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auf den vorgelegten Röntgenaufnahmen des beschuldigten

Röntgenologen sogleich einen pathologischen Befund am

4. Brustwirbel. Eine weitere Klärung erfolgte durch Compu-

ter- und Kernspintomographie. Die intraspinale Raumfor-

derung in Höhe des Brustwirbelkörpers 3/4 wurde operativ

behandelt. Es verblieb ein inkomplettes Querschnittsyn-

drom. Die feingewebliche Untersuchung des entnommenen

Materials ergab die Diagnose „Knochentuberkulose“. Post-

operativ wurde mit einer tuberkulostatischen Kombinati-

onstherapie und wegen der bestehenden Paraplegie mit Re-

habilitationsmaßnahmen begonnen.

Gutachtliche Beurteilung

In Übereinstimmung mit dem Gutachten eines radiologi-

schen Fachsachverständigen stellte die Gutachterkommission

gegenüber den beschuldigten Ärzten vorwerfbare Behand-

lungsfehler fest, da sie die Patientin nicht mit der gebotenen

Sorgfalt untersucht und behandelt hätten. Die Vorwürfe im

Einzelnen:

Chirurgische Behandlungsfehler

Dem Chirurgen ist vorzuwerfen, die nach einem im Okto-

ber erlittenen Sturz am 13. Oktober gefertigten Röntgenauf-

nahmen der rechten Thoraxhälfte fehlerhaft beurteilt zu

haben. Das führte dazu, dass weiterführende diagnostische

Maßnahmen unterlassen wurden, die zwingend geboten

waren,umdie Ursache der Thoraxbeschwerden zu ermitteln.

Der Pathologe hatte schon in seinem vorhergehenden Be-

richt vom 7. September den Hinweis gegeben, dass – auf

Grund der abszedierenden, granulierenden und granuloma-

tösen Entzündung – auch beim Fehlen säurefester Stäbchen

in der Biopsie aus dem Halslymphknoten eine Tuberkulose

nicht ausgeschlossen werden könne.

Der Chirurg hatte zwar am 22. September eine weitergehen-

de Diagnostik empfohlen, die nach seinemVermerk von der

Patientin abgelehnt worden sei. Es kann hier offen bleiben,

ob die Patientin nicht doch zugestimmt hätte, wenn ihr der

gebotene Hinweis gegeben worden wäre, dass hier auch an

die Möglichkeit einer Knochentuberkulose zu denken sei.

Jedenfalls hätte der Chirurg die am 13. November gefertigten

Röntgenaufnahmen mit größerer Sorgfalt beurteilen müs-

sen. Die sagittale und schräge Aufnahme der rechten Tho-

raxhälfte zeigte nämlich eine eindeutige Höhenminderung

und keilförmige Deformierung des 4. Brustwirbelkörpers

imVergleich zu dem darüber und darunter liegenden Brust-

wirbelkörper. In Verbindung mit dem erlittenen Sturz kam

in erster Linie eine Kompressionsfraktur in Betracht.Ander-

weitige knöcherneVerletzungsfolgen sind an den abgebilde-

ten Skelettabschnitten nicht zu erkennen. Der klare Befund

einer keilförmigen Wirbelveränderung wurde von dem

Chirurgen wegen mangelnder Sorgfalt nicht zur Kenntnis

genommen, so dass eine weitere Diagnostik unterblieb.

Radiologische Beurteilungsfehler

Dem Radiologen ist vorzuwerfen, die am 13. November und

16. Januar vorgenommenen Thoraxaufnahmen fehlerhaft

beurteilt zu haben. Die sagittale Aufnahme vom 13. Novem-

ber zeigt oberhalb des Aortenbogens eine nicht auszuschlie-

ßende weichteildichte Verschattung. Nach der seitlichen

Aufnahme vom 13. November liegt eine erhebliche keilförmi-

ge Deformierung und Sinterung des 4. Brustwirbelkörpers

mit teilweisem Strukturverlust vor; eine sichere Beteiligung

der angrenzenden Zwischenwirbelscheibenräume ist noch

nicht zu erkennen.

Auf diese deutlich erkennbarenVeränderungen am 4. Brust-

wirbelkörper und die mutmaßliche linke paravertebrale

Weichteilveränderung hat der Radiologe in seinem Befund-

bericht nicht hingewiesen. Das hatte zur Folge, dass drin-

gend erforderliche weitere Untersuchungen schon zu die-

sem Zeitpunkt unterblieben.

Grob fehlerhaft war dann die Beurteilung der Thoraxauf-

nahmen vom 16. Januar. Nach der seitlichen Aufnahme ist

im Vergleich zum Röntgenbild vom 13. November eine er-

hebliche Befundverschlechterung eingetreten. Die Struktu-

ren des bereits damals veränderten Wirbelkörpers sind na-

hezu ausgelöscht; der darüber gelegene Wirbelkörper ist

ebenfalls deutlich verändert. Hinzu kommen eine mehr

weichteildichte Verschattung prävertebral in Höhe der bei-

den geschädigten Wirbel und eine auf der sagittalen Auf-

nahme oberhalb des Aortenbogens erkennbare, nach beiden

Seiten hin konvexbogige weichteildichte Verschattung.

Die Brustwirbelsäulenaufnahmen bestätigen den ausge-

dehnten Wirbelsäulenprozess am 4. und insbesondere am

5. Brustwirbelkörper mit prä- und paravertebralerWeichteil-

infiltration im Sinne eines so genannten Senkungsabszes-

ses. Der Radiologe hätte schon am 13. November und dann

besonders eindringlich am 16. Januar auf die ossären Verän-

derungen mit Weichteilbeteiligung hinweisen müssen. Bei

entsprechender weiterführender Diagnostik bereits nach

dem 13. November wäre eine Klärung des Prozesses im obe-

ren Brustwirbelkörperbereich möglich gewesen. Die dann

einsetzende spezifische Therapie hätte die erst am 22. Fe-

bruar beginnende Paraparese vermeiden lassen. Dies wäre

möglicherweise auch noch nach dem 16. Januar erreicht

worden, wenn dem Radiologen nicht die weitere nunmehr

schwerwiegende Fehldiagnose unterlaufen wäre.

Behandlungsfehler des Internisten

Dem Internisten ist vorzuwerfen, dass er ungeachtet einer

deutlich erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit und per-

manenter umschriebener Rückenschmerzen der Patientin

seine am 13. November beginnende – erfolglose –Behandlung

auf intramuskuläre Injektionen beschränkte und jegliche dif-

ferenzialdiagnostische Überlegungen unterließ. Dabei er-

gab sich aus dem ihm bekannten Bericht des Pathologen vom

7. September, dass eine Tuberkulose nicht auszuschließen sei.

Fehlerhaft war auch seine Bewertung der Röntgenaufnah-

men vom 13. November und 16. Januar. Er durfte sich nicht

ohne eine klärende Rücksprache mit dem Radiologen auf

dessen fehlerhafte Beurteilungen blind verlassen. Zumin-

dest die grobe Fehldiagnose vom 16. Januar hätte Anlass zu

einer Kontaktaufnahme geben müssen, die vermutlich zu ei-

ner nochmaligen und nunmehr sorgfältigeren Beurteilung

und damit zugleich zur weiteren Diagnostik geführt hätte.

Anders als der Chirurg bei der Rücksprache am 22. Januar

Gutachtliche Entscheidungen

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Versäumnisse in der Differenzialdiagnostik bei Thorax- und Rückenbeschwerden