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reichenderWahrscheinlichkeit der Verdacht auf eine

Appendizitis ergeben und zu einer früheren Einweisung

und operativen Therapie führen müssen. Zu Lasten des

Arztes war imWege der Beweislastumkehr davon auszu-

gehen, dass die Appendixperforation durch rechtzeitige

Operation vermeidbar gewesen wäre

(Fall Nr. 2004/1135)

.

Dokumentationsmängel

Sind ärztlich gebotene Maßnahmen nicht dokumentiert

worden, kann dies indizieren, dass sie tatsächlich unterblie-

ben sind.Wird dadurch ein grober Behandlungsfehler indi-

ziert, können Dokumentationsmängel auch zu der Vermu-

tung führen, dass dadurch Gesundheitsschäden eingetreten

sind (Kausalitätsvermutung).

Beispiele:

Infolge von Dokumentationsmängeln, die eine Aufklä-

rung des Behandlungsgeschehens unmöglich machten,

trugen die Ärzte die Beweislast dafür, dass die im Zu-

sammenhang mit der Lagerung zu einer Gastrektomie

oder mit der Anlage eines zentralen Venenkatheters

entstandene obere Plexuslähmung nicht auf Sorgfalts-

mängeln beruhte. Dieser Beweis wurde nicht geführt

(Fall Nr. 1999/0043)

.

Aufgrund des Fehlens jeglicher Dokumentation über

eine in mehreren Sitzungen vorgenommene Rubin-

Lasertherapie traf den beschuldigten Chirurgen die

Beweislast für fehlerfreies Vorgehen bei der Entfernung

einer Tätowierung am streckseitigen linken Unterarm,

an dem Restpigmentierungen verblieben, zu deren Be-

seitigung weitere Laserbehandlungen erforderlich

waren

(Fall Nr. 2001/0048)

.

Voll beherrschbares Risiko

Nach den Grundsätzen des voll beherrschbaren Risikos hat

der Arzt eine Verschuldensvermutung zu entkräften, wenn

feststeht, dass die Schädigung aus einem Bereich stammt,

dessen Gefahren ärztlicherseits voll ausgeschlossen werden

können und müssen

(Steffen/ Pauge a. a. O. Rn 500 ff. m. w.

N.; Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht,

Kap. 7, Anm. 375)

. In einer Entscheidung jüngeren Datums

hat der Bundesgerichtshof (BGH) nach diesen Grundsätzen

eine Haftung des Arztes für die Entstehung eines Spritzen-

abszesses durch den Erreger Staphylokokkus aureus wegen

Hygienemängeln festgestellt

(BGH vom 20.03.2007 – VersR

2007, 847)

. In diesem Fall hatte eine erkrankte Arzthelferin,

die nachweislich selbst Trägerin des genannten Erregers

war, die beanstandete Injektion vorgenommen. Mit Rück-

sicht auf die in dem Rechtsstreit erwiesene Missachtung

hygienischer Vorsichtsmaßnahmen in der Praxis wurde die

Beweislast dafür, dass alle organisatorischen und technischen

Vorkehrungen gegen von dem Praxispersonal ausgehende

vermeidbare Keimübertragungen getroffenwaren,sie also kein

Verschulden an der Nichtbeachtung der Hygieneerforder-

nisse traf, auf die beklagten Ärzte verlagert. Diesen Entlas -

tungsbeweis konnten dieÄrzte nicht führen und mussten des-

halb für die Folgen der Infektion haftungsrechtlich einstehen.

Beim Einsatz eines medizinischen Gerätes kommt eine Haf-

tung des Arztes nur in Betracht, wenn er es zu verantworten

hat, dass sich das Gerät nicht in einem ordnungsgemäßen

technischen Zustand befindet, oder wenn er das Gerät nicht

ordnungsgemäß bedient und überwacht hat. Diese Voraus-

setzungen sind für den Fall verneint worden, dass geräte-

seitige technische Vorkehrungen zur Fehlerkontrolle (hier:

eines Bestrahlungsgerätes) vorhanden sind, die bei Nicht-

übereinstimmung von gewählter Spannungsstufe und Fil-

tereinstellung automatisch die Abgabe von Strahlung

verhindern, so dass manuell keine Kombinationen zu erzeu-

gen sind, die einen Strahlenschaden verursachen können

(BGH, Beschluss vom 13.02.2007 – VersR 2007, 1416)

.

Beweisvereitelung

Wird durch fahrlässige oder vorsätzliche Vernichtung von

erkennbar erheblichen Beweismitteln (z. B. Krankenunter-

lagen, Röntgenaufnahmen) die Beweisführung erschwert

oder vereitelt, kann dies in entsprechender Anwendung von

§ 444 ZPO

ebenfalls zu Beweiserleichterungen bis zur Um-

kehr der Beweislast führen.

Beispiele:

Weil die mikroskopischen Präparate der nach Amnio-

zentese vorgenommenen Chromosomenanalyse vor Ab-

lauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden sind,

traf die Beweislast dafür, dass eine strukturelle Chromo-

somen-Aberration nicht schuldhaft verkannt wurde, den

beschuldigten Frauenarzt

(Fall Nr. 1996/0450)

.

Die Lagerung von Gewebeproben in Plastiksäcken stellt

einen Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen

Aufbewahrung von Befundträgern dar und kann zu Be-

weiserleichterungen führen. Ein Verstoß gegen die

Befundsicherungspflicht kann ein grober Behandlungs-

fehler sein

(OLG Hamm, Urteil vom 12.12.2001 – 3 U 119/00 –,

AHRS Teil III 6445/300)

.

Mitverschulden des Patienten

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des

Patienten mitgewirkt, kann die Pflicht zum Schadensersatz

nach

§ 254 BGB

gemindert sein. Ein Mitverschulden des

Patienten kann in Betracht kommen, wenn der Patient den

Arzt zu spät aufgesucht, eine gebotene risikoarme und er-

folgversprechende Therapie verweigert, keine hinreichen-

de Compliance gezeigt, verschriebene Medikamente nicht

eingenommen, ärztliche Verhaltensmaßregeln nicht einge-

halten, sich entgegen ärztlicher Anweisung oder trotz

Verschlechterung seines Gesundheitszustands nicht wieder

vorgestellt oder durch zu häufigen Arztwechsel Diagnose

und Therapie erschwert hat.

Beispiel:

An der verzögerten Feststellung eines Riesenzelltumors

(Osteoclastom), die darauf zurückzuführen war, dass der

behandelnde Orthopäde eine röntgenologisch nachge-

wiesene bohnengroße zystenähnliche Aufhellung in der

Speichenbasis des rechten Handgelenks nicht sogleich

zum Anlass für weitergehende bildgebende Untersu-

chungen (CT/MRT) nahm, traf den Patienten ein Mit-

verschulden, weil er sich entgegen dem ihm erteilten Rat

nicht wieder bei dem Erstuntersucher vorgestellt hatte

(Fall-Nr.2005/1731)

.

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Gutachtliche Entscheidungen

Kausalität, Beweiswürdigung und Beweislastverteilung in der Arzthaftung