‚Mertes‘ Erinnerungen
an DGF
Das Gespräch begann mit
Verspätung. Mit meiner Verspätung. Eines der
Cafés nahe dem Weser-Stadion – so hatte es
mir Mediendirektor Tino Polster gesagt.
Ich dachte, ich wüsste welches.
D
och als ich davor stand
und Per Mertesacker
eine Viertelstunde nach
der vereinbarten Zeit
immer noch fehlte, dämmerte
mir, dass ein anderes Bistro als
Treffpunkt gemeint war, die Stra-
ße 150 Meter runter. Da saß er
schon zurückgelehnt auf einem
Ecksofa und trank Tee.
Werder ging
als Tabellenführer
in die Rückrunde und wollte
Meister werden in diesen Januar-
Tagen 2007. Dieser Mut hing
auch mit Mertesacker zusam-
men, denn der Sommer-Zugang
aus Hannover verteidigte an
der Seite Naldos formidabel. Ein
klassischer Reporter-Job: großes
Interview, Seite eins der Sonn-
tagszeitung. Mertesacker, gerade
aus dem Hotel in seine erste ei-
gene Wohnung gezogen, erzählt,
wie er im Jahr nach dem Som-
mermärchen mit Werder Meis-
ter werden will. Es dürfe ruhig
ein bisschen menscheln, sagte
Frankfurt.
Doch das Gespräch
trug uns wo-
anders hin. In die Vergangenheit.
Mertesacker, immer schon für
Randaspekte des Spiels zu begeis-
tern, erzählte von früher, B- und
A-Jugend-Regionalliga mit Han-
nover 96. „Wo man da überall ge-
spielt hat! Bei welchen Vereinen“,
hob Mertesacker an, kramte in
seinem Gedächtnis und holte
das hervor, was ihm am exo-
tischsten erschien: „DGF Flens-
burg.“ Ganz langsam sprach er
die drei Buchstaben aus: D-G-F.
Nicht wissend, wofür sie ste-
hen: Dansk Gymnastik Forening
Flensborg, größter Verein der dä-
nischen Minderheit in Flensburg.
Bekannt für gute Jugendarbeit.
DGF. Die Perle meiner Kindheit
und Jugend, mein zweites und
manchmal erstes Zuhause zwi-
schen 1976 und 1989.
Mein Herz pochte:
Ich konnte
mit Per Mertesacker über DGF
plaudern! Wen interessierte da
Werder... Ich gab mich als Flens-
burger, als DGFer zu erkennen.
Er erinnerte eine lange Anfahrt
(311 Autobahn-Kilometer), einen
hohen Sieg (naja, 4:0) und einen
schlechten Rasen (falsch, wir
hatten den besten Platz Flens-
burgs). „Und das Umkleidehaus
war ziemlich neu.“ Stimmte. Das
alte, in dem es immer nur lau aus
den Duschen tröpfelte und in das
die unheimlichen Jungs aus dem
Erziehungsheim nebenan mal
einbrachen und unsere Wertsa-
chen stahlen, war längst abgeris-
sen. Ich weiß das alles wie heute,
der verschossene Elfmeter gegen
Rödemis, das gebrochene Schlüs-
selbein gegen Fahrdorf, das his-
torische 1:0 gegen Holstein Kiel.
Nicht umsonst fragt mich meine
Frau, wenn sie nicht einschla-
fen kann: „Erzählst du mir eine
DGF-Geschichte?“
Mit Per Mertes-
acker
konnte man
wunderbar über
f r üher reden;
er schien sogar
interessiert an
meinen Anekdo-
ten. Für ihn war
DGF Flensborg
Chiffre für eine
Busfahrt an die
dänische Gren-
ze mit einem
hohen Sieg gegen einen schwa-
chen Kontrahenten. Eine Petites-
se inmitten einer Welt-Karriere.
Für DGF waren Spiele der da-
mals höchsten Jugendklasse ge-
gen Nachwuchsteams der Profi-
Clubs Höhepunkte, von denen
man heute noch redet: „Wisst
ihr noch, als der Mertesacker als
A-Jugendlicher hier gespielt hat?“
Wir haben noch
über Pers neue
Wohnung gesprochen, seine Mö-
bel und seinen Fernseher. Auch
ein bisschen über Fußball und
Werder. Ich ließ DGF raus aus
dem Interview. Die Möbel blie-
ben drin. In der Konferenz am
Montag hagelte es Kritik. Viel
zu wenig Fußball sei enthalten,
zu wenig fachlich sei das Inter-
view. Das Menscheln nicht über-
treiben, war der Hinweis aus
Frankfurt für kommende Aufga-
ben. Ach ja. 1.000 Leser, 1.000
Meinungen. Ich hätte doch DGF
reinbringen sollen.
Frank Heike
FRANK HEIKE
wurde 1969 in Flensburg gebo-
ren und schreibt mit Unterbre-
chungen seit 2003 aus Hamburg
als ‚fester Freier‘ für die FAZ
über Werder und die weiteren
Nord-Clubs der Bundesliga.
Foto: Getty Images
WERDER MAGAZIN 301 79
WERDER-ERINNERUNGEN
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