WERDER MAGAZIN Nr. 318 - page 75

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anz Bremen fiebert
dem 100. Nordderby
entgegen, deshalb fal-
len mir bei den ‚Spielen
meines Lebens‘ natürlich auch so-
fort Partien gegen den Hamburger
SV ein. Ich bin in Hamburg gebo-
ren und aufgewachsen, das mach-
te die ohnehin schon emotional
aufgeladenen Spiele gegen den
HSV für mich noch einen Tick
besonderer. Wenn wir in Ham-
burg spielten, kamen viele meiner
Freunde ins Stadion, die dann im-
mer etwas zwiegespalten waren.
Sollten sie zu ihrem Club halten
oder doch lieber zu ihrem Kum-
pel? Die Duelle gegen den HSV
habe ich persönlich jedenfalls in
sehr positiver Erinnerung, mir
sind fast immer gute Spiele ge-
lungen. So auch beim allerersten
Mal. Ich kam in der 76. Minute
für Frank Neubarth auf den Platz
und schoss nur drei Minuten spä-
ter mein erstes Bundesliga-Tor.
Das beste Spiel
meiner Karriere
machte ich allerdings erst Jahre
später: Europapokal der Pokal-
sieger 1992, Halbfinal-Rückspiel
gegen den FC Brügge. In Belgi-
en hatten wir 0:1 verloren – ein
ärgerliches Ergebnis. Bekommt
man im eigenen Stadion nur
ein Gegentor, muss man gleich
drei Mal treffen. Was also tun?
Voll draufgehen? Oder doch
lieber abwartend spielen? Otto
Rehhagel entschied sich für ers-
teres und beorderte mich in die
Innenverteidigung. Dort sollte
ich mich einerseits um Brügges
Superstürmer Daniel Amoka-
chi kümmern, zum anderen
aber auch unseren Spielaufbau
unterstützen. Eine echte Her-
kulesaufgabe, zumal auch die
Gesamtkonstellation etwas
schwierig war. In Brügge hatten
uns die belgischen Fans ohne
Ende provoziert. Und jetzt, im
Weser-Stadion, wurden schon
vor dem Spiel einige Zuschau-
er durch Leuchtmittel verletzt.
Tatsächlich gelang es uns aber,
die ganze Szenerie in positive
Aggressivität umzusetzen. Wir
waren von der ersten bis zur
letzten Minute voll fokussiert,
schließlich eröffnete uns das
Halbfinale eine einmalige Chan-
ce. Und Amokachi? Den hatte
ich gut im Griff! Mehr noch:
Nach einer Stunde Spielzeit leg-
te ich Manfred Bockenfeld sogar
das 2:0 auf. Finale!
Bis dahin
war es allerdings ein
weiter Weg. Zum Beispiel im
Viertelfinale bei Galatasaray Is-
tanbul, das war unglaublich. Erst
landeten wir – Mitte März – im
Schneegestöber, dann rissen uns
die ‚Gala‘-Fans morgens um 5.00
Uhr mit lautstarkem Getröte aus
dem Schlaf. Aber es kam noch
besser. Im Stadion ließ man uns
hinter verschlossenen Gittern
warten. An ein vernünftiges Auf-
wärmprogramm war nicht zu
denken, auf den Rasen durften
wir erst zehn Minuten vor dem
Anpfiff.
Aber nun zum Endspiel:
In Lissa-
bon lief es für mich leider weni-
ger gut. Wir alle waren sichtlich
nervös. Ich weiß noch, dass mir
Uli Borowka einen Pass zuspiel-
te, aber statt an meinem Fuß zu
kleben, rutschte der Ball unter
der Sohle durch und kullerte ins
Aus. Zu allem Überfluss zog ich
mir nach einer halben Stunde
auch noch einen Muskelfaserriss
zu. Bitter! Für mich war der Eu-
ropapokal-Gewinn trotzdem der
nachhaltigste aller Titel. In unse-
rer Vereinshistorie ist es ein ein-
maliger Triumph – und dadurch,
dass der Wettbewerb gar nicht
mehr existiert, wird sich daran
auch nichts ändern.“
Aufgezeichnet von Jörn Lange
Fotos: picture-alliance, imago
Von der Elbe an die Weser
Thomas Wolter 1984 (kleines Foto) und 1993 (großes
Foto) – der gebürtige Hamburger spielte insgesamt 14 Jahre lang für den SV
Werder in der Bundesliga und absolvierte dabei 312 Partien. Im Europapokal
musste er mit seinem Team 1992 im Schneegestöber von Istanbul bestehen.
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SPIELE MEINES LEBENS
Abenteuerreise nach
Istanbul
Werder-Idole erinnern sich an ihre
größten Spiele in grün-weiß. Heute: Thomas Wolter
über Sternstunden gegen Hamburg und Brügge, kurio-
se Türkei-Aufenthalte und ein zwiespältiges Finale.
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