Wettbewerbsbeschra¨nkung durch die Libor-Manipulationen fu¨r
erforderlich, kommt es zuna¨chst auf die Marktabgrenzung an.
Die Kommission verlangt i. d. R. Marktanteile von mindestens
10% (
horizontale Absprachen) bzw. 15% (vertikale Abspra-
chen)
85
.
Im ersten Zugriff liegt es nahe, Zins-Swaps und Zins-
Futures angesichts ihrer Nutzung zu Sicherungs- und Spekulati-
onszwecken jeweils nur insoweit einem Markt zuzuordnen, als sie
eine deckungsgleiche Vertragslaufzeit aufweisen. Bei einer solch
engen Marktabgrenzung liegt es angesichts der Gro¨ße und des
Handelsvolumens der beteiligten Banken nicht fern, dass die ge-
nannten Schwellenwerte trotz der enormen Gro¨ße des „Gesamt-
marktes“ fu¨r Zinsderivate u¨berschritten wurden. Im U¨ brigen sind
die Prozentschwellen eher als Indizien denn als starre Grenzen zu
verstehen. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung, ob eine
Wettbewerbsbeschra¨nkung fu¨r das Binnenmarktprojekt bedeut-
sam ist, wofu¨r je nach Art der Zuwiderhandlung, Marktstruktur
und Bedeutung der beteiligten Unternehmen unterschiedliche
Kriterien im Rahmen einer Gesamtbetrachtung relevant sein ko¨n-
nen. Ein Marktanteil von 5% kann durchaus genu¨gen, ein solcher
von 1% hingegen in aller Regel nicht
86
.
Auch hiernach du¨rfte die
Spu¨rbarkeitsschwelle wohl kein gro¨ßeres Hindernis fu¨r eine kar-
tellrechtliche Ahndung der Libor-Manipulationen sein.
V. Zusammenfassung
1.
Im Rahmen der mutmaßlichen Libor-Manipulation durch
mehrere Großbanken geht es um zwei Vorwu¨rfe: Zum einen
sollen Derivateha¨ndler schon vor der Finanzkrise falsche Zins-
meldungen ihrer Banken veranlasst haben, um den Libor in eine
fu¨r ihre eigenen Handelspositionen gu¨nstige Richtung zu len-
ken. Zum anderen sollen einzelne Banken wa¨hrend der Finanz-
krise auf Veranlassung ihrer Fu¨hrungsspitze gescho¨nte Zinsmel-
dungen abgegeben haben, um ihre Finanz- und Liquidita¨tslage
gu¨nstig darzustellen. Die juristische Aufarbeitung dieser Vor-
wu¨rfe fu¨hrt sowohl in kapitalmarktrechtliches als auch in kartell-
rechtliches Gebiet.
2.
Kapitalmarktrechtlich ist vor allem an das Verbot der
Marktmanipulation zu denken. § 20a WpHG und seine englische
Schwestervorschrift s. 118 FSMA setzen allerdings voraus, dass
sich die Manipulation auf bo¨rsengehandelte Finanzinstrumente
bezieht. Dies trifft fu¨r standardisierte Zins-Futures, nicht aber fu¨r
OTC-Zins-Swaps zu. Bei Ero¨ffnung des sachlichen Anwen-
dungsbereichs der Vorschriften kommt vor allem eine informati-
onsgestu¨tzte Manipulation nach § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1
WpHG bzw. s. 118 (7) FSMA in Betracht. Im gedanklichen Zu-
griff ist hier zwischen den unterschiedlich motivierten Falsch-
angaben vor und wa¨hrend der Finanzkrise zu unterscheiden. Zur
leichteren Sanktionierung hat die englische Kapitalmarktaufsicht
auf eine Verletzung allgemeiner aufsichtsrechtlicher Prinzipien
durch die beteiligten Banken zuru¨ckgegriffen.
3.
Zur Schließung der kapitalmarktrechtlichen Regelungs-
lu¨cken schla¨gt die Europa¨ische Kommission mit guten Gru¨nden
eine Erga¨nzung des Marktmissbrauchsregimes um den Verbots-
tatbestand der Manipulation von Benchmarks vor. Unabha¨ngig
davon stellt sich die Grundsatzfrage nach einer Reform des Libor-
Regimes oder einer Entwicklung alternativer Referenzzinssa¨tze.
4.
Kartellrechtlich kommt erstens eine wettbewerbsbeschra¨n-
kende Preisabsprache nach Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV in Be-
tracht. Sie ist grundsa¨tzlich denkbar, wenn die beteiligten Ban-
ken selbst Libor-gebundene Finanzprodukte angeboten und pa-
rallel dazu den Libor-Satz abgesprochen haben. Unter Schutz-
zweckgesichtspunkten erscheint eine Einordnung als Preiskartell
allerdings nur dann u¨berzeugend, wenn die beteiligten Banken
von der Libor-Manipulation mit Blick auf ihre Neugescha¨fte
profitiert haben. Zweitens ko¨nnte die verabredete Libor-Mani-
pulation bereits fu¨r sich genommen eine Wettbewerbsbeschra¨n-
kung durch unlauteres Marktverhalten darstellen, wenn und weil
sie die Wettbewerbsbedingungen ku¨nstlich vera¨ndert. Eine drit-
te mo¨gliche Wettbewerbsbeschra¨nkung liegt darin, dass sich die
Derivateha¨ndler u¨ber Handelspositionen, Preissetzungsabsichten
in Bezug auf Zinsderivate und zuku¨nftige Derivatepreise aus-
getauscht haben. Insoweit ist zwischen einem unselbststa¨ndigen
und einem selbststa¨ndigen Informationsaustausch zu unterschei-
den, der ein abgestimmtes Verhalten begru¨nden kann.
5.
U¨ ber den hier ero¨rterten Fall der Libor-Manipulation hi-
naus harrt der U¨ berschneidungsbereich von Kapitalmarkt- und
Kartellrecht einer grundlegenden Aufarbeitung. Weitere Fa¨lle
betreffen Kursstabilisierungsmaßnahmen und Koppelungs-
gescha¨fte bei Neuemissionen, die Sicherung einer marktbeherr-
schenden Stellung u¨ber das Angebot oder die Nachfrage nach
Finanzinstrumenten („Cornering“) sowie das Zusammenwirken
bei U¨ bernahmeangeboten („Joint Bidding“)
87
.
85
Vgl. Europa¨ische Kommission, Bekanntmachung u¨ber Vereinbarungen von
geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 Abs. 1 des Vertrags
zur Gru¨ndung der Europa¨ischen Gemeinschaft nicht spu¨rbar beschra¨nken
(
de minimis), ABlEG Nr. C 368 vom 22. 12. 2001 S. 13, Rdn. 7 lit. a).
86
Zum Ganzen
Emmerich
,
a.a.O. (Fn. 58), Art. 101 Rdn. 146, m. w. N.
87
Vgl.
Fleischer
,
ZGR 2008 S. 185 (221). Die Verf. bereiten hierzu weitere Bei-
tra¨ge vor.
Entscheidungen
GmbH-Recht
Unterzeichnung und Einreichung der Gesellschaf-
terliste im Fall der Beteiligung mehrerer Notare
GmbHG § 40 Abs. 2
Das Registergericht kann eine Gesellschafterliste nicht zu-
ru¨ckweisen, die der Notar einreicht, der nur das Angebot
und nicht auch die Annahme der Abtretung des Gescha¨fts-
anteils beurkundet hat.
OLG Mu¨nchen, Beschluss vom 24. 10. 2012 – 31 Wx 400/12, rkr.
u
DB0529311
AUS DEN GRU¨ NDEN
Die eingereichte notarbescheinigte Gesellschafterliste vom 20. 9.
2012
entspricht den Anforderungen des § 40 Abs. 2 GmbHG.
Der Notar, der die Liste unterzeichnet und eingereicht hat, hat
das an zahlreiche Gesellschafter gerichtete Angebot zu Erwerb
und Abtretung von Gescha¨ftsanteilen beurkundet. Damit hat er
an der Vera¨nderung in der Person der Gesellschafter mitgewirkt.
Dass die Annahmen des Angebots vor anderen Notaren erkla¨rt
worden sind, a¨ndert daran nichts. Daraus ergibt sich lediglich,
dass an der Vera¨nderung mehr als ein Notar mitgewirkt hat.
Diesen Sachverhalt regelt das Gesetz nicht ausdru¨cklich. Soweit
vertreten wird, nur die Beurkundung der Annahme sei als „ent-
2568
Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012