52
I
5.
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3
ZPO, da das LAG nicht sa¨mtliche von der Kla¨gerin vorgebrachten Tatsa-
chen gewu¨rdigt hat und der Senat nach § 286 ZPO nicht seine Wu¨rdi-
gung an die Stelle der Wu¨rdigung des Tatsachengerichts setzen darf.
53
I
II.
Die Revision der Beklagten ist auch begru¨ndet, soweit sie
sich gegen eine Verurteilung zur Zahlung eines Schadenersatzes
wendet. Der von der Kla¨gerin begehrte materielle Schaden-
ersatzanspruch gem. § 15 Abs. 1, §§ 7, 1 AGG i. V. mit
§§ 249, 252 BGB kann mit der Begru¨ndung des LAG nicht be-
jaht werden. . . .
54 . . . 55
I
III.
Die Anschlussrevision ist gem. § 72 Abs. 5 ArbGG,
§ 554 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. . . .
56
I
1.
. . .
Ob der Kla¨gerin u¨berhaupt Schadenersatz- oder Entscha¨di-
gungsanspru¨che zustehen, kann nicht abschließend beurteilt werden.
Ho¨he der Entscha¨digung muss in angemessenem Verha¨ltnis
zum Schaden stehen und geeignet sein, den Arbeitgeber zur
Pflichterfu¨llung (nach AGG) anzuhalten und Dritte von Ver-
sto¨ßen abzuhalten
57
I
2.
Sollte das LAG zu dem Ergebnis gelangen, dass der Kla¨-
gerin eine Entscha¨digung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, wird
es u¨ber die Ho¨he der Entscha¨digung neu zu befinden haben.
Die Rechtsprechung des EuGH verlangt, dass die Sanktion in
einem angemessenen Verha¨ltnis zum erlittenen Schaden stehen
muss
24
.
Die Ho¨he der Entscha¨digung muss geeignet sein, den
Arbeitgeber zuku¨nftig zur ordnungsgema¨ßen Erfu¨llung seiner
Pflichten nach dem AGG anzuhalten (spezialpra¨ventive Funk-
tion) und Dritte von a¨hnlichen Versto¨ßen abzuhalten (general-
pra¨ventive Funktion). Kommt dem Schadensersatz ein Sankti-
onszweck zu, so ist dieser aber durch den Schadensausgleichs-
gesichtspunkt begrenzt
25
.
Entscheidend ist, dass der immateriel-
le Schaden kompensiert wird. Die Erwa¨gung des LAG, eine ho¨-
here Entscha¨digung als 2.500 € sei deshalb nicht gerechtfertigt,
weil die Kla¨gerin relativ schnell eine anderweitige Bescha¨ftigung
hat aufnehmen ko¨nnen, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das
LAG hat, ohne dass es dies ausdru¨cklich ausgesprochen ha¨tte,
angenommen, mit der Aufnahme der anderweitigen Bescha¨fti-
gung habe die Beeintra¨chtigung geendet und zeitige keine Fol-
gen mehr. Allerdings genoss die Kla¨gerin in ihrem neuen Ar-
beitsverha¨ltnis – anders als im Arbeitsverha¨ltnis zur Beklagten –
jedenfalls fu¨r die Dauer von sechs Monaten keinen Ku¨ndigungs-
schutz. Daher hielt auch nach der Aufnahme der anderweitigen
Bescha¨ftigung die Interessenscha¨digung an. Diese Interessen-
scha¨digung wu¨rde auch nicht durch Gewa¨hrung des von der
Kla¨gerin begehrten materiellen Schadenersatzes ausgeglichen.
Mit der gegebenen Begru¨ndung kann daher die Begrenzung der
Entscha¨digung auf 2.500 €, was etwa dem 1,6-Fachen eines
Bruttomonatsverdiensts entspricht, nicht gerechtfertigt werden.
Im U¨ brigen kommt mit Ru¨cksicht auf den Pra¨ventionszweck
auch eine Beru¨cksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfa¨hig-
keit des Arbeitgebers in Betracht.
Hinweis des Senats:
Forts. der Senatsrspr. zu Indizien aus Quoten oder
Statistiken, vgl. BAG vom 27. 1. 2011 – 8 AZR 483/09, DB 2011
S. 1114; und vom 22. 7. 2010 – 8 AZR 1012/08, DB 2011 S. 177.
Weiterfu¨hrender Hinweis:
Der Arbeitgeber hatte Auskunft oder Aus-
ku¨nfte u¨ber die Gru¨nde seines benachteiligenden Handelns gegeben.
Daher konnte es der Senat dahinstehen lassen, ob er zu einer solchen
Auskunft vorliegend auch verpflichtet gewesen wa¨re.
Redaktioneller Hinweis:
Volltext unter DB0529270.
24
Vgl. EuGH vom 22. 4. 1997 – Rs. C-180/95, Draehmpaehl, Rdn. 27, 32,
EuGHE 1997 S. I-2195 = DB 1997 S. 983 = AP BGB § 611a Nr. 13 = EzA BGB
§ 611a Nr. 12; vom 2. 8. 1993 – Rs. C-271/91, Marshall, EuGHE 1993
S. I-4367; BAG vom 22. 1. 2009, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 82.
25
Vgl.
Da¨ubler/Bertzbach-Deinert
, 2.
Aufl., § 15 Rdn. 14;
Adomeit/Mohr
,
AGG,
2.
Aufl., § 15 Rdn. 73;
Meinel/Heyn/Herms
,
AGG, 2. Aufl., § 15 Rdn. 62 f.;
Stoffels
,
RdA 2009 S. 204 (205 f.).
Befristeter Arbeitsvertrag/Verfahrensrecht
Befristungskontrollklage: Verla¨ngerte Anrufungs-
frist des § 17 Satz 2 TzBfG i. V. mit § 6 Satz 1
KSchG entsprechend
Ausreichend Erwa¨hnung der konkreten Befristungsabrede in
der Klagebegru¨ndung
TzBfG § 14 Abs. 1 Satz 1, § 17 Satz 1 und Satz 2; KSchG § 6;
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1
1.
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass die Befristung
seines Arbeitsvertrags rechtsunwirksam ist, so muss er nach
§ 17 Satz 1 TzBfG innerhalb von drei Wochen nach dem ver-
einbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrags Klage beim
Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeits-
verha¨ltnis aufgrund der Befristung nicht beendet worden
ist. Nach § 17 Satz 2 TzBfG gilt u. a. § 6 KSchG entspre-
chend.
2.
Nach § 6 Satz 1 KSchG kann sich ein Arbeitnehmer, der in-
nerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Ku¨n-
digung im Klageweg geltend gemacht hat, dass eine rechts-
wirksame Ku¨ndigung nicht vorliege, in diesem Verfahren bis
zum Schluss der mu¨ndlichen Verhandlung erster Instanz zur
Begru¨ndung der Unwirksamkeit der Ku¨ndigung auch auf in-
nerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gru¨nde beru-
fen. § 6 Satz 1 KSchG ist entsprechend anzuwenden, wenn
der Arbeitnehmer auf andere Weise im Klageweg – etwa
durch eine Lohn- oder Weiterbescha¨ftigungsklage – deutlich
gemacht hat, dass er eine bestimmte Ku¨ndigung nicht gegen
sich gelten lassen will. Das gilt aufgrund der in § 17 Satz 2
TzBfG angeordneten entsprechenden Anwendung von § 6
KSchG auch bei einer Befristung.
3.
Es kann offen bleiben, ob eine innerhalb von drei Wochen
nach dem Ende des befristeten Arbeitsvertrags erhobene,
auf die Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverha¨ltnis-
ses gerichtete Klage i. S. von § 256 Abs. 1 ZPO in jedem Fall
die Klagefrist hinsichtlich einer innerhalb der verla¨ngerten
Anrufungsfrist nach § 6 Satz 1 KSchG zum Gegenstand der
Klage erhobenen Befristungsabrede wahrt. Jedenfalls dann,
wenn in der Klagebegru¨ndung zu dem innerhalb der Dreiwo-
chenfrist beim Arbeitsgericht erhobenen allgemeinen Fest-
stellungsantrag die spa¨ter streitgegensta¨ndliche Befris-
tungsabrede konkret genannt ist, ist eine entsprechende
Anwendung von § 6 Satz 1 KSchG i. V. mit § 17 Satz 2 TzBfG
gerechtfertigt.
(
Orientierungssa¨tze der Richterinnen und Richter des BAG)
BAG-Urteil vom 15. 5. 2012 – 7 AZR 6/11
u
DB0526776
Die Parteien streiten daru¨ber, ob zwischen ihnen „u¨ber den 31. 3. 2009
hinaus ein unbefristetes Arbeitsverha¨ltnis besteht“.
Der Kla¨ger war bei dem beklagten Land als Lehrkraft fu¨r das Fach Ma-
thematik an der Hochschule V in der Zeit vom 1. 9. 2005 bis 31. 3.
2009
aufgrund von insgesamt sechs befristeten Arbeitsvertra¨gen be-
2582
Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012