Rheinisches Ärzteblatt 01/2023

18 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2023 Spezial von Krankenhäusern und Privathaushalten sei ein Großteil der Medikamentenrückstände nachgewiesen worden. Die meisten Spurenstoffe der Arzneimittel aus den Haushalten stammten dabei Peifer zufolge von älteren Patienten, von denen manche zehn bis 15 Wirkstoffe parallel einnähmen. Durch den demografischen Wandel steige die Zahl der älteren multimorbiden Menschen, wodurch perspektivisch auch mehr Arzneimittel eingenommen, ausgeschieden und entsorgt würden, prognostizierte der Pharmazeut. Er schätzt, dass bis 2045 etwa 50 Prozent mehr rezeptpflichtige Arzneimittel abgegeben werden als heutzutage. Mehr als die Hälfte der im Abwasser nachgewiesenen Wirkstoffe stamme von Ausscheidungen der Patientinnen und Patienten, aber auch die unsachgemäße Entsorgung von flüssigenArzneimitteln in der Toilette trügen zur Verunreinigung bei, erklärte Peifer. Dies geschehe meist nicht böswillig, sondern sei insbesondere bei Patienten zu beobachten, die gewissenhaft ihren Müll trennten. Fast die Hälfte von ihnen kippe die flüssigen Arzneimittel in die Toilette oder das Spülbecken, um die Glasflasche danach im Glasmüll zu entsorgen. Aber auch Tablettenblister hat Peifer schon in den Sieben von Kläranlagen gefunden. Schaue man auf die Situation weltweit, gebe es vor allem an Pharmastandorten in China und Indien Probleme. Dort gelangten Arzneiwirkstoffe vielfach aufgrund von schlechtenUmweltstandards insWasser. In den Regionen, in denen sich die Weltmarktproduktion von Arzneimittelwirkstoffen konzentriere, seien bereits zahlreiche multiresistente Bakterien nachgewiesenworden. Durch die Globalisierung gelangten diese früher oder später auch in die nordrheinischen Mikrobiome. Angesichts dieser Entwicklung forderte Peifer, die Produktionsanlagen für Medikamente auf lange Sicht nach Europa mit seinen wesentlich höheren Umweltstandards zurückzuholen. Verheerende Folgen für die Natur DiemöglichenFolgen vonArzneimittelrückständen in Wasser und Umwelt für die Tierwelt seien nicht zu unterschätzen: Antiparasitika, die als Tierarznei gegebenwürden, hätten für Dung-Insekten eine toxische Wirkung. EndokrineWirkstoffe griffen in das HormonsystemvonTieren einundbeeinflusstenbeispielsweise dieHäutung. Antidepressiva seien vor allem für Fische gefährlich: Diese Wirkstoffe reicherten sich in deren Gehirnen an, wodurch die Fische ihren Gefahrensinn verlören. Die Folge: Die Fische werden mutiger, verlassen ihre Verstecke und fallen ihren Fressfeinden zum Opfer. Schmerzmittel im Wasser verursachten dagegen bei vielen Tieren Organschäden. So sei zumBeispiel in IndiendieWirkung vonDiclofenac in der Nahrungskette zu beobachten. Dort würden insbesondere Rinder mit dem Schmerzmittel behandelt, berichtete Dr. rer. nat. Gerd Maack vom Fachgebiet „Umweltbewertung Arzneimittel“ des Umweltbundesamtes in Dessau. Fräßen Geier die verendeten Tiere, stürben die Aasfresser infolge der Diclofenac-Rückständenicht seltenanNierenversagen. „Das ist eine Nebenwirkung, die auch auf dem Beipackzettel steht“, betonte Maack. Das scharenweise Sterben der Geier habe dazu geführt, dass sich Straßenhunde, die nicht selten an Tollwut litten, die ökologische Nische der Geier erschlossen hätten. Die Rinderkadaver böten denHunden optimaleNahrungsbedingungen. In der Folge sehe sich Indien nun mit der weltweit höchsten Tollwutrate konfrontiert. Aber nicht nur in Indien, sondern auch in Europa entfalteten Diclofenac-Rückstände eine verheerende Wirkung auf die heimische Fauna. In Spanien werde das Schmerzmittel ebenfalls als Tierarzneimittel eingesetzt. Auch dort fräßen Geier verendete Tiere und erlitten in der Folge ein Nierenversagen. Da die Vögel weite Strecken zurücklegten, seien auch Populationen aus Kroatien oder Bayern vonOrganschädenbetroffen. Im Wasser schade das Diclofenac den Fischen. Bachforellen seien deutlich weniger fruchtbarer, bei Jungfischen seien Schäden an den Nieren nachgewiesen worden und es komme nicht selten zu Fehlentwicklungen an den Kiemen. Ebenfalls folgenreich sind laut Maack Hormone, die in die Umwelt gelangen. Bei Um Resistenzen zu verhindern, sprach sich Professor Dr. rer. nat. Michael Müller vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Freiburg bei der Online-Fortbildung für einen gewissenhaften und restriktiven Einsatz von Antibiotika aus und plädierte für eine Nachhaltige Pharmazie als Zusammenspiel von Ökologie, Ökonomie und Bildung. Auch Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, plädiert für einen sorgsamen Umgang mit Antibiotika und sprach Defizite an. So habe eine Befragung der Weltgesundheitsorganisation ergeben, dass rund ein Drittel der Menschen aus 14 Ländern der Europäischen Union zuletzt Antibiotika eingenommen hätten, die nicht auf einer ärztlichen Verordnung beruhten, sondern rezeptfrei abgegeben wurden oder aus Restbeständen stammten. Mehr als der Hälfte der Befragten sei zudem nicht bekannt gewesen, dass Antibiotika nicht gegen Viruserkrankungen wie Erkältungen helfen, erklärte Henke. Damit sich angesichts der Dynamik der Resistenzentwicklung Investitionen in die Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika für die Pharmafirmen lohnen, schlug Müller alternative Vergütungsanreize vor, die von der Menge abgekoppelt sind. In England erhielten Konzerne beispiels- weise eine einmalige Abschlagszahlung für die Entwicklung neuer Antibiotika, unabhängig vom Umsatz. Müller plädierte zudem für mehr Prävention, um die Entstehung von Krankheiten wie Diabetes Mellitus und damit auch die Medikation zu vermeiden. Denn auch Antidiabetika seien eine Herausforderung für jede Kläranlage. Chancen Nachhaltiger Pharmazie

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