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die Komplikation eines iatrogenen Pneumothorax trotz al-

ler Vorsicht und Sorgfalt nicht immer sicher vermeidbar sei.

Dagegen bejahte die Kommission die Frage der Kausalität.

Der beschuldigte Arzt hatte im Kommissionsverfahren vor-

tragen lassen, er habe bei den Injektionen eine Kanüle „18“

benutzt, die nur eine Länge von 23 mm habe, so dass eine

solche Kanüle die Verletzung nicht habe verursachen kön-

nen. Die Kommission hielt dem entgegen, es sei nicht ausge-

schlossen, dass bei der Patientin die Distanz zwischen Rü-

ckenoberfläche und Pleura pulmonalis im Thoraxbereich

durchaus geringer sein könnte. Der enge zeitliche Zusam-

menhang zwischen Infiltration mit Hustenreiz, einem typi-

schen Symptom für eine Pleuraläsion, und der unstrittigen

Feststellung eines Pneumothorax spreche jedenfalls für ei-

nen iatrogenen artefiziellen Pneumothorax.

Die Tatsache, dass sich die Komplikation erst nach einigen

Stunden bemerkbar gemacht habe, bedeute keinen Wider-

spruch. Ein iatrogener Pneumothorax könne sich – ab-

hängig vom Ausmaß der Pleuraverletzung – langsam ent-

wickeln und brauche unter Umständen bis zu 24 Stunden,

ehe er zu klinischen Symptomen führe wie Hustenreiz,

Brustschmerzen, Atemnot und Beklemmungsgefühlen.

Wenn diese Anzeichen schon während oder unmittelbar

nach der Infiltration aufträten – wie bei der Patientin in

Form eines akuten Hustenanfalls –, dann sei eine radiolo-

gische Kontrolle angezeigt, um die Komplikation und deren

Ausmaß festzustellen.

Falls ein Pneumothorax nicht sofort erkennbar sei, müsste

die Röntgenkontrolle bei weiter bestehendemVerdacht wie-

derholt werden. Wenn die Lunge zu mehr als etwa 20 Pro-

zent kollabiert oder die Atmung stärker eingeschränkt sei,

müsse eine Drainage angelegt werden. Zu beanstanden sei

daher, dass der beschuldigte Arzt nach dem Hustenanfall

die Lunge nicht gezielt radiologisch hat untersuchen und

kontrollieren lassen. Diese vorwerfbare Unterlassung habe

dazu geführt, dass der Pneumothorax nicht schon Stunden

früher festgestellt wurde, sondern erst in der Klinik nach

Auftreten stärkerer Schmerzen und Atemnot.

Fehlerhaft sei es weiter, die Patientin vor der Entlassung aus

der Praxis nicht über die Symptome eines Pneumothorax

(zum Beispiel Atemnot, Brustschmerz, Husten) aufgeklärt

zu haben mit dem Hinweis, sich beim Auftreten solcher An-

zeichen sogleich in ärztliche Behandlung zu begeben. Zu

einer solchen so genannten Sicherungsaufklärung bestand

zwingender Anlass, da schon in der Praxis der Hustenreiz in

Erscheinung getreten war.

Die festgestellten Behandlungsfehler haben, abgesehen von

den nicht unerheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigun-

gen (Atemnot, Schmerzen), glücklicherweise zu keinen wei-

tergehenden gesundheitlichen Schäden geführt.

Behandlungsfehler eines Allgemeinmediziners

Der zweite Fall betrifft eine 37-jährige Patientin. Sie suchte

den beschuldigten Arzt am 10. August wegen Rücken- und

Nackenschmerzen auf. Der ärztliche Untersuchungsbefund

lautete: „Schmerzhafte Muskelverspannungen des Nacken

und der Trapezmuskulatur.“ Eine spätere, am 18. Septem-

ber durchgeführte Magnet-Resonanz-Tomographie zeigte

eine diskrete Bandscheibenvorwölbung zwischen dem drit-

ten und vierten sowie zwischen dem fünften und sechsten

Halswirbel und stützte damit den ärztlichen Befund.

Der Arzt verordnete zunächst ein Muskelrelaxanz und phy-

sikalische Therapie. Bereits am 14. August erschien die Pa-

tientin wieder in der Praxis und klagte über dieselben Be-

schwerden. Der Arzt schlug nach erneuter Untersuchung,

die dasselbe Ergebnis erbrachte wie am 10. August, der Pa-

tientin Infiltrationen der Nackenmuskulatur mit einem Lo-

kalanästhetikum (Carbostesin

®

0,5%) vor. Der Arzt räumte

im Kommissionsverfahren ein, die Patientin zwar über die

Art der Therapie und das Medikament unterrichtet, nicht je-

doch über mögliche Nebenwirkungen und die Risiken auf-

geklärt zu haben. Die Patientin habe gleichwohl eingewil-

ligt.

Die Infiltration wurde mit einer 40 mm langen Nadel der

Größe I Sterican durchgeführt. Der Arzt behauptet, die Na-

del nur bis zur Hälfte der Länge vorgeschoben zu haben. Zu-

erst habe er links paravertebral der Halswirbelsäule injiziert

und anschließend rechts. Bei einer erneuten Punktion auf

der linken Seite, bei der er „etwas tiefer paravertebral“ ver-

sucht habe zu injizieren, habe er Blut aspiriert und danach

die Behandlung abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt – so die

Darstellung des Arztes – habe die Patientin über eine

Schwäche des linken Armes und Schwindel geklagt, sie ha-

be ihren Kopf nicht mehr so gut halten können. Anschlie-

ßend sei die Patientin bewusstlos geworden, so dass er Maß-

nahmen der Herz-Kreislauf-Wiederbelebung eingeleitet

habe. Gleichzeitig sei ein Notarzt alarmiert worden. Schon

vor dessen Eintreffen habe die Patientin das Bewusstsein

wiedererlangt. In Anwesenheit des Notarztes sei es kurzfris-

tig erneut zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand gekommen.

Nach der notärztlichen Versorgung im Rettungswagen wur-

de die Patientin in einer Abteilung für Anästhesie und Inten-

sivmedizin stationär aufgenommen.ImErstbefund des Anäs-

thesisten wird eine schlaffe Lähmung aller Extremitäten so-

wie einAusfall der Sensibilität ab dem dritten Halswirbel ab-

wärts beschrieben. Wegen des aufgetretenen Herz-, Kreis-

lauf- und Atemstillstandes vermutet er eine zeitgleiche In-

jektion in das Gefäßsystem. Bei den Untersuchungen durch

einen Neurologen etwa eineinhalb Stunden später waren

die Lähmungen wieder geschwunden, so dass die Patientin

bereits am 18. August „in gebessertem Zustand“ entlassen

werden konnte.

Nach Feststellungen des nachbehandelnden niedergelasse-

nen Neurologen bestanden noch Folgeerscheinungen – ve-

getative Labilität, Angstzustände, eine allgemeine Unruhe

mit depressiven Verstimmungen –, die behandelt werden

mussten.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission konnte auch in diesem Fall die

Frage der Indikation der Infiltrationsanästhesie nicht ab-

schließend klären, da Feststellungen zur Art und Weise der

nur vier Tage währenden konservativen Therapie nicht

mehr sicher zu treffen waren. Jedenfalls war die Pflicht zur

Aufklärung über die Risiken der vorgeschlagenen ärztlichen

Maßnahme verletzt, so dass die Einwilligung der Patientin

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Gutachtliche Entscheidungen

Vermeidbare Fehler bei therapeutischen Infiltrationen