Prof. Dr. Holger Fleischer / Dr. Eckart Bueren, Hamburg
Die Libor-Manipulation zwischen Kapitalmarkt-
und Kartellrecht
u
DB0529450
I. Einfu¨hrung
Die mutmaßliche Manipulation des Libor-Zinssatzes durch meh-
rere Großbanken trifft die Finanzma¨rkte ins Mark. Angesichts
des weltweiten Ausmaßes greifen selbst serio¨se Wirtschaftsbla¨tter
zu reißerischen Schlagzeilen und sprechen von „banksters“ oder
dem „rotten heart of finance“
1
.
Erste Anzeichen fu¨r eine Libor-
Manipulation gab es schon im Mai 2008
2
.
Im Fru¨hjahr 2012
mehrten sich Hinweise auf falsche Zinsmitteilungen durch die
britische
Barclays Bank
.
Diese verpflichtete sich daraufhin im Juni
2012
in einem Vergleich mit der britischen Kapitalmarktaufsicht
zur Zahlung einer Geldbuße von 59,5 Mio. £ wegen der Verlet-
zung allgemeiner Wohlverhaltenspflichten
3
.
Mit der zusehends breiteren Tatsachengrundlage gewinnt
auch die juristische Aufarbeitung des Libor-Skandals an Fahrt:
In einer konzertierten Aktion bemu¨hen sich derzeit die Finanz-
marktaufsichts- und Kartellbeho¨rden zahlreicher Staaten um
weitere Aufkla¨rung. Parallel dazu sind in den Vereinigten Staa-
ten bereits mehrere Sammelklagen auf Schadensersatz gegen die
Barclays Bank
und weitere Kreditinstitute anha¨ngig. In England
hat gerade der erste europa¨ische Musterprozess vor dem Londo-
ner
High Court
begonnen
4
.
Den Blick nach vorne richtend, hat
die Europa¨ische Kommission ju¨ngst einen Vorschlag zur Erga¨n-
zung der Marktmissbrauchsrichtlinie vorgelegt, um Leitzins-
manipulationen zuku¨nftig besser zu erfassen
5
.
Eine vom briti-
schen Finanzministerium in Auftrag gegebene Studie
6
,
eine von
der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbeho¨r-
den eingesetzte Arbeitsgruppe
7
und eine von der Europa¨ischen
Kommission ero¨ffnete Konsultation
8
suchen nach neuen Regeln
zur Erstellung und Verwendung von Benchmark-Indizes.
Der vorliegende Beitrag bemu¨ht sich um eine erste Orientie-
rung aus juristischer Sicht. Er erla¨utert zuna¨chst die rechtstat-
sa¨chlichen Grundlagen von Libor und Euribor, die Konstruktion
und Wirkungsweise der betroffenen Zinsderivate sowie den be-
stehenden Verdacht der Einflussnahme (II.). Sodann wu¨rdigt er
die Vorwu¨rfe aus kapitalmarktrechtlicher Perspektive, insbeson-
dere unter dem Blickwinkel der Marktmanipulation (III.). An-
schließend wendet er sich der Frage zu, ob die Libor-Beeinflus-
sung gegen das Kartellverbot versto¨ßt (IV.). Damit lenkt er die
Aufmerksamkeit zugleich auf den wissenschaftlich kaum unter-
suchten U¨ berschneidungsbereich von Kapitalmarkt- und Kar-
tellrecht
9
.
II. Rechtstatsa¨chliche Grundlagen
1.
Ermittlung und Funktion von Libor und Euribor
a) Libor
Der Libor (London Interbank Offered Rate) ist ein Referenz-
zinssatz fu¨r ungesicherte Interbankenkredite zwischen den wich-
tigsten international ta¨tigen Banken. Er dient als Grundlage fu¨r
zahlreiche Finanzmarktgescha¨fte, insbesondere Konsortialkredi-
te, Terminkontrakte (u. a. Zinsterminkontrakte) sowie Zins-
derivate, und wird in zahlreichen realwirtschaftlichen Finanzie-
rungs- und Sicherungsgescha¨ften fu¨r die Bemessung von Zah-
lungen genutzt, etwa bei Darlehen und Hypotheken. Scha¨tzun-
gen zufolge bildet der Libor einen Bezugspunkt fu¨r Vertra¨ge mit
einem Gesamtwert von mehr als 300 Bio. $
10
.
Die englischen
Handelsgerichte haben zudem vor allem bei Fa¨llen mit Aus-
landsberu¨hrung die Praxis etabliert, gesetzliche Zinsen auf Basis
des Libor festzulegen
11
.
Der Libor wurde bisher ta¨glich von dem Informationsanbie-
ter
Thomson Reuters
im Auftrag der
British Bankers Association
(
BBA) fu¨r zehn Wa¨hrungen in 15 unterschiedlichen Laufzeiten
von U¨ bernacht bis zu einem Jahr ermittelt: Eine Gruppe von –
je nach Wa¨hrung – zwischen 6 und 18 ausgewa¨hlten Banken
teilt
Thomson Reuters
mit, zu welchem Zinssatz sie Geld leihen
ko¨nnten, wenn sie Interbankenangebote in vernu¨nftiger Gro¨-
ßenordnung kurz vor 11 Uhr vormittags wahrnehmen wu¨rden.
Abgefragt und gemeldet werden keine tatsa¨chlich zu zahlenden
und damit nachpru¨fbaren Zinsen, sondern hypothetische Wer-
te
12
.
Die ho¨chsten und niedrigsten 25% der Zinsmeldungen blei-
ben außer Betracht. Aus den verbleibenden Zahlen wird als
arithmetisches Mittel der Libor-Zinssatz berechnet. Die Einzel-
angaben werden mit dem Libor vero¨ffentlicht.
b) Euribor
Der Euribor (Euro Interbank Offered Rate) ist als europa¨ische
Alternative zum Libor gedacht und ein Gradmesser fu¨r die
durchschnittlichen Zinssa¨tze, zu denen europa¨ische Banken
einander Euro-Termingelder mit Laufzeiten von einer Woche
Prof. Dr. Holger Fleischer
ist Direktor des Max-Planck-Instituts fu¨r
ausla¨ndisches und internationales Privatrecht.
Dr. Eckart Bueren
ist
dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter ta¨tig.
1
So die U¨ berschriften zweier Zeitschriftenartikel im Economist, 7. 7. 2012.
2
Vgl.
Abrantes-Metz/Kraten/Metz/Seow
,
Journal of Banking and Finance 36
(2012)
S. 136: „A May 29, 2008 Wall Street Journal Article alleges that seve-
ral global banks were reporting unjustifiably low borrowing costs for the
calculation of the daily London Interbank Offer Rate (Libor) benchmark.“
3
Vgl. Financial Services Authority (FSA), Final Notice to Barclays Bank plc,
FSA Reference Number 122702, 27. 6. 2012.
4
Vgl. Handelsblatt vom 31. 10. 2012 S. 31.
5
Gea¨nderter Vorschlag fu¨r eine Richtlinie des europa¨ischen Parlaments und
des Rates u¨ber strafrechtliche Sanktionen fu¨r Insider-Gescha¨fte und Markt-
manipulation (vorgelegt gem. Art. 293 Abs. 2 AEUV), 2011/0297 (COD),
COM(2012) 420 final; gea¨nderter Vorschlag fu¨r eine Verordnung des Euro-
pa¨ischen Parlaments und des Rates u¨ber Insider-Gescha¨fte und Marktmani-
pulation (Marktmissbrauch) (vorgelegt gem. Art. 293 Abs. 2 AEUV),
2011/0295 (
COD), COM(2012) 421 final, 25. 7. 2012.
6
Wheatley Review of LIBOR: initial discussion paper, August 2012; final re-
port, September 2012.
7
International Organisation of Securities Commissions (IOSCO) Taskforce on
Financial Markets Benchmarks.
8
European Commission, Consultation Document on the Regulation of Indices,
5. 9. 2012.
9
Fu¨r erste Hinweise darauf, „aktien- und kapitalmarktrechtliche Transaktio-
nen auch durch die Linse des Kartellrechts zu betrachten“,
Fleischer
,
ZGR
2008
S. 185 (221 f.); aus US-amerikanischer Sicht der Pionierbeitrag von
Hovenkamp
,
Antitrust Violations in Securities Markets, 28 J. Corp. L. 607
(2003).
10
Vgl. Wheatley Review, a.a.O. (Fn. 6), final report, Rdn. 1. 11.
11
McGregor on Damages
, 18
th ed., Rdn. 15-116;
Wessels
,
Zinsrecht in Deutsch-
land und England, 1992, S. 104 Fn. 212.
12
Wo¨rtlich lautet die zu beantwortende Frage: „At what rate could you borrow
funds, were you to do so by asking for and then accepting inter-bank offers
in a reasonable market size just prior to 11 am?“
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Wirtschaftsrecht
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