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Das ambulante Operieren nimmt in der medizinischen Pra-

xis einen immer breiteren Raum ein. Dabei ist es selbstver-

ständlich, dass der Patient auch insoweit einenAnspruch auf

eine Therapie hat, die dem derzeitigen allgemeinen wissen-

schaftlichen Kenntnisstand und dem „fachlichen Standard“

entspricht. Von praktischer Bedeutung sind neben der Indi-

kationsprüfung und der gebotenen sorgfältigen Planung der

fachgerechten Durchführung des operativen Eingriffs die

jeweils notwendigen präoperativen Untersuchungen und

Feststellungen, die Dokumentation der ärztlichen Behand-

lung sowie die umfassende Aufklärung über den Eingriff

und seine Risiken. Zu prüfen ist insbesondere auch, ob das

ambulante Vorgehen anstelle einer stationären Behandlung

dem chirurgischen Standard entspricht und ob eine ärztli-

che Assistenz geboten ist.

Die Gutachterkommission hatte vor kurzem den nachfol-

gend geschilderten Sachverhalt zu beurteilen.

Der Sachverhalt

Die 76-jährige Patientin konsultierte am 7.Mai den beschul-

digten niedergelassenen Chirurgen. Er diagnostizierte nach

klinischer und radiologischer Untersuchung ein Außen-

meniskusganglion des linken Kniegelenkes bei ausgeprägter

Gonarthrose beiderseits, links stärker als rechts. Zwei Jahre

zuvor hatte der Arzt bereits mit einer Gelenkpunktion und

einer intraartikulären Lipotalon-Injektion behandelt, ohne

dass sich ein therapeutischer Erfolg zeigte.

Der Arzt punktierte das Ganglion erneut, empfahl aber zu-

gleich wegen der Rezidivgefahr eine operative Entfernung

und als noch bessere Alternative eine Kniegelenktotalendo-

prothese. Mit einer solchen Gelenkersatzoperation erklärte

sich die Patientin noch nicht einverstanden. In die vorge-

schlagene ambulante Operation des Meniskusganglions am

linken Kniegelenk willigte sie nach entsprechender Aufklä-

rung am 6. Juni ein. Die ASS-Medikation der Patientin, über

die der Arzt unterrichtet war, wurde nicht abgesetzt.

Die ambulante Operation

Der Eingriff wurde am 13. Juni vom beschuldigten Chirur-

gen ohne ärztliche Assistenz vorgenommen. Er erfolgte in

Allgemeinanästhesie und Oberschenkelblutleere. Der Ope-

rateur hat nach seinem Bericht das ganze Ganglion bis zur

äußeren Gelenkkapsel freigelegt und an der Basis der Kap-

sel abgetragen. Der aus dem Kniegelenk durch den äußeren

Gelenkspalt hervortretende geschädigte Außenmeniskus

wurde ebenfalls reseziert. Danach erfolgten der Verschluss

des Faszienschlitzes, eine Redondrainage, Hautnähte und

der Verband. Von einer Gelenkkapselnaht nahm der Opera-

teur Abstand, weil, wie er später berichtete, die operativen

Verhältnisse unübersichtlich und schwierig gewesen seien.

Postoperative Behandlung

Die histo-pathologische Untersuchung des Operationsprä-

parates bestätigte die Diagnose des Arztes, der die postope-

rative Behandlung vom 14. bis 17. Juni bei täglichen Haus-

besuchen durchführte. Er berichtet, nach Entfernung der

Redondrainage habe er zwar bei den Verbandswechseln ei-

ne blutig-seröse Sekretion aus der Drainagestelle, jedoch

keine akute Infektion des Kniegelenkes festgestellt.Von einer

postoperativen laborchemischen Untersuchung der Entzün-

dungsparameter sah er ab. Bei seinem letzten Hausbesuch

am 17. Juni gewann er, wie er am 18. Juni dem Hausarzt be-

richtete, den Eindruck, dass die Patientin, die sich zudem

wenig kooperativ gezeigt habe, durch die Familie nicht aus-

reichend betreut werde. Er wies die Patientin deshalb „we-

gen nicht gewährleisteter häuslicher Betreuung“ in die

nachbehandelnde Unfallchirurgische Klinik ein. Wie er be-

richtet, seien auch am 17. Juni entzündliche Reaktionen

nicht erkennbar gewesen.

Stationäre Behandlung

Bei der Aufnahme am 17. Juni wird ein massiv geschwolle-

nes, nicht wesentlich gerötetes, sehr schmerzhaftes linkes

Kniegelenk mit reizloser äußerer Wunde festgestellt. Aus

derWunde und der Redondrainagestelle entleerte sich altes

Hämatom; die Kniegelenkbeweglichkeit links war aufgeho-

ben. Sonographisch fand sich reichlich Flüssigkeit im Knie-

gelenk links. Darüber hinaus bestand eine Tachyarrhythmie

bei Vorhofflimmern. Die Entzündungsparameter waren

deutlich erhöht: Leukozytose 15,9 tsd/nl, Blutkörperchen-

senkungsgeschwindigkeit (BSG) 110/130 mm n. W., CRP-

Wert 407 mg/l.

In der Klinik wurde eine sofortige notfallmäßige Revisions-

operation in Allgemeinanästhesie veranlasst. Nach dem

Operationsbericht entleerte sich auf Druck Eiter bei liegen-

den Fäden. Nach Eröffnung der Arthrotomiewunde wird ein

ausgedehntes subkutan gelegenes Hämatom mit Nekrosen-

bildungen des Fettgewebes und des Kapselbandapparates

beschrieben,wobei derApparat teils fehlte, teils zerfetzt war.

Weiter heißt es: laterale Knieinstabilität und massive Eiter-

entleerung aus dem Gelenk. Synovektomie, mehrfache Spü-

lungen und Einlegen einer Saug-Spül-Drainage. Intraopera-

tiv mehrfache Abstrichentnahme. Die Abschlussdiagnose

lautete: „Kniegelenkempyem bei schwerer Sepsis“.

Die histo-pathologische Untersuchung der Operations-

präparate bestätigte die Diagnose eines Empyem mit einer

floriden und nekrotisierenden bakteriell besiedelten peri-

artikulären Weichteilentzündung und eine geringfloride

Synovialitis mit herdförmig älteren Blutungsresten. Die

mikrobiologische Untersuchung der Kniegelenkabstriche

und eine Blutkulturuntersuchung ergaben Erreger der Grup-

pe „multisensibler Staphylococcus aureus“ mit Empfind-

lichkeit gegenüber Clindamycin.

Gutachtliche Entscheidungen

93

Ambulante Kniegelenkoperation

Prä- und postoperative Versäumnisse