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Bei Patienten mit einem Prostatakarzinom ist die Entfer-

nung von Beckenlymphknoten eine wichtige Ergänzung der

operativen Prostataentfernung. Sie allein ermöglicht eine

verlässliche Information über die Tumorausdehnung in den

Lymphknoten und – bei geringgradigem Befall – potenzielle

Heilungschancen. Allerdings ist nach den einschlägigen

Leitlinien der Lymphknotenstatus nur dann von Bedeu-

tung, wenn eine kurative Behandlung möglich erscheint.

Ferner finden sich bei einer Lymphadenektomie Metastasen

mit einerWahrscheinlichkeit von mehr als zehn Prozent bei

einem PSA-Wert höher als 10ng/ml, bei einem Gleason-

Score höher als 6, bei einem Tumorbefall der Prostatabiop-

sien von mehr als 50 Prozent, bei einem Tumorstadium grö-

ßer T2. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, bei der

Durchführung einer Lymphadenektomie deren Eingriffs-

risiken gegen den Informationsgewinn abzuwägen. Als am

besten geeignete Methoden gelten die Sentinel- und die er-

weiterte Lymphadenektomie. Die Gutachterkommission

hatte sich wiederholt mit schwerwiegenden Komplikatio-

nen einer Lymphadenektomie zu befassen.

Sachverhalte

Fall 1

Der 60-jährige Antragsteller wurde bei bekannter Prostata-

hyperplasie wegen eines akuten Harnverhalts stationär auf-

genommen. Bei einem PSA-Wert um 2,8 ng/ml und einem

verdächtigen Tastbefund ergab die 10-Stanzen-Prostata-

biopsie eine Hyperplasie ohne Hinweis auf ein Karzinom.

Es erfolgte deswegen die transurethrale Prostataresektion.

Bei einem Resektatgewicht von etwa 30 Gramm zeigte sich

in zwei Gewebsspänen ein glanduläres Prostatakarzinom

mäßiger Differenzierung (Mikrokarzinom). Fünf Tage nach

der Prostataresektion wurden bei einer Computertomo-

graphie eine Infiltration des Harnblasenbodens sowie eine

lymphogene Metastasierung beschrieben. Eine Knochen-

szintigraphie war unauffällig.

Nach zwischenzeitlicher medikamentöser Androgenblocka-

de erfolgten bei einem PSA-Wert von 0,22 ng/ml eine wei-

tere Prostatabiopsie, eine Prostataresektion sowie eine laparo-

skopische Lymphadenektomie mit bipolarer Koagulation

auch entlang der äußeren Iliacalgefäße. Bei der patho-ana-

tomischen Untersuchung erwiesen sich alle Stanzbiopsien,

alle Prostataresektate sowie alle 50 Beckenlymphknoten als

tumorfrei.

In der Folgezeit kam es bei dem Antragsteller zu einem aus-

gedehnten generalisierten Lymphödem beider Beine, der

äußeren Genitalorgane und des gesamten Unterleibes und

Bauchraumes. Ferner wurde bei einem nephrotischen Syn-

drom eine chronische Glomerulonephritis diagnostiziert.

Gutachterlich wurde festgestellt, dass Kriterien der Indika-

tion zur Lymphadenektomie nicht vorlagen, dass der Patient

über die erhöhten Risiken einer erweiterten Lymphaden-

ektomie nicht aufgeklärt und dass die Sicherung des Lymph-

abflusses der Beine entlang der äußeren Iliacalarterie nicht

dokumentiert worden war. Die Gutachterkommission stell-

te in Übereinstimmung mit dem Fachgutachten einen Be-

handlungsfehler fest, der für die bei dem Antragsteller ein-

getretenen Gesundheitsschäden ursächlich war.

Fall 2

Bei dem 71-jährigen Antragsteller wurden wegen eines aus-

gedehnten Prostatakarzinoms geringer Differenzierung

(PSA-Wert 25,2 ng/ml, Gleason-Score 4+4, Tumorstadium

T3b) eine offene erweiterte Lymphadenektomie und eine

retropubische Prostatektomie ohne Nervenerhalt durchge-

führt. Hierbei wurden nach dem Operationsbericht „die

Lymphknotenstationen im Bereich der Fossa obturatoria,

der Arteria iliaca externa und interna unter sorgfältiger

Schonung des Nervus obturatorius präpariert.“ Ab dem

zweiten postoperativen Tag kam es neben einem Lymph-

ödem des rechten Beins zu einer motorischen Schwäche des

rechten Beins. Diese hielt auch nach wiederholter Punktion

und der Fensterung einer kleineren rechtsseitigen Lympho-

zele dauerhaft an. Als Ursache hierfür wurde bei einer neu-

rologischen Begutachtung etwa zehn Monate nach der Ope-

ration unter Ausschluss anderer Einwirkungen eine intra-/

perioperative Schädigung des rechtsseitigen Nervus femoralis

diagnostiziert.

Aus urologischer Sicht wurde gutachterlich festgestellt, dass

es bei der Entfernung der Beckenlymphknoten zu einer prä-

paratorischen Schädigung des Nervus femoralis gekommen

ist,weil entgegen den einschlägigen Literaturempfehlungen

anstatt der Vena iliaca externa die Arteria Iliaca externa als

seitliche Begrenzung der erweiterten Lymphadenektomie

gewählt wurde. Hierdurch war eine mechanische und/oder

thermische Verletzung des vor dem Leistenband der Arteria

iliaca externa unmittelbar anliegenden Nervus femoralis

durchaus möglich. Ferner war auch ein von den Operateu-

ren eingeräumter Hakenzug als vermeidbar fehlerhaft zu

bewerten. Der in der Sache gehörte neurologische Sachver-

ständige stellte fest, dass die Läsion des N. femoralis rechts

nicht durch operationsfremde Einwirkungen eingetreten

ist, sondern eine unmittelbare Folge der radikalen Prostat-

ektomie war. In Übereinstimmung mit beiden Fachgutach-

ten gelangte die Gutachterkommission zu dem Ergebnis,

dass nach wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischer

Erfahrung von einer vermeidbaren und damit vorwerfbar

fehlerhaften thermischen oder mechanischen intraopera-

tiven Nervenschädigung auszugehen sei.

Fall 3

Bei dem 62-jährigen Patienten wurde bei einem PSA-Wert

von knapp 11 ng/ml vor der geplanten perinealen Prostat-

ektomie nach einer Urethrozystoskopie die laparoskopische

pelvine Lymphadenektomie durchgeführt. Hierbei kam es

rechtsseitig zu einer Venenverletzung mit starker Blutung,

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Gutachtliche Entscheidungen

Fehler bei der Lymphadenektomie wegen eines Prostatakarzinoms

Eingriffsrisiken bei der Entfernung von Beckenlymphknoten erfordern die Beachtung einer

strengen Indikationsstellung