Umsatzsteuer/Insolvenzrecht
Keine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen,
wenn aufgrund eines erst wa¨hrend des Insolvenz-
verfahrens eingetretenen Tatbestands USt zu be-
richtigen ist
USt-Berichtigung – Aufrechnungsverbot
InsO § 38, § 96 Abs. 1 Nr. 1; UStG § 17
Fu¨r die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist entschei-
dend, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des
§ 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird. Nicht entscheidend ist,
wann die zu berichtigende Steuerforderung begru¨ndet worden
ist (A¨ nderung der Rspr.).
Ohne Bedeutung ist – ebenso wie der Zeitpunkt der Abgabe
einer Steueranmeldung oder des Erlasses eines Steuerbescheids,
in dem der Berichtigungsfall erfasst wird –, ob der Voranmel-
dungs- oder Besteuerungszeitraum erst wa¨hrend des Insolvenz-
verfahrens abla¨uft.
BFH-Urteil vom 25. 7. 2012 – VII R 29/11
u
DB0538174
Redaktionelle Hinweise:
l
Bearbeitete Urteilslangfassung online: DB0538172;
l
vgl. auch BFH-Urteil vom 25. 7. 2012 – VII R 44/10 mit Anm.
Kahlert
,
DB0538173.
Erledigung einer Aufrechnungserkla¨rung durch
Mo¨glichkeit der Saldierung nach § 16 UStG
Vorsteuerbetra¨ge – Insolvenzverfahren – USt-Vergu¨tungs-
anspru¨che – Abrechnungsbescheid – Aufrechnung – Jahres-
steuer – Saldierung
UStG § 16 Abs. 2; AO § 124 Abs. 2; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1; FGO
§ 100 Abs. 1 Satz 4
Ko¨nnen wegen Ero¨ffnung eines Insolvenzverfahrens positive
USt-Betra¨ge und negative Berichtigungsbetra¨ge (§ 16 Abs. 2
UStG) im Rahmen einer Steuerfestsetzung durch Bescheid
des FA nicht mehr saldiert werden, erledigt sich der Streit
um die Wirksamkeit einer hinsichtlich dieser Betra¨ge vom
FA abgegebenen Aufrechnungserkla¨rung, sobald die Steuer
fu¨r das mit Insolvenzero¨ffnung endende (Rumpf-)Steuerjahr
berechnet werden kann und nicht ausnahmsweise von der
Aufrechnungserkla¨rung als solcher fortbestehende Rechts-
wirkungen ausgehen, welche die Rechte des Schuldners be-
ru¨hren.
Da ein u¨ber die Wirksamkeit der Aufrechnung ergangener
Abrechnungsbescheid i. d. R. die Feststellung entha¨lt, dass
aufgrund der Berichtigung entstehende Vergu¨tungs- oder Er-
stattungsbetra¨ge nicht auszukehren sind, bleibt eine Klage
gegen den Abrechnungsbescheid zula¨ssig. Ist der Berichti-
gungstatbestand vor Ero¨ffnung des Insolvenzverfahrens ein-
getreten, ist der Abrechnungsbescheid aufgrund des § 16
UStG ungeachtet des § 96 Abs. 1 InsO als rechtma¨ßig zu be-
sta¨tigen.
BFH-Urteil vom 25. 7. 2012 – VII R 44/10
u
DB0538173
Der Kla¨ger ist Verwalter in dem u¨ber das Vermo¨gen der
M-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) am 1. 1. 2002 ero¨ff-
neten Insolvenzverfahren. Die Ero¨ffnung des Verfahrens war
von der Schuldnerin am 29. 8. 2001 beantragt und aufgrund die-
ses Antrags mit Beschluss vom 31. 8. 2001 des Kla¨gers zum vor-
la¨ufigen Insolvenzverwalter bestellt worden.
Die Schuldnerin hatte 2001 USt-Voranmeldungen abgegeben,
die aufgrund hoher Vorsteuern in allen Monaten zu Vergu¨tungs-
betra¨gen fu¨hrten. Mit Bescheid vom 6. 11. 2001 hat das FA ge-
gen die Schuldnerin fu¨r August 2001 USt von ... DM (entspricht
...
€) festgesetzt. Das FA stu¨tzte sich dabei darauf, dass die in
den Anmeldungen Januar – August 2001 beru¨cksichtigten Vor-
steuern aufgrund des Antrags auf Ero¨ffnung des Insolvenzver-
fahrens gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen sei-
en, und zwar im Scha¨tzungsweg durch einen prozentualen Ab-
schlag. In einer Umbuchungsmitteilung vom Dezember 2001
verrechnete es diese USt-Forderung mit den von der Schuldnerin
fu¨r September – November 2001 angemeldeten Vergu¨tungsfor-
derungen und durch Umbuchungsmitteilung vom Februar 2002
mit dem Vergu¨tungsanspruch Dezember 2001. Als der Kla¨ger
hiergegen Einwendungen erhob, erließ das FA den angefochte-
nen Abrechnungsbescheid vom 19. 4. 2005, in dem es feststellte,
dass die vorbezeichneten Vergu¨tungsanspru¨che erloschen seien.
Einspruch und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg. Das FG
ha¨lt in seinem Urteil vom 29. 4. 2010
1
die allgemeinen Aufrech-
nungsvoraussetzungen fu¨r gegeben und die Aufrechnung auch
nicht fu¨r nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 der InsO unzula¨ssig.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Kla¨gers, mit der
geltend gemacht wird, entgegen der Ansicht des FG habe das
FA die Aufrechnungsmo¨glichkeit durch eine anfechtbare
Rechtshandlung, na¨mlich seinen Bescheid vom 6. 11. 2001 er-
langt. Es komme nicht darauf an, ob die Uneinbringlichkeit des
vereinbarten Entgelts oder die Korrektur der umsatzsteuerlichen
Bemessungsgrundlage anfechtbare Rechtshandlungen seien.
Denn die Anfechtung richte sich gegen die Herstellung der Auf-
rechnungslage und diese entstehe durch den Bescheid des FA.
A¨ nderungsbescheide schrieben sich nicht automatisch. Der An-
lass fu¨r die anfechtbare Rechtshandlung und mit welcher subjek-
tiven Zielrichtung diese vorgenommen werde, seien nach § 130
InsO nicht von Bedeutung. Da gem. § 140 InsO fu¨r die Pru¨fung
der Anfechtungsvoraussetzung auf den Zeitpunkt der letzten
Handlung abzustellen sei, welche die anzufechtende Deckung
verursacht habe, sei auch ohne Bedeutung, ob die betreffenden
Forderungen gegen die Schuldnerin bereits im August ausfall-
gefa¨hrdet waren.
AUS DEN GRU¨ NDEN
Revision ist unbegru¨ndet
1 . . . 6
I
Die Revision des Kla¨gers ist unbegru¨ndet und daher gem.
§ 126 Abs. 2 FGO zuru¨ckzuweisen. Das FG hat die Klage im
Ergebnis zu Recht abgewiesen (§ 126 Abs. 4 FGO). Die in dem
angefochtenen Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung,
dass die USt-Vergu¨tungsanspru¨che September – Dezember
2001
nicht an den Kla¨ger auszukehren sind, ist rechtma¨ßig.
Mit Jahressteuerbescheid als alleiniger Grundlage erledigen
sich Vorauszahlungsbescheide, deren Regelungen er aufnimmt
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I
Nach der Rspr. des BFH ist der Jahressteuerbescheid vom
Zeitpunkt seines Ergehens an alleinige Grundlage fu¨r die Ver-
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FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. 4. 2010 – 9 K 1968/05, EFG 2011
S. 855.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012