Man wird allerdings bei solchen Prozentangaben nach der
Zielsetzung des jeweiligen Rechenwerks fragen mu¨ssen. Wenn
das Rechenwerk lediglich dazu dient, entscheidungsrelevante In-
formationen an potenzielle Investoren zu liefern (wie bei den
IFRS), werden die Grenzwerte ho¨her angesetzt werden ko¨nnen
als bei der Erstellung des Jahresabschlusses, der heterogenen
Zwecken dient, insbesondere auch eine Zahlungsbemessungs-
funktion hat.
Leffson
fu¨hrt zur Bestimmung eines Schwellenwerts aus:
„
Wu¨rde man zu einer Konvention u¨ber eine quantitative Mate-
riality-Grenze kommen – was fraglos nu¨tzlich wa¨re –, so du¨rfte
sie nicht ho¨her liegen als
etwa 2,5% des durchschnittlichen Peri-
odenerfolgs der letzten drei Jahre
,
denn +/- 2,5% bewirkt, dass
Vera¨nderungen des Periodenergebnisses bis zu 5% unbeachtet
bleiben. Eine solche Festlegung sollte daher durch die Regel er-
ga¨nzt werden, dass diese Grenze unterschritten werden muss,
wenn andernfalls eine irrefu¨hrende Information gegeben wird“
21
.
Wird das
Periodenergebnis
als Grundlage fu¨r die Bestimmung,
was wesentlich oder unwesentlich ist, gewa¨hlt, so ist zu beden-
ken,
–
dass die Bezugsgro¨ße und damit die Wesentlichkeitsgrenze
von Gescha¨ftsjahr zu Gescha¨ftsjahr schwankt und
–
dass die Berechnung bei einem ausgeglichenen Ergebnis ins
Leere la¨uft.
In diesen Fa¨llen ist es dann sinnvoll, alternative Bemessungs-
grundlagen heranzuziehen wie die
Bilanzsumme
und den jeweils
betroffenen Bilanzposten
.
Bei der
Bilanzsumme
wird man einen
Anteil von 1%
als unwesentlich ansehen du¨rfen.
6.
Wesentlichkeitsgrundsatz und Gla¨ubigerschutz
Fu¨hrt die Anwendung des Wesentlichkeitsgrundsatzes zu
–
einer Verringerung der Aktiva oder
–
einer Erho¨hung der Passiva,
so ist dies grds. im Einklang mit dem Vorsichtsprinzip. Danach
soll sich der Kaufmann im Zweifel a¨rmer darstellen, als er in
Wirklichkeit ist.
Im umgekehrten Fall (Erho¨hung Aktiva oder Verminderung
Passiva) sind deutlich engere Grenzen gesetzt. Nach
Adler/Du¨ -
ring/Schmaltz
22
findet der Grundsatz der Wesentlichkeit seine
Grenze dort, wo seine Anwendung den Gla¨ubigerschutz tangie-
ren und zu einem zu hohen Gewinnausweis fu¨hren wu¨rde, mit
der Folge, dass zu hohe Gewinnausschu¨ttungen die Gla¨ubiger-
anspru¨che gefa¨hrden ko¨nnten.
7.
Zusammenfassendes Pru¨fschema zur Wesentlichkeit
Aus den vorgenannten U¨ berlegungen wird das in Abb. 3 auf
S. 2534 dargestellte Schema entwickelt, dass als Grundlage fu¨r
die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze dienen soll.
8.
Beispiele zur Verdeutlichung der Wesentlichkeitsgrenzen
>
Beispiel 5: Aufbewahrungsru¨ckstellung
Ein Einzelunternehmer (e. K.) mit einem durchschnittlichen
Periodenerfolg der letzten drei Jahre von 140.000 € hat die
Aufbewahrungsru¨ckstellungen nach handels- und steuer-
rechtlichen Vorschriften berechnet. Nach den Vorschriften
des HGB ergibt sich bei nur geringfu¨gigen Preissteigerungen,
aber Abzinsungspflicht ein um 1.800 € niedrigerer Ru¨ckstel-
lungsbetrag als steuerlich (keine Abzinsung, vgl. § 6 Abs. 1
Nr. 3a Buchst e EStG).
Kann aus Gru¨nden der Einheitlichkeit fu¨r Handels- und
Steuerbilanz derselbe Betrag angesetzt werden? Wenn ja, wel-
cher?
Lo¨sung
:
Die ersten drei Pru¨fschritte sind nicht einschla¨gig und des-
halb mit nein zu beantworten. Die relative Wesentlichkeits-
grenze von 2,5% des durchschnittlichen Periodenerfolgs liegt
bei 3.500 € und damit deutlich u¨ber dem Unterschiedsbetrag
der beiden Ru¨ckstellungen nach Handels- und Steuerrecht
von 1.800 €, weshalb auf den Ansatz unterschiedlicher Ru¨ck-
stellungen verzichtet werden kann. Unter Anwendung des
Vorsichtsprinzips ist die ho¨here Ru¨ckstellung (also die steuer-
liche) in beiden Bilanzen anzusetzen.
Hinweis:
Wenn sich die Verha¨ltnisse in den Folgejahren
nicht grundlegend vera¨ndern, kann von vornherein auf die
Berechnung nach den HGB-Normen verzichtet werden und
der nach ertragsteuerlichen Vorschriften berechnete Wert di-
rekt auch in der Handelsbilanz angesetzt werden. Diese Vor-
gehensweise ist in den Erstellungsunterlagen zu dokumentie-
ren.
>
Beispiel 6: Investitionsabzugsbetrag
Ein Einzelunternehmer (e. K.) mit einem durchschnittlichen
Periodenerfolg der letzten drei Jahre i. H. von 100.000 €
nimmt fu¨r eine Anschaffung im Folgejahr von 20.000 € steu-
erlich einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 EStG
in Anspruch.
(1)
Kann aus Wesentlichkeitsaspekten in der Handelsbilanz
im Jahr der Inanspruchnahme des Investitionsabzugs-
betrags auf die Bildung einer passiven latenten Steuer ver-
zichtet werden?
(2)
Kann in den Folgejahren bei einer Nutzungsdauer von
fu¨nf Jahren aus Gru¨nden der Einheitlichkeit in der Han-
delsbilanz der Steuerbilanzwert u¨bernommen werden,
wenn der Kaufmann die Sonderabschreibung nach § 7g
Abs. 5 EStG von 20% im Anschaffungsjahr in Anspruch
nimmt?
Lo¨sung
:
(1)
Der Steuersatz zur Ermittlung der passiven latenten Steuer
erfasst beim Kaufmann nur die GewSt
23
,
d. h. 14%
(
= Steuermesszahl 3,5%
H
Hebesatz 400%). Demnach be-
tra¨gt die passive latente Steuer in diesem Fall 1.120 €
(
= 20.000 €
H
40%
H
14%).
Der 1. Pru¨fschritt der Art nach ist u. E. nicht von grund-
sa¨tzlicher Bedeutsamkeit, so dass er wie die Pru¨fschritte 2.
und 3. verneint werden kann. Die relative Wesentlich-
keitsgrenze von 2,5% des durchschnittlichen Perioden-
erfolgs liegt bei 2.500 € und ist damit u¨ber doppelt so groß
wie der passive latente Steuerbetrag von 1.120 €, weshalb
auf den Ansatz einer passiven latenten Steuer aus Wesent-
lichkeitsgru¨nden verzichtet werden kann.
(2)
Gema¨ß § 7g Abs. 2 und 5 EStG kommt es im ersten
Folgejahr in der Steuerbilanz zu einer Ku¨rzung der An-
schaffungskosten um 8.000 € (= 20.000 €
H
40%),
einer
Sonderabschreibung von 2.400 € (= 12.000 €
H
20%)
sowie
einer linearen Abschreibung in gleicher Ho¨he und dem-
nach zu einem Restbuchwert auf den 31. 12. des Folge-
21
Vgl.
Leffson
,
a.a.O. (Fn. 1), S. 185.
22
Adler/Du¨ring/Schmaltz
,
a.a.O. (Fn. 5), § 252 Rdn. 128.
23
Vgl. hierzu IDW RS HFA 7 n. F., Stand: 6. 2. 2012, Tz. 19.
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Betriebswirtschaft
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