem Kollegen
zum anderen. Grinsen, hochhal-
ten, knipsen. Nach drei Minu-
ten war der Spaß vorbei, denn
Fischer wollte zurück in den
Bankettsaal. Mit Pokal.
Aber die Erinnerung,
die fast
sechs Kilo schwere Trophäe in
der Hand gehalten zu haben,
bleibt – und das, ohne einen
Tropfen Schweiß dafür vergossen
haben. Doch wir versprechen:
Autogramme von den Werder-
Spielern holen wir auch weiter-
hin nicht. Aber wenn die mal
wieder die Meisterschale holen
sollten: Wir haben noch Platz im
Fotoalbum.
TORSTEN
MELCHERS
ist 53 Jahre alt. Nach seinem
Politologie-Studium in Münster
volontierte er 1989 bei der Nord-
see-Zeitung in Bremerhaven,
arbeitete danach zwei Jahre bei
der Kreiszeitung Wesermarsch
und von 1993 an als Lokalredak-
teur der NZ. Im November 2004
wechselte er in die Sportredak-
tion, wo er seither über Werder
Bremen schreibt.
Feiertag
2009
sicherte
sich der SV Werder in
Berlin den DFB-Pokal.
Foto: picture-alliance
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WERDER-ERINNERUNGEN