b) Aufsichtsrechtliche Prinzipien
Selbst wenn die speziellen Verbotstatbesta¨nde nicht verwirklicht
sind, kann die britische Kapitalmarktaufsicht (FSA) auf ihre all-
gemeinen aufsichtsrechtlichen Sanktionsmo¨glichkeiten zuru¨ck-
greifen. Rechtlicher Anknu¨pfungspunkt sind die von ihr erlasse-
nen
principles for businesses
,
elf generalklauselartig formulierte
Verhaltens- und Organisationspflichten, die als
high level stan-
dards
im
FSA Handbook
geregelt sind. Danach muss ein Unter-
nehmen namentlich Gescha¨fte mit angemessener Sorgfalt und
angemessenen Compliance- und Risikomanagement-Vorkeh-
rungen fu¨hren sowie Standards zugelassenen Marktverhaltens
beachten. Diese aufsichtsrechtlichen Prinzipien sind eigensta¨n-
dig und unabha¨ngig von einzelnen kapitalmarktrechtlichen Spe-
zialtatbesta¨nden durchsetzbar. Bei Zuwiderhandlungen kann die
FSA Geldbußen in unbegrenzter Ho¨he verha¨ngen. Die eingangs
erwa¨hnte Geldbuße gegen die
Barclays Bank
wegen der Libor-
Manipulation stu¨tzt sich auf Versto¨ße gegen verschiedene
princi-
ples for businesses
,
insbesondere auf Verletzungen der Organisati-
ons-, Kontroll- und Compliance-Pflichten
43
.
c) Allgemeines Strafrecht
Schließlich kann die Libor-Manipulation unter das allgemeine
Strafrecht fallen. Zu denken ist insbesondere an den Tatbestand
des
fraud by false representation
gem. s. 2 des
Fraud Act 2006
44
.
Fu¨r dessen Verfolgung ist nicht die
Financial Services Authority
,
sondern das
Serious Fraud Office
zusta¨ndig. Dieses hat nach Be-
kanntwerden des Libor-Skandals entsprechende Untersuchun-
gen eingeleitet, die noch nicht abgeschlossen sind.
3.
Rechtspolitische Reformvorschla¨ge
Als Reaktion auf die kapitalmarktrechtlichen Regelungslu¨cken
werden gegenwa¨rtig auf verschiedenen Ebenen Vorschla¨ge zur
Reform des Marktmissbrauchsregimes unterbreitet.
a) Vorschla¨ge der Europa¨ischen Kommission
Die Europa¨ische Kommission hat rasch auf das Bekanntwerden
des Libor-Skandals reagiert und ihre Vorschla¨ge fu¨r ein neues
Marktmissbrauchsregime vom Oktober 2011
45
um den Verbots-
tatbestand der Manipulation von Benchmarks erga¨nzt
46
.
Zur Be-
gru¨ndung fu¨hrt sie aus, dass eine solche Manipulation das
Marktvertrauen erheblich beeintra¨chtigen und zu hohen Verlus-
ten fu¨r die Anleger wie auch zu realwirtschaftlichen Verzerrun-
gen fu¨hren ko¨nne. Daher seien spezielle Vorschriften fu¨r Bench-
marks erforderlich, um die Integrita¨t der Ma¨rkte zu wahren und
sicherzustellen, dass die zusta¨ndigen Beho¨rden entsprechende
Manipulationen wirksam ahnden ko¨nnten
47
.
Im Einzelnen hat die Kommission ihren Vorschlag fu¨r eine
Verordnung u¨ber Insidergescha¨fte und Marktmanipulation wie
folgt gea¨ndert: (a) Erweiterung des Geltungsbereichs dieser Ver-
ordnung durch die Einbeziehung von Benchmarks und (b) Er-
ga¨nzung der Begriffsbestimmungen durch eine dazugeho¨rige
Definition; (c) Erga¨nzung der Liste der als Straftat geltenden
Marktmanipulationen durch den Tatbestand der versuchten
oder bewirkten Benchmark-Manipulation. Gleichzeitig emp-
fiehlt die Kommission folgende A¨ nderungen ihres Vorschlags
fu¨r eine Richtlinie u¨ber strafrechtliche Sanktionen fu¨r Insider-
gescha¨fte und Marktmanipulation: (a) Erga¨nzung der Begriffs-
bestimmung durch Definition des Begriffs „Benchmark“; (b) Er-
ga¨nzung der Liste der als Straftat geltenden Marktmanipulatio-
nen durch den Tatbestand der Benchmark-Manipulation;
(
c) Erga¨nzung der Liste der Straftatbesta¨nde „Anstiftung, Bei-
hilfe und Versuch“ durch entsprechende Verhaltensweisen in
Bezug auf die Manipulation von Benchmarks. Dagegen verzich-
tet die Kommission gegenwa¨rtig darauf, Mindestvorgaben fu¨r
Art und Ho¨he der strafrechtlichen Sanktionen vorzuschlagen,
fordert die Mitgliedstaaten jedoch auf, in ihren nationalen
Rechtsordnungen Kriminalstrafen fu¨r die Manipulation von
Benchmarks vorzusehen.
b) Vorschla¨ge des Wheatley Review
In England hat eine Kommission unter der Leitung von
Martin
Wheatley
,
dem designierten Vorsitzenden der neuen
Financial
Conduct Authority
(
FCA), ju¨ngst Vorschla¨ge fu¨r eine Libor-Re-
form vorgestellt. Sie empfiehlt erstens, sowohl die Abgabe von
Zinsmeldungen als auch die Verwaltung des gesamten Verfah-
rens zu einer
regulated activity
zu erkla¨ren
48
.
Die Art und Weise
der Libor-Ermittlung soll dabei wesentlich reformiert und weni-
ger manipulationsanfa¨llig gestaltet werden. Zweitens ra¨t sie da-
von ab, das nationale Marktmissbrauchsregime in s. 118 FSMA
einseitig zu a¨ndern; stattdessen solle das Vereinigte Ko¨nigreich
die ju¨ngsten Vorschla¨ge der Kommission zur Einfu¨hrung eines
unionsweiten Verbots der Manipulation von Benchmarks unter-
stu¨tzen. Allerdings sei darauf zu achten, dass die Zivil- oder Ver-
waltungsstrafen fu¨r solche Fa¨lle a¨hnlich drastisch ausfallen ko¨nn-
ten wie im eingangs erwa¨hnten Fall der
Barclays Bank
49
.
Drittens
empfiehlt der
Wheatley Review
,
die oben vorgestellte Strafvor-
schrift in s. 397 FSMA um den Tatbestand der Manipulation
von Benchmarks zu erga¨nzen
50
.
IV. Kartellrechtliche Sanktionierung: Kartellverbot
Neben einer kapitalmarktrechtlichen Ahndung kommt eine
Sanktionierung der Libor-Manipulationen als Kartellrechtsver-
stoß in Betracht
51
.
Sie bildet ein scharfes Schwert: Kartellbuß-
gelder gegen Unternehmen werden pauschal im Verha¨ltnis zum
betroffenen Umsatz berechnet, ohne dass bestimmte Gewinne
nachgewiesen werden mu¨ssen
52
.
In der Praxis fu¨hrt dies regel-
ma¨ßig zu sehr hohen Betra¨gen. Hinzu kommt, dass Kartell-
rechtsversto¨ße zivilrechtliche Anspru¨che auf Schadensersatz aus-
lo¨sen
53
,
die im
common law-
Rechtskreis zu Strafzwecken u¨ber-
kompensatorisch ausfallen ko¨nnen
54
.
In England und den Ver-
einigten Staaten drohen natu¨rlichen Personen u¨berdies straf-
rechtliche Sanktionen bis hin zu mehrja¨hrigen Freiheitsstrafen
55
.
Eine verbotene Kartellabsprache, die dieses Sanktionsregime
43
Na¨her FSA, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 7: „Barclays breached Principles 2, 3 and 5
of the FSA’s Principles for Businesses through misconduct relating to its
submission of rates which formed part of the LIBOR and EURIBOR setting
processes.“
44
Vgl. Wheatley Review, a.a.O. (Fn. 6), initial discussion paper, B. 12.
45
Vorschlag fu¨r eine Verordnung des Europa¨ischen Parlaments und des Rates
u¨ber Insider-Gescha¨fte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch),
2011/0295 (
COD), KOM(2011) 651 endg., 20. 10. 2011.
46
A.a.O. (Fn. 4).
47
So der neu eingefu¨gte Erwa¨gungsgrund 20a im gea¨nderten Verordnungsvor-
schlag, a.a.O. (Fn. 5).
48
Vgl. Wheatley Review, a.a.O. (Fn. 6), final report, Rdn. 2.4 ff.
49
Vgl. Wheatley Review, a.a.O. (Fn. 6), final report, Rdn. 2.30 ff.
50
Vgl. Wheatley Review, a.a.O. (Fn. 6), final report, Rdn. 2.51 ff.
51
Allgemein fu¨r einen Vergleich kapitalmarktrechtlicher und kartellrechtlicher
Sanktionen
Ka¨mmerer
,
in: FS Hopt, 2011, S. 2043.
52
Vgl. die Leitlinien fu¨r das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gem.
Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, (2006/C 210/02),
ABlEU Nr. C 210 vom 1. 9. 2006 S. 2-5.
53
Vgl. fu¨r das deutsche und europa¨ische Recht
Emmerich
,
Kartellrecht,
12.
Aufl. 2012, § 7 Rdn. 11 ff., § 40 Rdn. 5 ff., 14 ff.
54
In den USA wird privaten Kartellopfern stets dreifacher Schadensersatz ge-
wa¨hrt, s. sec. 4 (a) Clayton Act, 15 U.S.C. § 15(a). In England ko¨nnen
puniti-
ve
bzw.
exemplary damages
gewa¨hrt werden, vgl.
Holmes
,
E.C.L.R. 2004,
25(1), 25, 32.
Erstmals erfolgt ist dies ku¨rzlich in
2
Travel Group PLC (in
liquidation) v. Cardiff City Transport Services Limited
, [2012]
CAT 19,
Rdn. 461 ff.
55
Fu¨r einen rechtsvergleichenden U¨ berblick
Wagner v. Papp
,
WuW 2009
S. 1236.
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Wirtschaftsrecht
2565