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ch bin Hamburger, und
wenn ich mal kritisch über
den SV Werder berichtet
habe, wurde mir in Bremen
gerne mal unterstellt: Klar, der
Hamburger mag Bremen natür-
lich nicht wirklich. Ganz falsch.
Ich kann sogar noch mehr als
die halbe Werder-Meistermann-
schaft von 1965 aufzählen – von
Trainer ‚Fischken‘ Multhaup über
Torwart Günter Bernard, Ver-
teidiger ‚Sepp‘ Piontek, Rechts-
außen Gerd Zebrowski bis zu
Torjäger Klaus Matischak und
Kapitän ‚Pico‘ Schütz. Und meine
Highlights als Korrespondent der
Süddeutschen Zeitung waren in
den vergangenen Jahren etliche
Spiele im Weser-Stadion. Auch
bei mir ist das Double-Jahr 2004
ein wunderbares Schatzkästlein
der Erinnerung. Ein Clou war
damals zusammen mit meinem
SZ-Kollegen Ralf Wiegand ein Be-
such im Bremer Rathaus bei Bür-
germeister Henning Scherf.
Wir wollten wissen,
wie der ers-
te Bürger der Stadt mit diesem
sportlichen Höhepunkt der
Geschichte umgeht. Es war im
Mai, kurz vor dem DFB-Pokal-
endspiel gegen Alemannia Aa-
chen. An der Vorzimmertür des
Bürgermeister-Büros prangte ein
Werder-Wappen. Und nachdem
Herr Scherf mit seiner sonoren
Stimme über die Vorzüge hei-
ßen Wassers geredet hatte, das er
ohne Kaffee oder Tee in eine Tas-
se füllte und trank („tut gut und
ist gesund“), haben wir über die
Bremer Werder-Festwochen ge-
JÖRG MARWEDEL
58, geboren in Hamburg, hat
schon die erste Bundesliga-
Saison miterlebt und stand
bereits mit neun Jahren zum er-
sten Mal im Stadion. Seit 1982
ist er Sportjournalist und seit
mehr als elf Jahren Nord-Kor-
respondent der Süddeutschen
Zeitung. Im Fußball berichtet
er hauptsächlich über die Erst-
ligaclubs Werder Bremen, HSV
und Hannover 96.
sprochen. Das heißt, nicht sofort,
denn vorher hat er noch gesun-
gen: „Deutscher Meister ist nur
der SVW, nur der SVW.“
Auch an Henning Scherf
konnte
man erkennen, wie wichtig diese
Erfolge für Bremen waren, diese
leider recht hoch verschuldete
Stadt. Er hat sich eingereiht in
die Begeisterung seiner Mit-
bürger. Er hat erzählt, wie er
nach dem entscheidenden 3:1
beim FC Bayern, das 30.000 bis
35.000 Bremer auf einer großen
Leinwand auf dem Domshof er-
lebt hatten, dreieinhalb Stunden
zu Fuß zum Flughafen gewan-
dert ist, um das Team zu begrü-
ßen. Er berichtete, wie die Fans
ihn aufforderten, „Marmor, Stein
und Eisen bricht“ zu singen, ob-
wohl er ja eher jemand sei, der
zur Feier „lieber die deutschen
Kammerphilharmoniker“ einge-
laden hätte.
Doch Henning Scherf
akzeptierte,
dass andere Menschen anders fei-
ern als er, der keinen Tropfen Al-
kohol anrührt. Auch er liebte den
Torjäger Ailton, den „Emotions-
brocken“. Er schätzte Manager
Klaus Allofs, der „ja fast mediter-
raner Typ“ sei ebenso wie dessen
Vorgänger Willi Lemke („Willi
ist Willi“). Der habe am Meister-
schaftstag seinen Muskelfaserriss
vergessen und seine Krücken
weggeworfen. Vor allem verehrte
er den „lieben Thomas“ Schaaf,
der ein Klassenkamerad seiner
Tochter Caroline war. Er war äu-
ßerst beeindruckt vom Meister-
trainer, der sogar „Englisch kann“
und den er bei Anlässen mit Poli-
tikern oder Künstlern als „hoch-
intelligenten, hochkommunikati-
ven Sympathieträger“ erlebt habe.
Bei so einem volksnahen Bürger-
meister wurde Bremen wieder
zum Dorf, zum Meisterdorf.
Scherf hat mit
seiner großen,
nicht versteckten Sympathie viel
für Werder und die Stadt getan.
Übrigens nicht nur in Bremen.
Ein paar Jahre später habe ich
seine sonore Stimme nämlich
in meiner Hamburger Nachbar-
schaft vernommen. Dort war
sein Sohn Christian mit Frau
und vier Kindern hingezogen.
Ich hörte den Bürgermeister a.D.
sagen: „Alles wird gut.“ Es gibt
sie also doch, die hanseatische
Verbindung. Und die muss kei-
neswegs feindselig sein.
Jörg Marwedel
Werderaner
Als
Bürgermeister
feierte Henning
Scherf mit den
Bremern 2004
das Double.
Eine hanseatische
Verbindung
Der Hamburger Sportjourna-
list Jörg Marwedel über seine Leidenschaft für den SV
Werder, Begegnungen mit einem begeisterten Bürger-
meister und die Verbindung unter Hanseaten.
Fotos: picture-alliance
WERDER MAGAZIN 304 79
WERDER-ERINNERUNGEN