RAin/FAStR Susanne Thonemann-Micker, LL.M., Du¨sseldorf
BFH ha¨lt ErbSt fu¨r verfassungswidrig!
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Eine Auseinandersetzung mit dem Vorlagebeschluss vom 27. 9. 2012 (II R 9/11, DB 2012
S. 2381) und Konsequenzen fu¨r die Gestaltungsberatung –
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DB0529309
I. Einleitung
Wie der BFH bereits in seinem Beschluss vom 5. 10. 2011
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an-
gedeutet hat, ha¨lt er das ErbStG in der im Jahr 2009 geltenden
Fassung
insgesamt
fu¨r verfassungswidrig. Insoweit stellt er nicht
isoliert auf einzelne Normen ab, namentlich die Begu¨nstigung
fu¨r Betriebsvermo¨gen gem. §§ 13a und 13b ErbStG, sondern
wa¨hlt den Einstieg u¨ber die als „Klammervorschrift“ bezeichnete
Tarifvorschrift des § 19 ErbStG. In der Anwendung einheitli-
cher Tarife bei gleichzeitiger Differenzierung der Belastung des
Stpfl. auf der Ebene der Ermittlung des steuerpflichtigen Er-
werbs kann es nach Auffassung des BFH zu einem gleichheits-
und damit verfassungswidrigen Steuertarif kommen. Dies ist der
Fall, wenn entsprechend gleichheits- und damit verfassungswid-
rige Vorschriften auf Ebene der Bewertung oder der Steuerbe-
freiung die Anwendung des jeweiligen Steuertarifs begru¨nden.
Die maßgeblichen, zur Verfassungswidrigkeit fu¨hrenden Befrei-
ungsvorschriften sind § 13a i. V. mit § 13b ErbStG. Da diese je-
doch im Vorlagefall keine unmittelbare Anwendung finden, weil
kein Betriebsvermo¨gen o. A¨ . u¨bertragen wurde, konnte der BFH
als verfassungsrechtlichen Pru¨fungsmaßstab nur die Vorschrift
des § 19 ErbStG heranziehen.
Zum einen a¨ußert der BFH grundlegende Zweifel an der
Verfassungskonformita¨t im Hinblick auf die strukturelle Grund-
ausrichtung der §§ 13a und 13b ErbStG, die eine U¨ berprivile-
gierung von Betriebsvermo¨gen, land- und forstwirtschaftlichem
Vermo¨gen sowie Anteilen an KapGes. mit sich bringt, zumin-
dest soweit die Vergu¨nstigung nicht von der Lohnsumme und
dem damit verbundenen Erhalt von Arbeitspla¨tzen im Zusam-
menhang steht
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.
Zum anderen stu¨tzt er seine Annahme der Ver-
fassungswidrigkeit auf einzelne Gestaltungsmo¨glichkeiten, die
§§ 13a und 13b ErbStG ero¨ffnen und die eine gleichheitswid-
rige Besteuerung hervorrufen.
Da der BFH bei der verfassungsrechtlichen Pru¨fung einen tat-
bestandlich im Jahr 2009 verwirklichten Fall pru¨ft, aber in weiten
Teilen auf das ErbStG abstellt, wie es nach dem 31. 12. 2009 in
Kraft getreten ist
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,
ergibt sich aus § 37 Abs. 3 Satz 1 ErbStG.
Der vorliegende Beitrag bescha¨ftigt sich im Wesentlichen mit
den im Beschluss aufgegriffenen mo¨glichen Gestaltungsstruktu-
ren, die nach Auffassung des BFH zu einer Gleichheitswidrig-
keit fu¨hren, und der Auswirkung der Entscheidung auf die Ge-
staltungsberatung. Dabei werden A¨ nderungsvorschla¨ge zum
ErbStG, wie sie urspru¨nglich dem Entwurf des JStG 2013
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zu
entnehmen waren, einbezogen.
II. Verfassungswidrigkeit des gesamten ErbStG
Da der BFH die Verfassungswidrigkeit an die Tarifvorschrift
des § 19 ErbStG anknu¨pft
5
,
bezo¨ge sich eine Unvereinbarkeits-
erkla¨rung des BVerfG auf das gesamte ErbSt-Recht. Ob das
BVerfG diese Anknu¨pfung tatsa¨chlich fu¨r angemessen erachtet
und mithin eine Entscheidungserheblichkeit im vorgelegten Fall
annimmt, bleibt abzuwarten. Eine Annahme wa¨re konsequent,
da sich die Ungleichbehandlung gerade anhand solcher Gestal-
tungen zeigt, bei denen kein begu¨nstigtes Betriebsvermo¨gen
u¨bertragen wird. Andernfalls wu¨rde es nur zu einer Vorlage
kommen, bei der fu¨r den zugrunde liegenden Sachverhalt die
unmittelbare Anwendung der §§ 13a und 13b ErbStG maßgeb-
lich ist, wenn eine entsprechende Begu¨nstigung seitens der
Finanzverwaltung verweigert wu¨rde. Dies wa¨re aber eher selten
der Fall, da der BFH einen sehr weiten Anwendungsbereich der
§§ 13a und 13b ErbStG vorgibt und weder eine Versagung der
Begu¨nstigung unter Anwendung des § 42 AO noch aufgrund
verfassungskonformer Auslegung zula¨sst. Etwas anderes wu¨rde
gelten, wenn die Finanzverwaltung den im Ausgangsfall darge-
legten Anwendungsbereich der §§ 13a und 13b ErbStG enger
anwenden wu¨rde. Dass ein solches Verhalten durchaus vor-
kommt, zeigt sich an der Vielzahl der Nichtanwendungserlasse.
Vorliegend ko¨nnte ein Einfallstor insbesondere die vom BFH
offengelassene Anwendung der Lohnsummenregelung bei Hol-
dinggesellschaften mit 20 und weniger Mitarbeitern sein, die
vom FA verneint und von der Literatur bejaht wird
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.
Ob sich das BVerfG jedoch inhaltlich den Ausfu¨hrungen des
BFH anschließen wird, wird wesentlich davon abha¨ngen, ob das
BVerfG die Regelungen des ErbStG innerhalb der Grenzen der
dem Gesetzgeber zustehenden Typisierungsbefugnis sieht.
Wa¨hrend die aufgegriffene „unverha¨ltnisma¨ßig kurze“ Behal-
tensfrist
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von fu¨nf bzw. sieben Jahren nach hier vertretener Auf-
fassung noch innerhalb der Typisierungsbefugnis des Gesetz-
gebers liegt, kann dies fu¨r die Bescha¨ftigtengrenze von 20 fu¨r die
Anwendung der Lohnsummenregelung nicht gelten, da diese
nur im Ausnahmefall zur Anwendung gelangt und somit zu
einer nicht mehr zielgerichteten Verschonung fu¨hrt.
Ka¨me es durch das BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des ge-
samten ErbSt-Rechts, steht es dem BVerfG frei, die Nichtigkeit
(
ru¨ckwirkend) zu erkla¨ren oder aber, wie bei der Entscheidung
vom 7. 11. 2006
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,
eine Unvereinbarkeitserkla¨rung auszuspre-
chen, die Anwendung des bisherigen Rechts u¨bergangsweise an-
zuordnen und eine Frist zu setzen, bis zu der eine Neuregelung
eingefu¨hrt sein muss.
Gestaltungshinweis:
Da nicht auszuschließen ist, dass das
BVerfG die Nichtigkeit ru¨ckwirkend feststellt, sollte darauf geach-
tet werden, dass Schenkungsvertra¨ge einen Widerrufs- bzw. Ru¨ck-
Susanne Thonemann-Micker
ist Partnerin und Gescha¨ftsfu¨hrerin
der u¨bero¨rtlichen Kanzlei S&P SO¨ FFING Rechtsanwaltsgesellschaft
mbH mit Bu¨ros in Du¨sseldorf, Mu¨nchen und Zu¨rich.
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BFH-Beschluss vom 5. 10. 2011 – II R 9/11, DB 2011 S. 2581. Durch diesen
Beschluss zog der BFH das BMF dem Verfahren bei.
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BFH-Beschluss vom 27. 9. 2012 – II R 9/11, DB 2012 S. 2381, unter B. II. 4.
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Insbesondere betrugen im Jahr 2009 die Behaltensfristen sieben und zehn
Jahre und die Lohnsummen 650% und 1.000%.
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BT-Drucks. 17/10604, DB0491934, S. 37 ff., BR-Drucks. 302/12 (Beschluss),
DB0483199, S. 110 ff. Die A¨ nderungen des ErbStG werden letztlich nicht im
JStG 2013 umgesetzt.
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BFH vom 27. 9. 2012, a.a.O. (Fn. 2), unter B. II. 2.
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Vgl. BFH vom 27. 9. 2012, a.a.O. (Fn. 2), unter B. II. 7. a), m. N. fu¨r die Auf-
fassung der Finanzverwaltung und der Literatur.
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BFH vom 27. 9. 2012, a.a.O. (Fn. 2), unter B. II. 5. b).
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Vgl. BVerfG-Beschluss vom 7. 11. 2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007 S. 192
= DB 2007 S. 320, unter D. II.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012