Im Februar 2007 setzte die Kommission
gegen die Otis-, die Kone-, die Schindler-
und die ThyssenKrupp-Gruppe wegen
Beteiligung an Kartellen auf dem Markt
des Verkaufs, des Einbaus, der Wartung
und der Modernisierung von Aufzu¨gen
und Fahrtreppen in Belgien, Deutsch-
land, Luxemburg und den Niederlanden
Geldbußen in einer Gesamtho¨he von u¨ber
992
Mio. € fest.
Die betroffenen Unternehmen erhoben
hiergegen Nichtigkeitsklagen beim Ge-
richt der EU. Das Gericht wies die Kla-
gen von Otis, Kone und Schindler mit
Urteilen vom 13. 7. 2011 ab. Die gegen
die Unternehmen der ThyssenKrupp-
Gruppe festgesetzten Geldbußen setzte es
hingegen herab.
Mehrere Unternehmen dieser vier Grup-
pen legten gegen die Urteile des Gerichts
beim Gerichtshof Rechtsmittel ein, um
ihre Aufhebung zu erreichen.
Parallel dazu reichte die Kommission im
Juni 2008 – als Vertreterin der EU (da-
mals noch Europa¨ische Gemeinschaft) –
bei der Rechtbank van koophandel te
Brussel (Belgien) eine Klage ein, mit der
sie von Otis, Kone, Schindler und Thys-
senKrupp die Zahlung eines Betrages von
7.061.688
€ verlangte. Die Kommission
machte geltend, dass der EU aufgrund
der Vereinbarung, an der diese Unterneh-
men beteiligt gewesen seien, in Belgien
und Luxemburg ein finanzieller Schaden
entstanden sei. Die EU hatte na¨mlich
mehrere o¨ffentliche Auftra¨ge fu¨r den Ein-
bau, die Wartung und die Erneuerung
von Aufzu¨gen und Fahrtreppen in ver-
schiedenen Geba¨uden europa¨ischer Orga-
ne und Einrichtungen mit Sitz in diesen
beiden La¨ndern vergeben, deren Preis in-
folge der von der Kommission fu¨r rechts-
widrig erkla¨rten Vereinbarung u¨ber dem
Marktpreis gelegen habe.
Vor diesem Hintergrund hat die Recht-
bank van koophandel te Brussel dem Ge-
richtshof mehrere Fragen zur Vorabent-
scheidung vorgelegt. Erstens mo¨chte sie
wissen, ob die Kommission im konkreten
Kontext dieser Rechtssache zur Vertre-
tung der Union vor einem nationalen Ge-
richt befugt ist.
Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass fu¨r
die Vertretung der Union der Vertrag zur
Gru¨ndung der Europa¨ischen Gemein-
schaft (EG) maßgeblich ist, da der
Rechtsstreit vor dem Inkrafttreten des
Vertrags u¨ber die Arbeitsweise der Euro-
pa¨ischen Union (AEUV) anha¨ngig ge-
macht worden ist. Somit ist die Kommis-
sion befugt, die Gemeinschaft vor dem
nationalen Gericht zu vertreten, ohne dass
sie dafu¨r einer spezifischen Vollmacht be-
darf.
Zweitens mo¨chte das nationale Gericht
wissen, ob die Charta der Grundrechte
der Europa¨ischen Union die Kommission
daran hindert, als Vertreterin der Union
auf Ersatz des Schadens zu klagen, der
der Union aufgrund eines wettbewerbs-
widrigen Verhaltens entstanden ist, fu¨r
das in einer Entscheidung dieses Organs
die Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht
festgestellt wurde.
Der Gerichtshof weist zuna¨chst darauf
hin, dass jedermann Ersatz des ihm ent-
standenen Schadens verlangen kann,
wenn zwischen dem Schaden und einem
verbotenen Kartell oder Verhalten ein
Kausalzusammenhang besteht, und dass
dieses Recht somit auch der Union zu-
steht.
Bei der Ausu¨bung dieses Rechts mu¨ssen
jedoch die Grundrechte der Parteien be-
achtet werden, wie sie insbesondere in der
Charta gewa¨hrleistet sind. Was insbeson-
dere das Recht auf effektiven gericht-
lichen Rechtsschutz angeht, weist der Ge-
richtshof darauf hin, dass dieses Recht
mehrere Elemente umfasst, zu denen u. a.
das Recht auf Zugang zu einem Gericht
und der Grundsatz der Waffengleichheit
geho¨ren.
Zum Recht auf Zugang zu einem Gericht
hebt der Gerichtshof hervor, dass der
Grundsatz, wonach die nationalen Ge-
richte durch die Feststellung eines rechts-
widrigen Verhaltens in einer Entschei-
dung der Kommission gebunden sind,
nicht bedeutet, dass die Parteien kein
Recht auf Zugang zu einem Gericht ha¨t-
ten. Das Unionsrecht sieht na¨mlich fu¨r
Kommissionsentscheidungen im Bereich
des Wettbewerbs ein System der gericht-
lichen Kontrolle vor, das sa¨mtliche nach
der Grundrechtecharta erforderlichen Ga-
rantien bietet.
Die nationalen Gerichte sind zwar durch
die Feststellungen der Kommission in Be-
zug auf das Vorliegen eines wettbewerbs-
widrigen Verhaltens gebunden, doch sind
allein sie dafu¨r zusta¨ndig, das Vorliegen
eines Schadens und eines unmittelbaren
Kausalzusammenhangs zwischen diesem
Verhalten und dem entstandenen Scha-
den zu beurteilen. Auch wenn die Kom-
mission in ihrer Entscheidung die ge-
nauen Auswirkungen der Zuwiderhand-
lung bestimmt hat, bleibt es Sache der na-
tionalen Gerichte, im Einzelfall jeweils
den Schaden desjenigen, der eine Scha-
densersatzklage erhoben hat, zu bestim-
men. Die Kommission ist daher nicht
Richterin in eigener Sache.
Zum Grundsatz der Waffengleichheit
schließlich weist der Gerichtshof darauf
hin, dass dieser Grundsatz der Wahrung
des Gleichgewichts zwischen den Pro-
zessparteien dient, indem er gewa¨hrleistet,
dass jedes Dokument, das einem Gericht
vorgelegt wird, von jedem am Verfahren
Beteiligten kontrolliert und infrage ge-
stellt werden kann. Im vorliegenden Fall
wurden aber die Informationen, die die
Kommission im Kartellverfahren gesam-
melt hatte – und die die beklagten Unter-
nehmen nicht zu kennen behaupten –,
dem nationalen Gericht von der Kommis-
sion gar nicht vorgelegt. Jedenfalls verbie-
tet das Unionsrecht der Kommission, bei
einer wettbewerbsrechtlichen Unter-
suchung erlangte Informationen zu einem
anderen als dem Untersuchungszweck zu
verwerten.
Aufgrund dieser Erwa¨gungen gelangt der
Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die
Charta die Kommission nicht daran hin-
dert, im Namen der Union vor einem na-
tionalen Gericht auf Ersatz des Schadens
zu klagen, der der Union durch ein uni-
onsrechtswidriges Kartell oder Verhalten
entstanden ist. (PM des EuGH vom
6. 11. 2012)
u
DB0538177
BGH: Richtlinienkonforme Auslegung
des § 439 Abs. 1 BGB (betr. Aus- und
Einbaukosten bei Ersatzlieferung)
gilt nicht fu¨r Kaufvertra¨ge zwischen
Unternehmern
Der BGH hat entschieden, dass die
aufgrund des EuGH-Urteils vom 16. 6.
2011 (
C-65/09, C-87/09 – Gebr. Weber
GmbH/Ju¨rgen Wittmer; Ingrid Putz/
Medianess Electronics GmbH) gebotene
richtlinienkonforme Auslegung des § 439
Abs. 1 Alt. 2 BGB („Lieferung einer
mangelfreien Sache“) auf den Verbrauchs-
gu¨terkaufvertrag (b2c) beschra¨nkt ist und
nicht fu¨r Kaufvertra¨ge zwischen Unter-
nehmern (b2b) oder zwischen Verbrau-
chern (c2c) gilt.
Die im Sportplatzbau ta¨tige Kla¨gerin
kaufte bei der Beklagten EPDM-Granu-
lat eines polnischen Produzenten zur
Herstellung von Kunstrasenpla¨tzen in
zwei Gemeinden. Nach dem Einbau
durch die Kla¨gerin stellte sich heraus, dass
das von der Beklagten gelieferte Granulat
mangelhaft war. Die Beklagte lieferte kos-
tenlos Ersatzgranulat, lehnte es aber ab,
das mangelhafte Granulat auszubauen
und das Ersatzgranulat einzubauen. Da-
raufhin ließ die Kla¨gerin diese Arbeiten
durch ein anderes Unternehmen durch-
fu¨hren.
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Nachrichten
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