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Paravasate sind schwerwiegende Komplikationen der In-

fusionstherapie – insbesondere mit gewebenekrotisierenden

Zytostatika. Da Gegenmaßnahmen nur eine begrenzte Wir-

kung haben, steht die Prävention bei der Anlage intravenö-

ser Zugänge und ihrer Benutzung ganz imVordergrund. Be-

reits im Vorfeld muss der Patient für die Anzeichen einer

Paravasation sensibilisiert werden, da Nekrosen auch noch

nach längerer Zeit entstehen können. Sorgfaltsmängel be-

stehen vor allem in der unzureichenden Befunderhebung

und Dokumentation bei Verdacht einer beginnenden Para-

vasation sowie in der Fortführung der Infusion trotz Be-

schwerden.

Material

Paravasationen wurden in den letzten 6 Jahren in 0,8 Pro-

zent (58) der von der Gutachterkommission Nordrhein abge-

schlossenen 7.390 Verfahren vorgeworfen

(sieh Tabelle un-

ten)

. In 55 Prozent waren Zytostatika verabreicht worden;

knapp drei Viertel (23) davon erfolgten bei einem Mamma-

karzinom (entspricht knapp 3 Prozent der gegen Gynäkolo-

gen gerichteten Verfahren). Betroffen waren überwiegend

Krankenhausärzte: bei der Zytostatikagabe in 100 Prozent

und bei der intravenösen Verabreichung anderer Substan-

zen in 65,4 Prozent.

Behandlungsfehler

Vorwerfbare Behandlungsfehler bestätigten sich in 11 von

32 der wegen einer Zytostatikaparavasation (34,4 Prozent)

geführten Begutachtungsverfahren und in 9 von 26 Verfah-

ren mit Paravasation anderer Substanzen (34,6 Prozent),

davon bei 2 von 9 Praxisärzten (22,2 Prozent) und bei 7 von

17 Krankenhausärzten (41,2 Prozent). Von der Gutachter-

kommission wurde eine Haftung derÄrzte bei 3 von 9 durch

Zytostatika verursachte Dauerschäden und 8 von 23 passa-

geren Schäden bestätigt, darunter 5 von 9 erforderliche

Hauttransplantationen. Durch Paravasation anderer Sub-

stanzen traten 21 passagere und 5 Dauerschäden ein; zwei-

mal sollten die Ärzte für eingetretene Dauerschäden und

9-mal für passagere Schäden, darunter 3 von 4 Hauttrans-

plantationen, haftungsrechtlich eintreten.

Risikoaufklärung

Aufklärungsrügen wurden häufiger erhoben als im allge-

meinen Durchschnitt der Verfahren (16,4 Prozent), nämlich

in 8 von 32 Verfahren mit Zytostatikaverabreichung (25,0

Prozent) und in 5 von 26 Verfahren mit Gabe anderer Sub-

stanzen (19,2 Prozent); bestätigt wurden 4-mal Aufklärungs-

versäumnisse bei Zytostatika und 2-mal bei anderen Sub-

stanzen. Bei ansonsten fehlerfreier Behandlung (38 Verfah-

ren) führten die ohne rechtswirksame Einwilligung vorge-

nommenen Infusionen insgesamt 4-mal (davon 3-mal bei

Zytostatikagabe), d. h. in 10,5 Prozent zur Haftung des Arz-

tes für durch das Paravasat verursachte gesundheitliche Fol-

gen.

Prävention, Anforderungen und Fehler

Paravasationen sind bei der Anlage und Durchführung in-

travenöser Infusionen auch bei sorgfältigemVorgehen nicht

in jedem Fall vermeidbar. Insbesondere bei der Anwendung

von Zytostatika ist aufgrund der Gewebetoxizität besondere

Vorsicht geboten. In der Literatur wird eine Häufigkeit von

symptomatisch gewordenen Paravasationen von 0,1 bis 6,4

Prozent beschrieben [1].Ob diese auf vorwerfbare Sorgfalts-

versäumnisse zurückzuführen sind,wird von der Gutachter-

kommission entsprechend den Anforderungen der einschlä-

gigen Literatur jeweils im Einzelfall geprüft:

Indikation und Aufklärung

In jedem Begutachtungsverfahren wird zuallererst die Fra-

ge der Indikation zu der medizinischen Maßnahme geprüft.

Fehlt es hieran, so haftet derArzt für alle Folgen der Behand-

lung, auch wenn sie sachgerecht erfolgte. Die Haftung tritt

auch ein, wenn der Patient nicht über mögliche Folgen (Ri-

sikoaufklärung) und die Notwendigkeit seiner Mitwirkung

im Falle von Komplikationen – hier insbesondere Warnhin-

weise für den Fall einer Fehlinfusion– aufgeklärt worden ist.

Der Patient ist über den Eintritt einer Paravasation zu unter-

richten. Zeigen sich vor der Entlassung noch keine Folgeer-

scheinungen, so sind Handlungsanweisungen für den Fall

des Auftretens erforderlich (Sicherungsaufklärung).

Risikofaktoren

Gutachtliche Beanstandungen ergeben sich ferner,wenn bei

der Anlage des Venenkatheters patientenassoziierte Risiko-

faktoren unberücksichtigt bleiben [1,3].

Neben den substanzenbedingten Risikofaktoren wie Gewe-

betoxizität, Konzentration der Lösung oder Osmolarität

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Gutachtliche Entscheidungen

Paravasate sind immer Notfälle

Fehler und Gefahren bei der intravenösen Anwendung gewebeschädigender Arzneimittel –

Begutachtungsverfahren der Gutachterkommission Nordrhein

Tabelle: Gutachterkommission Nordrhein 2000–2005

Verfahren insgesamt

7.390 100,0%

Paravasat-Vorwurf

58

0,8%

Zytostatika

32 (55,2%)

Andere Substanzen

26 (44,8%)

Behandlungsfehler

20 (34,5%)

Zytostatika

11 (34,4%)

Andere Substanzen

9 (34,6%)

Aufklärungsrüge erhoben

1.212

16,4%

Zytostatika

8 (25,0%)

berechtigt

4 (12,5%)

Andere Substanzen

5 (19,2%)

berechtigt

2 (7,7%)