auslo¨st, besteht nach europa¨ischem Recht in einer Vereinbarung
zwischen Unternehmen, welche den Handel zwischen den Mit-
gliedstaaten zu beeintra¨chtigen geeignet ist und eine Verhin-
derung, Einschra¨nkung oder Verfa¨lschung des Wettbewerbs be-
zweckt oder bewirkt (Art. 101 Abs. 1 AEUV). Eine etwaige
Duldung der Kartellabsprache durch eine mitgliedstaatliche Be-
ho¨rde, selbst eine Zentralbank, wie sie im Libor-Skandal be-
hauptet wurde, ist irrelevant
56
.
1.
Vereinbarung zwischen Unternehmen
Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen i. S. des EU-Kartell-
rechts erfordert keine Mitwirkung vertretungsberechtigter Orga-
ne. Es genu¨gt, wenn Personen handeln, die generell berechtigt
sind, fu¨r das Unternehmen ta¨tig zu werden, solange sie nicht
vo¨llig außerhalb ihres Zusta¨ndigkeitsbereichs agieren
57
.
Mit
Blick auf die Libor-Manipulationen ist das Tatbestandsmerkmal
damit erfu¨llt, wenn sich Derivateha¨ndler bzw. mit Zinsmeldun-
gen betraute Angestellte mehrerer Banken abgesprochen haben,
auch wenn deren Leitungsebenen nichts davon wussten. Ent-
sprechende Verabredungen sind nach bisherigem Erkenntnis-
stand nur bei den profitgetriebenen Libor-Manipulationen vor
der Finanzkrise getroffen worden. Demgegenu¨ber erfolgten die
bescho¨nigenden Zinsmeldungen wa¨hrend der Finanzkrise wohl
einseitig. Dieser Beurteilung steht insbesondere nicht entgegen,
dass sich Banken mutmaßlich an Meldungen ihrer Wettbewer-
ber orientiert und sich dadurch zu bescho¨nigenden Manipulatio-
nen gedra¨ngt sahen. Ein solches einseitiges Parallelverhalten er-
fu¨llt nicht den Tatbestand der Vereinbarung oder des abge-
stimmten Verhaltens im kartellrechtlichen Sinne
58
.
2.
Wettbewerbsbeschra¨nkende Zwecksetzung oder Wirkung
Fu¨r eine Wettbewerbsbeschra¨nkung kommen vorliegend ver-
schiedene Ansatzpunkte in Betracht.
a) Libor-Manipulationen als Preisabsprachen bei Neugescha¨ften mit
Libor-gebundenen Produkten
Als herausgehobene Fallgruppe eines Kartellrechtsverstoßes
nennt Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV die unmittelbare oder mit-
telbare Absprache von Preisen. Hierunter fallen auch Abspra-
chen u¨ber einzelne Preisbestandteile
59
(
hier: einen Referenzzins-
satz
60
),
Abstimmungen unter Zuhilfenahme einer dritten Stelle
(
hier:
Thomson Reuters
61
)
sowie eine gemeinsame Erho¨hung un-
terschiedlicher Preise
62
.
Einen prominenten Beispielsfall aus der
neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU bildet der Fall
Lombardklub“, der umfassende Absprachen o¨sterreichischer
Banken u. a. u¨ber Einlagen- und Kreditzinssa¨tze, Spesen und
Gebu¨hren im Zahlungsverkehr sowie Mindestspesen fu¨r Wert-
papiertransaktionen betraf
63
.
Vor diesem Hintergrund lassen sich
Absprachen u¨ber den Libor grundsa¨tzlich unter Art. 101 Abs. 1
lit. a) AEUV subsumieren, wenn die beteiligten Banken selbst
Libor-gebundene Finanzprodukte (z. B. Kredite) angeboten und
parallel dazu den Libor-Satz abgesprochen haben. Zwar liegt in
solchen Fa¨llen der Einwand nahe, dass die Ha¨ndlerabsprachen
nicht das Ziel hatten, Preise bei dem Vertrieb Libor-gebundener
Produkte zu koordinieren, sondern nur, den Wert eingegangener
Handelspositionen zu beeinflussen. Der Wortlaut von Art. 101
Abs. 1 AEUV stellt indes nicht auf die subjektiven Absichten
der Beteiligten ab, sondern auf den „Zweck“ der Maßnahme
selbst
64
.
Dementsprechend wird der Begriff i. S. des objektiven
Ziels einer Maßnahme verstanden
65
.
Die
per se
verbotenen Kern-
beschra¨nkungen in Art. 101 Abs. 1 lit. a) bis c) AEUV werden
ihrer Natur nach als wettbewerbsbeschra¨nkend angesehen
66
.
Im
U¨ brigen haben die beteiligten Derivateha¨ndler wohl billigend in
Kauf genommen, dass sich die Beeinflussung des Libor-Satzes
nicht nur auf ihre Handelspositionen, sondern auf alle Libor-ge-
bundenen Produkte auswirkte.
Die vorstehenden U¨ berlegungen verlieren allerdings dort an
U¨ berzeugungskraft, wo es nicht um Absprachen eines ho¨heren,
sondern eines niedrigeren Libor-Satzes geht. Jedenfalls auf An-
bieterseite spricht vieles dafu¨r, dass eine solche Vereinbarung mit
Preissenkungstendenz ohne wettbewerbsbeschra¨nkende Zusatz-
elemente
67
nicht mehr vom Schutzzweck des Kartellverbots er-
fasst wird. Denkbar wa¨re allenfalls, die betroffenen Banken als
Nachfragerkartell anzusehen, sofern sie im fraglichen Zeitraum
selbst Kredite in Anspruch genommen haben, deren Zins an
den Libor gekoppelt war.
Zweifelhaft wird die Konstruktion der Libor-Manipulation
als kartellrechtliche Preisabsprache allerdings, wenn man beru¨ck-
sichtigt, dass die beteiligten Banken regelma¨ßig sowohl als An-
bieter wie als Nachfrager Libor-gebundener Produkte auftreten,
mit der Folge, dass ihre Einordnung als Kartellta¨ter oder -opfer
in gewisser Weise zufa¨llig wird
68
.
Es ist anerkannt, dass der wirt-
schaftliche Hintergrund einer Vereinbarung bei der Pru¨fung ih-
res wettbewerbsbeschra¨nkenden Zwecks beru¨cksichtigt werden
muss
69
.
Er spricht im vorliegenden Fall dafu¨r, dass auf dem
Markt fu¨r Libor-gebundene Produkte in der Sache kein koor-
diniertes Vorgehen stattgefunden hat. Infolgedessen kann die
Einordnung der Libor-Manipulation als Preiskartell allenfalls
dann u¨berzeugen, wenn sich darlegen la¨sst, dass die beteiligten
Banken von der regelma¨ßigen Manipulationsrichtung mit Blick
auf ihre Libor-gebundenen Produkte profitiert haben.
56
Vgl. EuGH, verb. Rs. C-125/07 P, Rs. C-133/07 P, Rs. C-135/07 P und Rs.
C-137/07 P, EuGHE 2009 S. I-8681 Rdn. 224 ff. unter Besta¨tigung von EuG,
verb. Rs. T-259/02-T-264/02 u. T-271/02, Raiffeisen Zentralbank O¨ sterreich
AG u. a./Kommission („Lombardklub“), EuGHE 2006 S. II-5169 Rdn. 505 ff.
57
Vgl. EuGH, verb. Rs. 100 bis 103/80, S.A. Musique Diffusion Franc¸aise (Pio-
neer)/Kommission, EuGHE 1983 S. 1825, Rdn. 97 f.; EuG, Rs. T-9/99, HFB
Holding/Kommission, EuGHE 2002 S. II-1487 Rdn. 275;
Sauer
,
in: Schulte/
Just, Kartellrecht, 2012, Art. 23 VO 01/2003, Rdn. 28.
58
Eingehend, auch zu Abgrenzungs- und Beweisfragen,
Gippini-Fournier/
Mojzesowicz
,
in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl.
2009,
Rdn. 96 ff.; knapp jew.
Emmerich
,
in: Immenga/Mestma¨cker, EU-Wett-
bewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Rdn. 85, 89, 93; s. auch zum o¨kono-
mischen Versta¨ndnis von explicit und tacit collusion in Abgrenzung zu dem
spezifisch rechtlichen Zugriff
Motta
,
Competition Policy, 2004, S. 138, 185.
59
Vgl.
Gehring
,
in: Ma¨ger, Europa¨isches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 3. Kap.
Rdn. 11;
Bunte
,
in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 2010, Art. 81 EG
Rdn. 101.
60
Zum eng verwandten Fall der Steuerung von Referenzpreisen, der in den Ver-
einigten Staaten seit langem als Fall eines Preiskartells anerkannt ist,
United
States v. Socony Vacuum Oil Co.
, 310
U.S. 150 (1940).
61
Diese dritte Stelle ist (nur) Adressat des sanktionsbewehrten Kartellverbots,
sofern sie die wettbewerbswidrige Abstimmung zumindest i. S. einer passiven
Beteiligung stillschweigend gebilligt hat, vgl. EuG, Rs. T-99/04, AC-Treuhand
AG/Kommission, EuGHE 2008 S. II-1501, Rdn. 112 ff., insb. Rdn. 130-136.
62
Vgl. Kommission, 2003/2/EG (Vitamine), ABlEG 2003 L 6/1, 57;
Gehring
,
a.a.O. (Fn. 59), 3. Kap. Rdn. 11.
63
Einzelnachweise a.a.O. (Fn. 57).
64
Vgl.
Emmerich
,
a.a.O. (Fn. 58), Art. 101 Rdn. 174.
65
Vgl. EuGH, Rs. C-209/07, Competition Authority/Beef Industry Development
Society Ltd u. a., EuGHE 2008 S. I-8637, Rdn. 21; s. auch verb. Rs. C-501/06
P, C-513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, GlaxoSmithKline Services/Kom-
mission, EuGHE 2009 S. I-9291, Rdn. 58, EuGHE 2009 S. I-9291, Rdn. 58.
66
Vgl. nur
Emmerich
,
a.a.O. (Fn. 58), Art. 101 Rdn. 177.
67
Etwa gezielte Kampfpreisunterbietung eines
Maverick-
Unternehmens oder
Bestrafung eines Kartellabweichlers.
68
Kritisch zur Einordnung der Libor-Manipulation als Preiskartell auch
Stephan
,
Should Libor-Rigging be treated like Price Fixing?,
cy.wordpress.com/2012/07/11 [letzter Abruf: 18. 10. 2012]: „Although anti-
trust lawsuits have been launched in the US alleging collusion, Libor-rigging
is more akin to a fraud than a cartel [. . .].“; zu Unterschieden zwischen
Marktmanipulation und traditionellen Preisabsprachen auch
Abrantes-Metz/
Kraten/Metz/Seow
,
Journal of Banking and Finance 36 (2012) S. 136 (139 f.).
69
Allgemein dazu EuGH, Rs. C-209/07, Competition Authority/Beef Industry De-
velopment Society Ltd u. a., EuGHE 2008 S. I-8637, Rdn. 16; verb. Rs. 29/83
und 30/83, Rheinzink u. a./Kommission, EuGHE 1984 S. 1679, Rdn. 26.
2566
Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012