Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen
25
I
aa)
Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare
Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG
genannten Grundes eine weniger gu¨nstige Behandlung erfa¨hrt,
als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfa¨hrt,
erfahren hat oder erfahren wu¨rde, wobei die sich nachteilig aus-
wirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknu¨p-
fen muss
2
.
Die benachteiligende Regelung oder Maßnahme wird
hierbei unmittelbar mit einem in § 1 AGG genannten Merkmal
begru¨ndet
3
.
Unerheblich ist, ob die Anknu¨pfung verdeckt oder
offen erfolgt
4
.
Auch kann die Benachteiligung statt in einem ak-
tiven Tun auch in einem Unterlassen liegen
5
,
wobei eine Be-
nachteiligung durch Unterlassen nicht voraussetzt, dass eine
Handlungspflicht besteht
6
.
Ein Benachteiligung durch Unterlas-
sen kommt in Betracht, wenn ein Arbeitgeber ein befristetes Ar-
beitsverha¨ltnis wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes
nicht verla¨ngert
7
.
26
I
bb)
Die Kla¨gerin ist ungu¨nstiger behandelt worden als ihre Kolle-
ginnen Frau B und Frau F, deren Arbeitsverha¨ltnisse jeweils entfristet
worden sind. Nach dem anzulegenden objektiven Maßstab
8
liegt hierin
eine im Verha¨ltnis zur Kla¨gerin gu¨nstigere Behandlung. Die Beklagte
hat mit den Kolleginnen der Kla¨gerin neue, unbefristete Arbeitsvertra¨ge
geschlossen und diese besser gestellt als die Kla¨gerin, deren Arbeitsver-
ha¨ltnis mit Ablauf des 31. 1. 2010 endete. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1
AGG genu¨gt es, dass die Kolleginnen zeitlich fru¨her gu¨nstiger behan-
delt wurden („erfahren hat“).
27 . . . 28
I
cc)
Die Situation der ungu¨nstiger behandelten Kla¨gerin war
mit der ihrer Kolleginnen B und F vergleichbar . . .
29
I
b)
Die Begru¨ndung des LAG die Benachteiligung der Kla¨-
gerin sei wegen ihrer ethnischen Herkunft erfolgt, ist jedoch
nicht frei von Rechtsfehlern.
30
I
aa)
Der Begriff der ethnischen Herkunft wird weder in
Art. 19 AEUV, im AGG noch in der zugrunde liegenden RL
2000/43/
EG des Rates vom 29. 6. 2000 zur Anwendung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder
der ethnischen Herkunft definiert.
31
I
Ausweislich der Begru¨ndung des AGG-Gesetzesentwurfs ist
das Merkmal der ethnischen Herkunft – wie auch das der Rasse
in einem umfassenden Sinn zu verstehen, denn es soll einen mo¨g-
lichst lu¨ckenlosen Schutz vor ethnischmotivierten Benachteiligun-
gen gewa¨hrleisten. Es ist unionsrechtlich auszulegen und umfasst
auch Kriterien, wie sie das Internationale U¨ bereinkommen zur
Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)
vom 7. 3. 1966 nennt, na¨mlich Rasse, Hautfarbe, Abstammung,
nationaler Ursprung oder Volkstum
9
. . . . (
wird ausgefu¨hrt).
Fu¨r den Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligung und
dem verpo¨nten Merkmal reicht es als Bestandteil eines Motiv-
bu¨ndels aus
32
I
bb)
Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Be-
handlung und dem Merkmal nach § 1 AGG ist bereits dann ge-
geben, wenn die Benachteiligung an das Merkmal anknu¨pft oder
durch sie motiviert ist
10
.
Dabei ist es nicht erforderlich, dass der
betreffende Grund das ausschließliche Motiv fu¨r das Handeln
des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das
verpo¨nte Merkmal Bestandteil eines Motivbu¨ndels ist, welches
die Entscheidung beeinflusst hat
11
.
Auf ein schuldhaftes Han-
deln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an
12
.
33
I
cc)
Hinsichtlich der Kausalita¨t zwischen Nachteil und dem verpo¨n-
ten Merkmal ist in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die
sich auch auf die Darlegungslast auswirkt. Der Bescha¨ftigte genu¨gt da-
nach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vortra¨gt, die seine Be-
nachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. . . .
Liegt eine Vermutung fu¨r die Benachteiligung vor, tra¨gt nach
§ 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafu¨r, dass kein Ver-
stoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung
vorgelegen hat.
34
I
dd)
Die Wu¨rdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Be-
werber vorgetragenen oder unstreitigen Tatsachen eine Benachteiligung
wegen des in Rede stehenden Merkmals nach § 1 AGG vermuten las-
sen, ist nur beschra¨nkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ge-
wonnene U¨ berzeugung bzw. Nichtu¨berzeugung von einer u¨berwiegen-
den Wahrscheinlichkeit fu¨r die Kausalitat zwischen dem verbotenen
Merkmal und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf u¨ber-
pru¨ft werden, ob sie mo¨glich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht
gegen Denkgesetze, Erfahrungssa¨tze oder andere Rechtssa¨tze ver-
sto¨ßt
13
.
Ob sich aus Statistiken eine Vermutung fu¨r benachteiligendes
Verhalten ergibt, muss in jedem Einzelfall gepru¨ft werden
35
I
c)
Diesem eingeschra¨nkten Pru¨fungsmaßstab ha¨lt die Wu¨r-
digung des LAG nicht stand, das angenommen hat, bereits die
Tatsache, dass die Beklagte in der Bezirksverwaltung M keine
Arbeitnehmer nichtdeutscher Herkunft bescha¨ftige, wa¨hrend
ansonsten Arbeitnehmer aus 13 Nationen bei ihr bescha¨ftigt sei-
en, stelle ein Indiz fu¨r die Mitursa¨chlichkeit der ethnischen Her-
kunft der Kla¨gerin bei ihrer Benachteiligung dar.
36
I
aa)
An sich ko¨nnen sich aus Quoten oder Statistiken Indi-
zien fu¨r eine Diskriminierung ergeben. Statistiken sind als mo¨g-
liche Hilfstatsachen im Erwa¨gungsgrund Nr. 15 der RL
2000/43/
EG vom 29. 6. 2000 zur Anwendung des Gleichbe-
handlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der eth-
nischen Herkunft erwa¨hnt. Auch der deutsche Gesetzgeber
14
und der Senat
15
haben dies bejaht. Eine Vermutung fu¨r ein re-
gelhaft die Merkmalstra¨gergruppe benachteiligendes Verhalten
kann sich aus statistischen Daten aber nur dann ergeben, wenn
sie sich konkret auf den betreffenden Arbeitgeber beziehen und
aussagekra¨ftig sind, was sein Verhalten gegenu¨ber der Merkmal-
stra¨gergruppe anbelangt
16
.
Soweit dabei von in der Vergangen-
2
Vgl. BAG vom 22. 7. 2010 – 8 AZR 1012/08, Rdn. 50, DB 2011 S. 177; vom
18. 3. 2010 – 8
AZR 77/09, Rdn. 19, DB 2010 S. 1534.
3
Vgl. BAG vom 22. 6. 2011 – 8 AZR 48/10, Rdn. 33, DB 2011 S. 2438; EuGH
vom 4. 10. 2001 – Rs. C-438/99, Jimenez Melgar, EuGHE 2001 S. I-6915 =
AP EWG-RL Nr. 92/85 Nr. 3 = EzA BGB § 611a Nr. 17, zur Nichterneuerung
eines befristeten Vertrags bei einer schwangeren Arbeitnehmerin.
4
Vgl. BAG vom 22. 7. 2010, a.a.O. (Fn. 2).
5
Vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32;
Bauer/Go¨pfert/Krieger
,
AGG, 3. Aufl., § 3
Rdn. 9; HK-ArbR/
Bufalica
, 2.
Aufl., § 3 AGG Rdn. 5.
6
Vgl.
Da¨ubler/Bertzbach-Schrader/Schubert
, 2.
Aufl., § 3 Rdn. 28.
7
Vgl. EuGH vom 4. 10. 2001, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 47; KR-
Treber
, 9.
Aufl., § 3
AGG Rdn. 6.
8
Vgl. BAG vom 16. 2. 2012 – 6 AZR 553/10, Rdn. 20, DB 2012 S. 1042 = EzA
AGG § 3 Nr. 7; vom 22. 7. 2010, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 52;
Bauer/Go¨pfert/Krie-
ger
,
a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 8.
9
Vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 31.
10
Vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32, zu § 3 Abs. 1 AGG.
11
Vgl. BAG vom 27. 1. 2011 – 8 AZR 580/09, Rdn. 28, DB 2011 S. 1586 zum
Merkmal Behinderung; vom 19. 8. 2010 – 8 AZR 530/09, Rdn. 54, DB0394585
= EzA AGG § 15 Nr. 10 zum Merkmal Alter; vom 17. 8. 2010, a.a.O. (Fn. 1),
Rdn. 31;
Bauer/Go¨pfert/Krieger
,
a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 14;
Schleusener/Suckow/
Voigt
,
AGG, 3. Aufl., § 3 Rdn. 12; ErfK/
Schlachter
, 12.
Aufl., § 7 AGG Rdn. 4.
12
Vgl. BAG vom 17. 8. 2010, a.a.O. (Fn. 1).
13
BAG vom 13. 10. 2011 – 8 AZR 608/10, Rdn. 36, DB0470179 = EzA AGG § 15
Nr. 16; vom 27. 1. 2011, a.a.O. (Fn. 11), Rdn. 30; vom 19. 8. 2010, a.a.O.
(
Fn. 11), Rdn. 56; vom 17. 8. 2010, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 34; vom 16. 9. 2008
– 9
AZR 791/07, Rdn. 41, BAGE 127 S. 367 = DB 2009 S. 177.
14
Vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 47.
15
BAG vom 27. 1. 2011, a.a.O. (Fn. 11), Rdn. 29.
16
Vgl. EuGH vom 27. 10. 1993 – Rs. C-127/92, Enderby, EuGHE 1993 S. I-5535
= AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 50 = EzA EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 20.
2580
Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012