Rheinisches Ärzteblatt 12/ 2022

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 12 / 2022 33 kultur in einer Organisation gelebt wird. Führungsteamsbrauchteneingemeinsames Verständnis darüber, wie siemit kritischen Situationen umgehen. Zudem müssen der Expertin zufolge Führungspersonen ein komplett anderes Rollenverständnis entwickeln. Aufgabe der Führungsteams müsse sein, die Wahrnehmungsfähigkeit der Kolleginnen und Kollegen zu aktivieren und dafür die geeignetenRahmenbedingungen zu schaffen. Es brauche eine respektvolle und vertrauensvolle Atmosphäre ohne vorschnelle Schuldzuweisungen, so Gebauer. Das eigene System hinterfragen Sinnvoll sei, die eigenenMuster imUmgang mit kritischen Ereignissen zu beobachten, also Fragen zu stellen: Wie setzen wir CIRS imAlltag um, wer meldet undwie wird gemeldet? Müssen die Kolleginnen und Kollegen erst motiviert werden oder melden sie selbstständig? Gibt es vielleicht sogar nicht anonymisierteDiskussionen im Team? Gebauer selbst hat schon in vielen Krankenhäusern erlebt, dass Fehler zwar dokumentiert werden, für die Bearbeitung aber nur die Experten zuständig sind. Die Folge sei meist „Masse statt Klasse“, bemerkt Gebauer. Experten hätten gerade bei anonymisierten Prozessen nur wenig Zugang zu den Details, also zu den KolleginnenundKollegen, diedie Situation tatsächlich erlebt haben. Dabei seien diese sogenanntenExpertender Situationdiewichtig- sten Informationsgeber. Inmanchen Fällen erführen die Betroffenen zudem nicht einmal, welche Maßnahmen in Reaktion auf ein kritisches Ereignis entwickelt würden. Ziel sei daher, ein Umdenken in den Organisationen zu erreichen, sagt Gebauer. Das bedeute, kritische Ereignisse nicht unter den Teppich zu kehren, nicht erst nach schwerwiegenden Ereignissen zu rea- gieren oder sich hinter Regeln und Systemen zu verschanzen, sondern das Unerwartete zu suchen und sich darüber auszutauschen. Auf dieser Ebene könne es vielleicht auch möglich sein, kritische Ereignisse nicht anonym zu melden und sie stattdessen gemeinsam im Team aus verschiedenenPerspektiven zu beleuchten, so Gebauer. tionsberaterin. Anstatt aus kritischen (Beinahe-)Ereignissen zu lernen, also „wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, plädiert Gebauer dafür, mehr über die eigenen Bewältigungsmuster im Umgang mit Unerwartetem zu lernen. „Ich spreche eine Einladung aus, über Ungewöhnliches im Alltag zu sprechen“, erläutert Gebauer ihr Vorgehen, „Und zwar zueinemZeitpunkt, andemnochgar nichts schiefgelaufen ist.“ Mögliche Fragen seien zum Beispiel: Was ist heute anders? Was ist komisch? Was hält uns heute davon ab, sicher zu arbeiten? Und nach getaner Arbeit:Waswar unser Plan?Wann ist etwas Unerwartetes passiert und wie sind wir damit umgegangen? Möchten wir mit ähnlichen Ereignissen in der Zukunft wieder so umgehen oder nicht – auchwenn sie vielleicht zum Erfolg geführt haben? Aus verschiedenen Perspektiven auf die Situation schauen Wie eine Organisation mit Unerwartetem umgeht, hängt Gebauer zufolge von zwei Faktoren ab. Zum einen brauche es eine sogenannte „organisationale Resilienz“, also die Fähigkeit, sich gemeinsam schnell auf neue Situationen einstellen zu können. Das zweite Stichwort laute „kollektive Achtsamkeit“. Ziel hierbei ist es Gebauer zufolge, gemeinsam eine hohe Aufmerksamkeit für Unterwartetes, Besonderheiten und Abweichungen zu erzeugen und sich gemeinsamein gutes Bild von der Situation zumachen. „Bei kollektiver Achtsamkeit kommt es extrem darauf an, wie im Team Sinn erzeugt wird. Wir suchen nachkleinstenAbweichungenundmachen im Team mit unterschiedlichen Perspektiven daraus Sinn.“ Dabei sei wichtig, die Teaminteraktion zu steuern. „Nicht der, der am lautesten spricht, setzt sich durch“, betont Gebauer und schlägt vor, drei Schritte voneinander zu trennen, die häufig verdichtet werden: beschreiben, erklären und bewerten. Auf der Suche nach einer Erklärung gehe es darum, eine Hypothesenvielfalt zu erzeugen und sich nicht auf eine Hypothese zu versteifen. Laut Gebauer hängt es häufig von einzelnen Personen ab, wie die SicherheitsBerufsgruppenübergreifende Teams bilden Teilnehmen an dem Simulationstraining können nicht nur Ärztinnen und Ärzte. Auch Pflegepersonal ebenso wie Verwaltungsangestellte oder auchReinigungspersonal können den „Room of Horrors“ besuchen. Dubrey rät, im Vornherein berufsgruppenübergreifende Teams zu bilden, die dann innerhalb eines kleinen Zeitfensters von fünf bis zehn Minuten im „Roomof Horrors“ alle Fehler notieren, die ihnen auffallen. Es mache Sinn, feste Teams aus verschiedenen Berufsgruppen zubilden, sagt Dubrey. DieErfahrung zeige, dass sonst einzelne Berufsgruppen nicht teilnehmen. Zudem senke die Übung auch bei Beteiligten anderer Berufsgruppen die Hemmschwelle, Fehler zu melden. Die Patientenrisiken müssten in kurzer Zeit erkannt werden, da auch im Arbeitsalltag wenig Zeit bleibe. Der „Room of Horrors“ könne auch virtuell über eine Power Point Präsentation realisiert werden. Dubrey zufolge ist dies aber eher eine Notlösung. Die Szene im„Roomof Horrors“ knüpfe an das vorhandene Wissen an, gebe aber Hinweise, welche Risiken noch einmal verstärkt thematisiert werden müssten, sagt Dubrey. Vorteil sei, dass die Schulung nur wenig Zeit und (fast) kein Budget brauche und so gut wie überall realisiert werden könne – ob in einemPatientenzimmer, auf demFlur oder in jedemanderenRaum.Wie unterschiedlich die verschiedenen Beobachter auf Fehlersuche gehen, habe sich auch an diesem Tag wieder gezeigt, sagt Dubrey. Manche schauten sich zuerst den Patienten an, andere seine Akte. Während sich einige direkt im Team zusammenschlössen, erkundeten andere den Raum alleine. Fast immer fändendie Teams dabei mehr potenzielle Fehlerquellen, als bewusst eingebaut wurden. Nach dem Unerwarteten fragen „Ziel unserer Arbeit ist es immer, den Zeitpunkt des Lernensmöglichst weit nach vorne zu schieben“, sagt Dr. Annette Gebauer, Geschäftsführerin von Interventions for Corporate Learning (ICL) undOrganisaForum Ärztliche Körperschaften im Internet Ärztekammer Nordrhein www.aekno.de Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein www.kvno.de

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