heit erfolgten Diskriminierungen auf die Gegenwart geschlossen
wird, spricht dies nicht gegen die Beru¨cksichtigung von Statisti-
ken, weil ein regelhaft geu¨btes Verhalten gerade nur durch die
Betrachtung der Vergangenheit ausgemacht werden kann
17
.
37 . . . 38
I
bb)
. . .
cc)
In der Bezirksverwaltung M wurden zum
Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverha¨ltnisses keine Arbeit-
nehmer nichtdeutscher Herkunft bescha¨ftigt, wa¨hrend in den u¨b-
rigen Bezirksverwaltungen Arbeitnehmer unterschiedlicher Her-
kunft aus ingesamt 13 Nationen bescha¨ftigt wurden. Das LAG
hat daraus geschlossen, nichtdeutsche Arbeitnehmer wu¨rden in
der Bezirksverwaltung M benachteiligt, Arbeitnehmer deutscher
Herkunft bevorzugt. Dadurch hat es nicht vernu¨nftigerweise alle
in Betracht kommenden Umsta¨nde widerspruchsfrei und ohne
Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssa¨tze beru¨cksichtigt.
39
I
Die bloße Unterrepra¨sentation einer Gruppe ist nicht zwin-
gend ein Indiz fu¨r eine diskriminierende Personalpolitik. Dies
gilt insbes. fu¨r Bescha¨ftigungsquoten von Arbeitnehmern unter-
schiedlicher ethnischer Herkunft. Die Unter- oder U¨ berrepra¨-
sentation von Arbeitnehmern einer Ethnie kann statt auf einem
diskriminierenden Verhalten des Arbeitgebers etwa auch auf ei-
ner individuellen Pra¨ferenz der Gruppenmitglieder fu¨r eine be-
stimmte Branche beruhen
18
.
Dass Ethnien in einer Belegschaft
unterschiedlich repra¨sentiert werden, kann einerseits von den im
Betrieb anfallenden Ta¨tigkeiten und der damit zusammenha¨n-
genden Qualifikation, andererseits von der Bewerberlage abha¨n-
gen
19
.
Die Verteilung der Ethnien ist in Deutschland nicht
gleich, es gibt bereits gro¨ßere Unterschiede zwischen urbanen
und la¨ndlichen Gebieten sowie zwischen den einzelnen Regio-
nen und Bundesla¨ndern. Einen Erfahrungssatz, wonach be-
stimmte Bevo¨lkerungsgruppen bei Bewerbungen stets gleichma¨-
ßig vertreten sind und Belegschaften dementsprechend zusam-
mengesetzt sein mu¨ssen, gibt es nicht
20
.
Soweit eine einseitige
Belegschaftsstruktur als Indiz fu¨r eine Benachteiligung angefu¨hrt
wird, muss in jedem Einzelfall je nach dem Merkmal und nach
dem Verha¨ltnis der absoluten und relativen Zahlen gepru¨ft wer-
den, ob eine Indizwirkung besteht
21
.
40
I
Ebenso ist der Umstand, dass die Beklagte in den elf Bezirksverwal-
tungen Arbeitnehmer aus 13 Nationen bescha¨ftigt, nicht aussagekra¨ftig.
Aus ihm kann nicht einmal auf einen „u¨blichen Anteil“ von Arbeitneh-
mern nichtdeutscher Herkunft geschlossen werden. Die Bescha¨fti-
gungsquote ausla¨ndischer Arbeitnehmer bei der Beklagten insgesamt
bleibt ebenso unklar wie der Anteil solcher Arbeitnehmer je einzelner
Bezirksverwaltung. . . .
41
I
dd)
Hinzu kommt, dass die Klage darauf gestu¨tzt wird, in M stehe
die ethnische Herkunft einer Verfestigung des Bescha¨ftigtenstatus ent-
gegen. Im Hinblick auf ihre eigene und die Bescha¨ftigung der tu¨rki-
schen Praktikantin macht die Kla¨gerin nicht geltend, nichtdeutschen
Arbeitnehmern werde eine Bescha¨ftigung bei der Beklagten in M gene-
rell verwehrt, sondern diesen werde eine unbefristete Bescha¨ftigung ver-
sagt. Das Kriterium „Arbeitnehmer aus 13 verschiedenen Nationen“
trifft keine Aussage, ob diese befristet oder unbefristet bescha¨ftigt wer-
den. Es bleibt schon unklar, wie hoch der Anteil (sachgrundlos) befristet
bescha¨ftigter Arbeitnehmer in den einzelnen Bezirksverwaltungen ist,
mit welchem Anteil deutsche bzw. nichtdeutsche Arbeitnehmer hierun-
ter fallen und mit welchem Anteil solche Arbeitsverha¨ltnisse ggf. ent-
fristet werden. Eine regelhafte Entfristung bzw. unbefristete Bescha¨fti-
gung von vergleichbaren nichtdeutschen Arbeitnehmern in anderen Be-
zirksverwaltungen ergibt sich nicht.
42
I
4.
Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus ande-
ren Gru¨nden als richtig (§ 561 ZPO).
43 . . . 46
I
a)
Das LAG hat angenommen, die Beklagte habe einen der
Kla¨gerin zustehenden Anspruch auf Auskunft u¨ber die Gru¨nde fu¨r die
Nicht-U¨ bernahme in ein unbefristetes Arbeitsverha¨ltnis nicht erfu¨llt.
Diese Tatsachenwu¨rdigung la¨sst sich weder aus dem unstreitigen Sach-
verhalt, noch aus dem Akteninhalt und schließlich nicht aus dem eige-
nen, jedoch bestrittenen Vorbringen der Kla¨gerin ableiten.
47
I
b)
Bei der Entscheidung des Rechtsstreits wird das LAG zu pru¨fen
haben, ob sich aus der Art der von der Beklagten gemachten Angaben,
ihrer inhaltlichen Richtigkeit sowie in der Zusammenschau mit dem
u¨brigen Verhalten der Bezirksverwaltung Indizien fu¨r eine ethnische
Benachteiligung der Kla¨gerin ergeben. Dabei wird das LAG folgende
rechtliche Erwa¨gungen zu beru¨cksichtigen haben:
48
I
aa)
Die beiden Stufen der Darlegungs- und Beweislast aus
§ 22 AGG sind zu trennen. Zuna¨chst hat der Arbeitnehmer die
Verantwortung, das Gericht von Indizien, also von der u¨berwie-
genden Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung zu u¨berzeugen.
Die Glaubhaftmachung durch den Arbeitnehmer la¨sst die Be-
weisverteilung unberu¨hrt, sie senkt nur das Beweismaß
22
Es kann
daher grundsa¨tzlich kein „Indiz“ sein, wenn die Beklagte die
Gru¨nde ihrer Rechtsverteidigung nicht hinreichend substanziiert
dargelegt hat. Erst auf der zweiten Stufe, also nachdem die kla¨ger-
seits vorgetragenen Tatsachen eine Benachteiligung wegen eines
Merkmals nach § 1 AGG vermuten lassen, tra¨gt der Arbeitgeber
die Beweislast dafu¨r, dass eine solche Benachteiligung nicht vor-
lag. Erst dann, wenn diese Stufe erreicht ist, muss er Tatsachen
vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass es aus-
schließlich andere Gru¨nde als die ethnische Herkunft waren, die
zu der weniger gu¨nstigen Behandlung gefu¨hrt haben
23
.
Wechselnde Begru¨ndungen des Arbeitgebers fu¨r eine Benach-
teiligung ko¨nnen ein Indiz fu¨r eine Diskriminierung sein
49
I
bb)
Dagegen kann es ein Indiz darstellen, wenn ein Arbeit-
geber bei der Auskunftserteilung Gru¨nde angibt, die im Wider-
spruch zu seinem sonstigen Verhalten stehen. . . .
50
I
cc)
Indizwirkung ko¨nnen auch gegebene, aber wechselnde
Begru¨ndungen des Arbeitgebers fu¨r eine getroffene benachtei-
ligende Maßnahme haben. In diesem Zusammenhang wird das
LAG das Vorbringen der Kla¨gerin zu pru¨fen haben, zuna¨chst sei
ihr ein betriebsbedingter Grund („Fusion“) fu¨r die Nichtverla¨n-
gerung vom Leiter der Bezirksverwaltung M genannt worden,
wobei dies spa¨ter oder im Prozess von der Beklagten nicht wie-
derholt worden ist. Ein nicht erla¨utertes Auswechseln von Be-
gru¨ndungen fu¨r ein Verhalten la¨sst nach allgemeiner Lebens-
erfahrung den Schluss zu, dass die zuna¨chst gegebene Begru¨n-
dung unzutreffend war. Stellte sich dann die neue Begru¨ndung
als unzula¨ssige, jedenfalls aber als im Widerspruch zum bisheri-
gen eigenen Verhalten stehende Argumentation dar, so versto¨ßt
es nicht gegen Denkgesetze anzunehmen, dass u¨ber die wahren
Gru¨nde nicht gesprochen werden soll. Das indiziert, dass die
eigentlichen Gru¨nde unerlaubt waren und genu¨gt daher i. S. der
Darlegungslast der Kla¨gerin nach § 22 AGG.
51
I
dd)
Da die Beklagte Auskunft erteilt hat, kann es der Senat vorlie-
gend dahinstehen lassen, ob dem ein Auskunftsanspruch der Kla¨gerin
zugrunde lag. . . .
17
BAG vom 22. 7. 2010, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 68.
18
Vgl. Mu¨KoBGB/
Thu¨sing
, 6.
Aufl., § 22 AGG Rdn. 15;
Bayreuther
,
NJW 2009
S. 806;
Bauer/Go¨pfert/Krieger
,
a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 11.
19
Stein
,
in: Wendeling-Schro¨der/Stein, AGG, § 22 Rdn. 25;
Peick
,
Darlegungs-
und Beweislast nach § 22 AGG S. 240 f.
20
Grobys
,
NZA 2006 S. 898 (902).
21
Wo¨rl
,
Die Beweislast nach dem AGG, S. 161.
22
BAG vom 5. 2. 2004 – 8 AZR 112/03, zu II. 2. b) bb) (1), BAGE 109 S. 265 =
DB 2004 S. 1944 = AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3.
23
Vgl. BAG vom 19. 8. 2010, a.a.O. (Fn. 11), Rdn. 61, fu¨r das Merkmal Alter;
vom 13. 10. 2011 – 8 AZR 608/10, Rdn. 49, DB0470179 = EzA AGG § 15
Nr. 16; vom 17. 8. 2010, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 45, fu¨r das Merkmal Behin-
derung.
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Arbeitsrecht
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