Er begrenzt – wie eingangs ausgefu¨hrt – den Grundsatz der
Vollsta¨ndigkeit aus einfachen Wirtschaftlichkeitsu¨berlegun-
gen: Zwischen den Kosten der Informationsbeschaffung und
dem daraus resultierenden Nutzen muss ein angemessenes
Verha¨ltnis bestehen.
Er modifiziert die Grundsa¨tze der Bilanzwahrheit und -klar-
heit, indem er zula¨sst, dass unwesentliche Einflussgro¨ßen bei
der Bilanzierung und Bewertung unbeachtet bleiben ko¨nnen
7
.
3.
Der Wesentlichkeitsgedanke in einigen Vorschriften zur
Erstellung des Jahresabschlusses und des Lageberichts
Auch wenn der Grundsatz der Wesentlichkeit bisher noch nicht
als enummerierter GoB im HGB aufgenommen wurde, la¨sst das
HGB an mehreren Stellen erkennen, dass es in bestimmten Fa¨l-
len aus unterschiedlichen Gru¨nden eine Abweichung von all-
gemeinen Grundsa¨tzen, insbesondere dem der Richtigkeit, er-
laubt. Die u. E. wichtigsten bei der Erstellung von Bilanz und
GuV sind nachfolgend aufgefu¨hrt:
a) § 240 Abs. 3 HGB: Fu¨r Vermo¨gensgegensta¨nde des Sach-
anlagevermo¨gens sowie fu¨r Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe ist
eine Festbewertung zula¨ssig, sofern u. a. ihr Gesamtwert fu¨r
das Unternehmen von
nachrangiger Bedeutung
ist und ihr Be-
stand in seiner Gro¨ße, seinem Wert und seiner Zusammen-
setzung nur
geringen Vera¨nderungen
unterliegt. Eine ko¨rper-
liche Bestandsaufnahme ist dabei
in der Regel
alle drei Jahre
erforderlich.
b) § 240 Abs. 4 HGB: „
Gleichartige
Vermo¨gensgegensta¨nde des
Vorratsvermo¨gens sowie andere
gleichartige oder anna¨hernd
gleichwertige
bewegliche Vermo¨gensgegensta¨nde und Schul-
den ko¨nnen jeweils zu einer Gruppe zusammengefasst und
mit dem gewogenen Durchschnittswert angesetzt werden“.
c) § 241 Abs. 1 HGB zur sog. Stichprobeninventur: „Bei der
Aufstellung des Inventars darf der Bestand der Vermo¨gens-
gegensta¨nde nach Art, Menge und Wert auch mit Hilfe aner-
kannter
mathematisch-statistischer Methoden aufgrund von
Stichproben
ermittelt werden“.
d) § 256 HGB zu den Bewertungsvereinfachungsverfahren: „So-
weit es den Grundsa¨tzen ordnungsma¨ßiger Buchfu¨hrung ent-
spricht, kann fu¨r den Wertansatz
gleichartiger
Vermo¨gens-
gegensta¨nde des Vorratsvermo¨gens unterstellt werden, dass
die zuerst oder dass die zuletzt angeschafften oder hergestell-
ten Vermo¨gensgegensta¨nde zuerst verbraucht oder vera¨ußert
worden sind“.
e) § 256a HGB zur Wa¨hrungsumrechnung: „Auf fremde Wa¨h-
rung lautende Vermo¨gensgegensta¨nde und Verbindlichkeiten
sind zum Devisenkassamittelkurs am Abschlussstichtag um-
zurechnen.
Bei einer Restlaufzeit von einem Jahr oder weniger
sind § 253 Abs. 1 Satz 1 und § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2
nicht anzuwenden
“.
Auch bei der Aufstellung des Anhangs und des Lageberichts
finden sich vielfach Hinweise auf den Grundsatz der Wesent-
lichkeit. Dabei hat dort der Grundsatz oftmals eine einschra¨n-
kende Wirkung: Es soll nicht zur U¨ berinformation mit Unwe-
sentlichem kommen, durch die es erschwert wu¨rde, das Wesent-
liche zu erkennen
8
.
Auch
Leffson
zufolge ist Wesentlichkeit
(
materiality) sowohl eine Maximal- wie auch eine Minimalfor-
derung
9
.
Auf die „Wesentlichkeit“ wird z. B. im Zusammenhang mit
folgenden Anhangangaben Bezug genommen:
a) § 268 Abs. 4 Satz 2 HGB: „Werden unter dem Posten ,Sons-
tige Vermo¨gensgegensta¨nde’ Betra¨ge fu¨r Vermo¨gensgegen-
sta¨nde ausgewiesen, die erst nach dem Abschlussstichtag
rechtlich entstehen, so mu¨ssen Betra¨ge, die einen
gro¨ßeren
Umfang
haben, im Anhang erla¨utert werden“. Gleiches gilt
gem. § 268 Abs. 5 Satz 3 HGB fu¨r entsprechende Verbind-
lichkeiten.
b) § 284 Abs. 2 Nr. 4 HGB verlangt eine Anhangangabe, wenn
bei Anwendung einer Bewertungsmethode nach § 240 Abs. 4
HGB (Gewogener Durchschnitt) oder nach § 256 Satz 1
(
Fifo bzw. Lifo) die Bewertung im Vergleich zu einer Bewer-
tung auf der Grundlage des letzten vor dem Abschlussstichtag
bekannten Bo¨rsenkurses oder Marktpreises einen
erheblichen
Unterschied
aufweist.
c) § 285 Nr. 3 HGB zufolge mu¨ssen Angaben gemacht werden
u¨ber Art und Zweck sowie Risiken und Vorteile von nicht in
der Bilanz enthaltenen Gescha¨ften,
soweit dies fu¨ r die Beurtei-
lung der Finanzlage notwendig ist
.
Eine a¨hnliche Formulie-
rung findet sich in Nr. 3a.
d) § 285 Nr. 12 HGB: „Ru¨ckstellungen, die in der Bilanz unter
dem Posten ,Sonstige Ru¨ckstellungen’ nicht gesondert aus-
gewiesen werden, sind zu erla¨utern, wenn sie einen
nicht uner-
heblichen Umfang
haben“.
e) § 285 Nr. 21 HGB erfordert eine Anhangangabe u¨ber zu-
mindest die nicht zu marktu¨blichen Bedingungen zustande
gekommenen Gescha¨fte mit nahe stehenden Personen,
soweit
sie wesentlich sind
.
Gerade der Lagebericht ist gefa¨hrdet fu¨r eine U¨ berinformation,
bei der dann der Leser das Problem hat, aus einer Vielzahl von
Informationen die wesentlichen Inhalte herauszufiltern. Dem
Gesetzgeber ist diese Gefahr bewusst, fordert er doch an vielen
Stellen in § 289 HGB eine Beschra¨nkung auf das Wesentliche;
von dieser Vielzahl sind nachfolgend drei Aspekte aufgefu¨hrt:
a) § 289 Abs. 1 Satz 3 HGB: „In die Analyse sind die fu¨r die
Gescha¨ftsta¨tigkeit
bedeutsamsten finanziellen Leistungsindika-
toren
einzubeziehen [...]“.
b) § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB: „Ferner ist im Lagebericht die vo-
raussichtliche Entwicklung mit ihren
wesentlichen Chancen
und Risiken
zu beurteilen und zu erla¨utern; [...]“.
c) § 289 Abs. 2 Nr. 1 HGB: „Der Lagebericht soll auch einge-
hen auf:
1.
Vorga¨nge von besonderer Bedeutung
,
die nach dem Schluss
des Gescha¨ftsjahrs eingetreten sind;“.
Ein Blick in die Lageberichterstattung großer, DAX30-notierter
Unternehmen zeigt aber das genaue Gegenteil. Die Umfa¨nge
der Lageberichte nehmen sta¨ndig zu. Dadurch wird Wesentli-
ches mit Unwesentlichem u¨berdeckt.
4.
Wesentlichkeit unter Beru¨cksichtigung von Qualita¨t und
Quantita¨t
Zur Kla¨rung, ob eine Information wesentlich ist, sind nach
Leff-
son
10
zwei Fragen zu pru¨fen: Ob eine Information
1.
ihrer Art nach fu¨r bestimmte Informationsberechtigte grds.
wesentlich ist und/oder
2.
wegen ihrer Gro¨ße oder sonstigen Bedeutung als wesentlich
oder unwesentlich einzustufen ist.
7
Vgl.
Winnefeld
,
a.a.O. (Fn. 1), Kapitel D, Rdn. 397.
8
Vgl.
Pittroff/Schmidt/Siegel
,
in: Bo¨cking et al., Beck’sches Handbuch der
Rechnungslegung, Loseblatt, Stand 05/2012, Kapitel B 161 Tz. 51.
9
Vgl.
Leffson
,
a.a.O. (Fn. 1), S. 182, m. w. N.
10
Vgl.
Leffson
,
a.a.O. (Fn. 1), S. 183.
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Betriebswirtschaft
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