Verfassungsma¨ßigkeit der zumutbaren Eigenbelastung
nach § 33 EStG?
u
DB0526886
In der Literatur wird in letzter Zeit die
Auffassung vertreten, dass die Ku¨rzung
der als außergewo¨hnliche Belastungen
(
agB) i. S. des § 33 EStG abzugsfa¨higen
Krankheitskosten um die zumutbare
Eigenbelastung (§ 33 Abs. 3 EStG) der
aktuellen Rspr. des BVerfG zur Abzugs-
fa¨higkeit der Beitra¨ge zur Kranken- und
Pflegeversicherung im Rahmen einer Ba-
sisvorsorge widerspreche (so z. B.
Kar-
renbrock/Petrak
,
DStR 2011 S. 552). Un-
ter Hinweis auf diese Vero¨ffentlichungen
in der Fachliteratur waren auch Empfeh-
lungen ausgesprochen worden, entspre-
chende Kosten geltend zu machen und
die Verfahren durch Einspru¨che offen-
zuhalten. Obwohl der BFH bereits mehr-
fach entschieden hat, dass gegen den An-
satz einer zumutbaren Eigenbelastung
keine verfassungsrechtlichen Bedenken
bestehen, mussten sich verschiedene FG
wieder mit dieser Rechtsfrage befassen.
Da alle Verfahren aus Sicht der Steuer-
zahler negativ ausgegangen sind, ko¨nnte
es sein, dass der BFH erneut entscheiden
muss, wenn die anha¨ngigen NZB (VI B
116/12
und VI B 150/12) erfolgreich
sind.
FG Niedersachsen vom 7. 12. 2011 –
2
K 19/11, DB0469839 (rkr.)
Sachverhalt:
Der Kla¨ger und seine Ehe-
frau machten in ihrer ESt-Erkla¨rung
Krankheitskosten i. H. von 7.451 € als
agB geltend, welche sich bei der Veranla-
gung zur ESt nicht auswirkten, da sie die
zumutbare Belastung gem. § 33 Abs. 3
EStG nicht u¨berstiegen. Gegen die An-
rechnung der zumutbaren Belastung
wandte sich der Kla¨ger im Einspruchsver-
fahren mit der Begru¨ndung, die Vor-
schrift des § 33 Abs. 3 EStG sei wegen
Verstoßes gegen das Leistungsfa¨higkeits-
prinzip als verfassungswidrig anzusehen.
Eine Entlastung ergebe sich na¨mlich in
keinem Fall; bei niedrigen Einkommen
fielen per se keine Steuern an, bei ho¨heren
Einkommen verhindere die Zumutbar-
keitsschranke eine steuerliche Entlastung.
Er begehrte zumindest den ha¨lftigen An-
satz der geltend gemachten Aufwendun-
gen. Im Klageverfahren verweist der Kla¨-
ger darauf, dass die Vorschrift des § 33
Abs. 3 EStG so gestaltet sei, dass in na-
hezu keinem denkbaren Fall eine steuerli-
che Entlastung eintrete. Bei dieser Sach-
lage seien weder der Grundsatz der
Gleichma¨ßigkeit der Besteuerung noch
der Grundsatz der Besteuerung nach dem
Leistungsfa¨higkeitsprinzip gewahrt. Im
Fall des Kla¨gers sei zu beru¨cksichtigen,
dass das Einkommen durch steuerliche
Abgaben von nahezu 40% des zu versteu-
ernden Einkommens belastet werde sowie
daru¨ber hinaus durch erhebliche Kran-
kenkosten (einschließlich Versicherun-
gen), die durch die gesetzliche Kranken-
versicherung nicht ausgeglichen wu¨rden.
Mit dem Leistungsfa¨higkeitsprinzip habe
dies nichts zu tun.
Entscheidung:
Das FG ha¨lt auch nach
Ergehen der Entscheidung des BVerfG
zur Abzugsfa¨higkeit von Krankenver-
sicherungsbeitra¨gen an der bisherigen
BFH-Rspr. fest, wonach die Regelung
verfassungsrechtlich unbedenklich sei, so-
weit dem Stpfl. ein verfu¨gbares Einkom-
men verbleibt, das u¨ber dem Regelsatz fu¨r
das Existenzminimum liegt. Aus der Ent-
scheidung des BVerfG zur Abzugsfa¨hig-
keit der Kranken- und Pflegeversiche-
rungsbeitra¨ge ergibt sich nach Auffassung
des FG gerade nicht, dass Krankheitskos-
ten als Kosten der Existenzsicherung ge-
nerell ohne Abzug einer zumutbaren
Eigenbelastung abgezogen werden mu¨ss-
ten.
FG Rheinland-Pfalz vom 6. 9. 2012 –
4
K 1970/10, DB0526916 (NZB: VI B
150/12)
Sachverhalt:
Die Kla¨ger sind Eheleute
und wurden im Streitjahr zusammen zur
ESt veranlagt. In ihrer ESt-Erkla¨rung
machten die Kla¨ger Krankheitskosten
i. H. von 1.098 € als agB geltend, welche
das FA ohne weitere Pru¨fung dem Grun-
de nach als abzugsfa¨hig anerkannte. We-
gen der zumutbaren Belastung i. H. von
38.787
€ ergab sich jedoch kein Abzug als
agB. Den Einspruch wies das FA mit der
Begru¨ndung zuru¨ck, dass die Kla¨ger ent-
sprechend ihrer steuerlichen Leistungs-
fa¨higkeit die Belastung selbst tragen
mu¨ssten. Dies sei verfassungsgema¨ß, so-
weit dem Stpfl. ein verfu¨gbares Einkom-
men verbleibe, das u¨ber dem Regelsatz fu¨r
das Existenzminimum liege (BFH-Urteil
vom 13. 12. 2005 – X R 61/01, BStBl. II
2008
S. 16 = DB 2006 S. 704, m. w. N.).
Der gegenteiligen, von der ho¨chstrichter-
lichen Rspr. abweichenden Auffassung
ko¨nne nicht gefolgt werden. Das FA sei
als Organ der Exekutive nach dem Prin-
zip der Gewaltenteilung an die Gesetze
gehalten (Art. 20 Abs. 3 GG).
Entscheidung:
Das FG vertritt die
Auffassung, dass die Ku¨rzung der Auf-
wendungen um die zumutbare Eigenbe-
lastung nicht verfassungswidrig sei. Das
BVerfG habe in seiner Entscheidung vom
13. 2. 2008 (2
BvL 1/06, DB 2008
S. 789) darauf abgestellt, dass die konkre-
ten Versicherungsbeitra¨ge zur Erlangung
eines sozialhilfegleichen Versorgungs-
niveaus nach Art und Umfang erforder-
lich sein mu¨ssten. Fu¨r die Beru¨cksichti-
gung von Krankheitskosten bedeute dies,
dass sie als Kosten der Existenzsicherung
nicht generell abgezogen werden mu¨ssten.
Etwas anderes ko¨nne nur fu¨r medizi-
nische Leistungen gelten, die ein Sozial-
hilfeempfa¨nger kostenfrei erhalten wu¨rde.
Da den Kla¨gern ein Einkommen verblei-
be, das deutlich weit u¨ber dem Regelsatz
fu¨r das Existenzminimum liege, sei eine
existenzielle Betroffenheit der Kla¨ger
nicht zu erkennen.
FG Hamburg vom 14. 6. 2012 – 1 K
28/12,
DB0527368 (NZB: VI B
116/12)
Sachverhalt:
Die Kla¨ger leisteten im Jahr
2010
Praxisgebu¨hren und Zuzahlungen
zu Medikamenten i. H. von 172 €, welche
sie als agB geltend machten. Da die zu-
mutbare Eigenbelastung nach § 33 Abs. 3
EStG deutlich ho¨her war, wirkten sich
die Aufwendungen steuerlich nicht aus.
Im Einspruchs- und Klageverfahren be-
antragen die Kla¨ger die Beru¨cksichtigung
der Aufwendungen in voller Ho¨he, da die
Zuzahlungen zu der Krankenversorgung
geho¨rten, die aus verfassungsrechtlichen
Gru¨nden freizustellen sei. Die Zuzahlun-
gen dienten einer Versorgung auf Sozial-
hilfeniveau, was dazu fu¨hre, dass sich die-
se Betra¨ge in voller Ho¨he steuermindernd
auswirken mu¨ssten.
Entscheidung:
Nach Auffassung des
FG geho¨ren die geltend gemachten Auf-
wendungen zu den Krankheitskosten, die
grds. als agB zu beru¨cksichtigen sind. Das
FG ist jedoch nicht davon u¨berzeugt, dass
die Beru¨cksichtigung einer zumutbaren
Eigenbelastung bei Aufwendungen fu¨r
die Praxisgebu¨hr oder fu¨r Zuzahlungen
verfassungswidrig sei. Auch der Hinweis
der Kla¨ger, dass nach der Entscheidung
des BVerfG vom 13. 2. 2008 (a.a.O.) zur
Abzugsfa¨higkeit der Kranken- und Pfle-
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Kurz kommentiert
M 9