

Gutachtliche Entscheidungen
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tionsbestätigung erfolgten die regelhafte Operationsaufklä-
rung und die Veranlassung einer präoperativen HNO-ärzt-
lichen Befunderhebung einer intakten Stimmbandfunktion.
Die Operation wird bezeichnet als beiderseitige subtotale
Struma-Resektion und wird fachärztlich ausgeführt (Resek-
tat links 64 Gramm, rechts 75 Gramm). Nachoperativ ergibt
die anästhesiologische Überprüfung zunächst eine freie
Stimmbandbeweglichkeit. Wegen einsetzender Atemnot
wird kurzfristig die Reintubation erforderlich. Ein HNO-
ärztliches Konsil an je zwei Folgetagen stellt eine vollständi-
ge Stimmbandlähmung links und eine Minderbeweglichkeit
rechts fest. Bei ausgeprägter Heiserkeit war die Atmung
leidlich kompensiert. Die Entlassung erfolgte mit Thyroxin-
Medikation und derVerordnung von Logopädie am zehnten
Tag.
Der Operationsbericht schildert die Präparation des Kropfes
mit üblichen Gefäßunterbindungen, dann „Setzen der Pean-
Klemmen in die Kapsel, subtotale Resektion unter Mitnah-
me aller Knoten und Schonung des Verlaufes des Nervus
laryngeus recurrens – kleine Knoten werden intrakapsulär
entfernt“. Eine detaillierte, nachvollziehbare Schilderung
der präparatorischen Freilegung und Identifizierung des
Stimmbandnerven auf jeder Seite und dessen Sichtkontrolle
auf Unversehrtheit bei der Resektion erfolgt nicht. Das
Gleiche gilt für die Identifizierung der Nebenschilddrüsen.
Angesichts fortbestehender Stimm- und Atmungsbeein-
trächtigung mit fachärztlicherseits langzeitig bestätigtem
unveränderten Befund einer linksseitigen Nervus recurrens-
Parese und rechtsseitiger Stimmbandminderbeweglichkeit
wurde bezüglich der Folgen ein Behandlungsfehlervorwurf
erhoben.
Die Kommission hat den Vorwurf anerkannt und begründet,
dass der Dokumentationsmangel im Operationsprotokoll
nicht gestattet, die Ausführung des Eingriffes mit gebotener
Sorgfalt – also mit Nervendarstellung und Sichtkontrolle –
anzuerkennen, womit gültige Regeln zur Schadensvermei-
dung nicht beachtet wurden.
Fall 2
Bei einem 46 Jahre alten Mann wurde nuklearmedizini-
scherseits eine Knotenstruma von 110 ml mit multifokaler
Autonomie und latenter Hyperthyreose diagnostiziert. Es
erfolgte die Überweisung an eine HNO-ärztliche Klinikab-
teilung zur Operation, die als linksseitige Totalentfernung
und rechtsseitige subtotale Resektion ausgeführt wurde.Das
pathologisch-histologische Untersuchungsresultat des mit
180 Gramm angegebenen Resektates ergab linksseitig ein
0,57 mm im Durchmesser großes follikulär strukturiertes
papilläres Schilddrüsenkarzinom. Dieser Befund veranlass-
te zur Nachoperation zwecks Entfernung des kleinen
rechtsseits belassenen Drüsenrestes und nachfolgend zur
Empfehlung ergänzender Radio-Jod-Behandlung. Bei einer
späteren Kontrollszintigraphie mit sonographischer Bestäti-
gung fand sich ein etwa 13 ml großer Drüsenrest rechts,wes-
wegen eine erfolgreiche 131 Jod-Eliminierungstherapie aus-
geschlossen war. Der auf dringenden Patientenwunsch an-
derenorts durchgeführte zweite Wiederholungseingriff zur
Vervollständigung wurde wegen des risikoreich komplikati-
onsbedrohten Lokalbefundes abgebrochen.
DerVorwurf des Patienten eines Behandlungsfehlers bei der
zweiten Operation wurde durch eine Kommissionsentschei-
dung bestätigt. Als Begründung für die Anerkennung eines
Behandlungsfehlers wurde darauf verwiesen, dass bei einem
papillären Mikrokarzinom nach übereinstimmender Über-
zeugung der beteiligten Fachgesellschaften eine Lobektomie
der betroffenen Seite beziehungsweise eine beidseitige sub-
totale Resektion zur Gewährleistung der radikalen Entfer-
nung eines solchen histologischen Zufallsbefundes vollauf
ausreichend und eine Radikalitätsausweitung durch Reope-
ration unnötig ist. Des Weiteren hatte die Wiederholungs-
operation zur vollständigen Entfernung der Restschilddrüse
rechts gemäß szintigraphischem und sonographischem
Kontrollbefund mit einem noch immer nachweisbaren
Drüsenrest von circa 13 ml ihr Behandlungsziel verfehlt.
Fazit
Die Indikation zu operativer Behandlung sollte heute mit
konsequenter Vordiagnostik und multidisziplinärer Abstim-
mung (eventuell Zweitmeinung) erfolgen. Eine Aufklärung
über Behandlungsrisiken muss problemgerecht und voll-
ständig einschließlich der Erfolgsaussichten alternativer Be-
handlungsmöglichkeiten wahrgenommen werden. Chirur-
gischerseits ist ein nachvollziehbares Operationsprotokoll
gefordert, das den sichtkontrollierten Umgang mit verlet-
zungsgefährdeten Strukturen, wie Stimmbandnerven und
Nebenschilddrüsen zur Schadensabwendung belegt. Der
Einsatz des Neuromonitoring hat lediglich einen Empfeh-
lungscharakter und ist deshalb keine obligate Forderung.
Sein nutzbringender Einsatz bei radikalen oder Wiederho-
lungsoperationen ist belegt. Erforderliche nachoperative
Kontrolluntersuchungen und ergänzende Behandlungs-
empfehlungen sollten besprochen und im Abschlussbericht
ausgeführt werden.
Hans-Dietrich Röher, Beate Weber und Ulrich Smentkowski
Fehler und Gefahren bei Schilddrüsenoperationen