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Gutachtliche Entscheidungen

die Musterpackung eines Medikamentes herausgegeben

wurde, dessen Verfallsdatum um 2 Jahren überschritten

und das wegen gravierender Nebenwirkungen seit

5 Jahren vom Markt genommen war.

Unterlassen gebotener Maßnahmen

Werden schwerwiegende Fehler des Arztes festgestellt, die

aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen,

oder unterlässt der Arzt die gebotene Befunderhebung, die

mit hinreichender Sicherheit pathologische Ergebnisse er-

geben hätte, und wäre die Nichtreaktion auf diesen Befund

als grob fehlerhaft zu bewerten, kommt es zur Umkehr der

Beweislast zu Ungunsten des Arztes, mit der Folge der Haf-

tung für den weiteren Verlauf, wenn der Fehler generell ge-

eignet war, den Schaden herbeizuführen [2].

Kommt beispielsweise ein Augenarzt bei 10 Konsultationen

in 14 Jahren seiner Befunderhebungs- und Dokumentations-

pflicht nicht nach, so haftet er bei glaukombedingter Seh-

minderung.

Arbeitsteilung und Kommunikation

Arbeitsteilung

Bei horizontaler Arbeitsteilung zwischen gleichgeordneten

Ärzten verschiedener Fachabteilungen kann jeder beteiligte

Arzt in Grenzen darauf vertrauen, dass der mitwirkende

Spezialist sorgfältig untersucht und eine zutreffende Dia-

gnose gestellt hat, es sei denn es müssen ihm aufgrund be-

stimmter Tatsachen Zweifel kommen.

Für die vertikale Arbeitsteilung zwischen Ärzten in einem

Über-/Unterordnungsverhältnis gilt, dass die Gefahrenab-

wendung nicht nur Sache des Gehilfen, sondern auch des

behandlungsführenden Arztes ist. Die Führungsrolle des

Chefarztes entlastet den Assistenzarzt jedoch nicht von der

eigenverantwortlichen Überprüfung der stattfindenden Be-

treuung. Ein Übernahmeverschulden besteht in der nicht

notfallmäßigen Übernahme einer Behandlung, obwohl der

Arzt nicht über ausreichende Fachkompetenz verfügt.

Vertraglich haftet der Arzt auch für das Verschulden seiner

Erfüllungsgehilfen [4]. Dies gilt auch für die Aufklärung:

Fehlt sie, so ist die ergriffene Maßnahme rechtswidrig.Auch

bei Delegation derAufklärung durch den Chefarzt auf einen

anderen Arzt bleibt der Chefarzt in der Pflicht. Es kann je-

doch beispielsweise das Verschulden des Operateurs fehlen,

wenn er durch organisatorische Maßnahmen und Kontrol-

len sichergestellt hat, dass eine ordnungsgemäße Aufklä-

rung durch den nachgeordneten Arzt grundsätzlich sicher-

gestellt war [5].

Kommunikation

Kommunikationsstörungen zu Lasten des Patienten fanden

sich in 35 Verfahren:

Eine potentiell traumatische Intubation wurde postope-

rativ weder dem Nachbehandler mitgeteilt noch selbst

vom Anästhesisten kontrolliert.

Notdienstaufnahmen wurden nicht nach-begutachtet.

Ein pathologisches CTG wurde nicht einem Facharzt

vorgelegt.

Ein Chefarzt verließ den Operationssaal – nach Bei-

ziehen aus einer Notfallindikation – wieder, ohne eine

suffiziente Blutstillung sicherzustellen.

Eine Notfallverlegung erfolgte mit 40-minütiger Ver-

zögerung, da vorher das Brennen der CCT-Bilder nicht

möglich war.

Überwachung und Notfallmaßnahmen

Überwachungspflichten wurden bei 24 Patienten vernach-

lässigt:

Es erfolgten verfrühte Verlegungen von der Intensiv-

station.

Patienten wurden nach Sedierung beziehungsweise

Kreislaufbelastung allein gelassen, so beispielsweise eine

Gebärende mit vollständig eröffnetem Muttermund nach

Wannenbad oder ein älterer Patient auf einem Toiletten-

stuhl über 45 Minuten ohne Klingel.

Durch Sturz von der Untersuchungsliege kamen

5 Patienten zu Schaden.

Unbemerkt kam es 2-mal zur Unterbrechung der Sauer-

stoffzufuhr bei einem Transportbeatmungsgerät mit der

Folge einer schwersten Pflegebedürftigkeit.

Voll beherrschbares Risiko

Die Behandlerseite hat die Pflicht, einen generellen Sicher-

heitsstandard gegen bekannte Risiken zu gewährleisten.

Hierzu gehören beispielsweise die Kontrolle des ordnungs-

gemäßen Funktionierens von technischen Geräten, die tech-

nisch richtige Lagerung des Patienten, das Sicherstellen der

Entfernung eingebrachter Fremdkörper und auch Anforde-

rungen an die Hygiene. Die Beweislast, dass eine Schädi-

gung des Patienten nicht auf einen Sorgfaltsmangel zurück-

zuführen ist, obliegt dem Arzt [3].

Verbrennungsläsionen durch unzureichenden Umgang im

Zusammenhang mit Desinfektionsmittel und Koagulations-

strom traten bei 11 Patienten auf; ein Patient wurde durch

ein defektes Pulsoxymeter geschädigt. Eine unzureichende

Lagerung erfolgte bei 20 Patienten. Mangelnde Kontrolle

führte 11-mal zum intraoperativen Verbleib von Verbands-

stoffen und 25-mal kam es zum (teilweisen) Materialverbleib

von Instrumentarium, Katheterstücken und Osteosynthese-

teilen. Hygienemängel wurden 7-mal festgestellt. Verwechs-

lungen lagen 13-mal vor, darunter 5-mal bei der Seiten-

lokalisation, 7-mal bei Medikamenten und einmal beim Lin-

sentyp.

Fazit

Vor Fehlern ist niemand gefeit. Um eine Schädigung des Pa-

tienten zu vermeiden, ist jedoch eine ordnungsgemäße und

standardgerechte Organisation aller Untersuchungs- und

Behandlungsschritte sicherzustellen. Eine sorgfältige – auch

für andere Ärzte nachvollziehbare – Dokumentation aller

klinischen Befunde, diagnostischen und therapeutischen

Maßnahmen schützt den Patienten vor unnötigem Schaden

und den Arzt vor unberechtigt gestellten Ansprüchen. Zur

Gefahrenabwehr ist eine Sicherungsaufklärung für den Pa-

Anhang – Organisationsfehler in Klinik und Praxis