WERDER MAGAZIN Nr. 319 - page 73

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evor meine Karriere
rich-
tig in Schwung kam,
musste ich erst mal eine
herbe Enttäuschung
verdauen. Als 19-Jähriger bekam
ich die Chance, beim Hambur-
ger SV vorzuspielen. Für mich
als gebürtiger Hamburger eine
fantastische Geschichte, aller-
dings wurde mir schnell klar,
dass dieses Star-Ensemble um
Horst Hrubesch, Felix Magath
und Manfred Kaltz nicht gera-
de auf mich gewartet hatte. Die
Entscheidung von Trainer Ernst
Happel fiel eindeutig aus: kein
Bedarf.
Bei Concordia Hamburg
war ich
gerade zum ‚Oberliga-Spieler des
Jahres‘ gewählt worden. Heute
könnte man sich als bester Spie-
ler der dritten Liga wohl kaum
vor Angeboten retten, Anfang
der Achtziger musste man aber
zusehen, dass man überhaupt
irgendwo unterkam. Probetrai-
ning folgte auf Probetraining
– bis ich beim SV Werder ein
Zuhause fand. Um zu verstehen,
wie ich mich Ende Januar 1983
gefühlt habe, sind diese Umstän-
de nicht ganz unwichtig.
Zu Beginn
der Rückrunde
1982/1983 empfingen wir den
HSV im Weser-Stadion. Für mich
war es das erste Nordderby über-
haupt, ein Wahnsinnsgefühl!
Kurz vorher verfolgte ich die
Spiele des HSV noch als Zuschau-
er im Stadion, jetzt stand ich die-
ser legendären Truppe plötzlich
auf dem Rasen gegenüber. Und
es kam noch besser: Kurz vor der
Pause schlug Benno Möhlmann
einen Freistoß in den Strafraum,
und ich köpfte den Ball an Ham-
burgs Keeper Uli Stein vorbei
ins Netz. 2:0 – ich dachte, ich
träume. Dass wir am Ende 3:2
gewannen und dem HSV die ers-
te Niederlage nach über einem
Jahr beibrachten, machte den
Tag perfekt. Wahrscheinlich war
ich aber noch ein bisschen glück-
licher als alle anderen Bremer.
Schließlich hatte ich gerade erst
mein drittes Bundesliga-Tor er-
zielt – und das ausgerechnet ge-
gen den vermeintlich unbesieg-
baren Hamburger SV, der mich
nur wenige Monate zuvor für
uninteressant befunden hatten.
Im Rennen
um den Meistertitel
zogen wir 1983 zwar den Kür-
zeren, dafür spielten wir in den
Folgejahren immer international.
Für mich zählten die Auftritte
im Europapokal stets zu den
Highlights. Im Ausland war al-
les anders, da waren schon die
Reisen spannend. Nach Bacau in
Rumänien haben wir 1991 nicht
nur einen Koch mitgenommen,
sondern auch unsere eigene Bett-
wäsche. Ein Hotel suchte man
in Bacau vergebens, stattdessen
schliefen wir in einer Station des
‚Roten Kreuz‘.
Ich hatte
auf internationalem
Parkett eine ganz gute Torquote,
so dass mir die Medien irgend-
wann den Spitznamen ‚Mister
Europacup‘ verpassten. Ein
Grund dafür war das erste ‚Wun-
der von der Weser‘ gegen Spartak
Moskau, an dem ich nicht ganz
unbeteiligt war. In Moskau hat-
ten wir uns mit 1:4 blamiert,
nun wollten wir uns zumindest
vernünftig aus dem Wettbewerb
verabschieden. Eine Sensation
traute uns wohl kaum jemand
zu, jedenfalls kamen nur 16.000
Zuschauer ins Weser-Stadion,
die wegen des dichten Nebels
auch noch mit schlechter Sicht
zu kämpfen hatten. Mir aber ge-
lang an diesem Tag fast alles. Das
Spiel hatte kaum begonnen, da
köpfte ich die 1:0-Führung. Nach
nur zehn Minuten traf ich dann
zum 2:0, danach wussten wir:
Hier ist alles möglich. Der Rest
ist Geschichte...“
Aufgezeichnet von Jörn Lange
Fotos: picture-alliance, imago
Kopfballstarker Torjäger
Frank
Neubarth spielte von 1982
bis 1996 für den SV Werder.
Großes Foto: Neubarth mit
Mirko Votava (li.) und Manfred
Burgsmüller (re.).
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SPIELE MEINES LEBENS
Vom Derby-
Helden zum
‚Mr. Europa-
cup‘
Werder-Idole
erinnern sich an ihre
größten Spiele in grün-
weiß. Heute: Frank
Neubarth über Derby-
siege, Übernachtungen
beim Roten Kreuz und
das erste ‚Wunder von
der Weser‘.
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