

Die Gutachterkommission hat wiederholt Sachverhalte zu be-
urteilen, bei denen Bronchialkarzinome sowie ein Lungen-
karzinom erst nach vermeidbarer Verzögerung erkannt
wurden. Bei rechtzeitiger Feststellung hätten in vielen Fäl-
len die therapeutischen Maßnahmen zu einem wesentlich
günstigeren Ergebnis geführt, auch wenn vielfach eine ab-
schließende Heilung nicht erreichbar gewesen wäre.
Allgemeine Vorbemerkungen
Für die Behandlung bösartiger Geschwulste gilt der allge-
meine Grundsatz, je früher die Therapie einsetzt, desto grö-
ßer sind die Behandlungschancen. Das verspätete Erkennen
maligner Tumoren hatte in den von der Gutachterkommis-
sion geprüften Sachverhalten verschiedene Ursachen. Zu-
meist war zu beanstanden, dass die beschuldigtenÄrzte Hin-
weisen auf eine bösartige Erkrankung nicht alsbald und
sorgfältig genug nachgegangen sind, insbesondere Röntgen-
aufnahmen unterließen. In manchen Fällen wurden zwar
solche Aufnahmen veranlasst, jedoch nicht sachgerecht aus-
gewertet und auch auf spätere Kontrollaufnahmen verzich-
tet. In einigen wenigen Fällen beruhte die verzögerte Be-
handlung auf der Unterlassung rechtzeitiger Mitteilungen
über röntgenologisch festgestellte Veränderungen im Be-
reich der Lungen, die den Verdacht auf ein Lungen- bzw.
Bronchialkarzinom begründeten. Bei einer vor kurzem er-
forderlich gewordenen Bewertung musste die Kommission
einen schwerwiegenden ärztlichen Behandlungsfehler fest-
stellen, weil über einen langen Zeitraum durch elementare
Verstöße gegen die ärztlichen Sorgfaltspflichten ein Bron-
chialkarzinom mit erheblicher Verspätung diagnostiziert
wurde.
Der Sachverhalt
Aus den Krankenunterlagen des beschuldigten Internisten
und der nachbehandelnden Ärzte ergab sich folgender Sach-
verhalt:
Die damals 34-jährige Patientin suchte im September 1994
den Arzt wegen einer vermeintlichen Bronchitis mit weiß-
gelblichem Auswurf auf. Auskultatorisch fanden sich ein
verschärftes Atemgeräusch,Giemen und Brummen über allen
Lungenabschnitten sowie grobe Rasselgeräusche beim Hus-
tenstoß, ferner nach dem spiro-graphischen Befund eine
mittelgradige Atemwegs-Obstruktion.
Der Arzt behandelte die Patientin zunächst unter der doku-
mentierten Diagnose eines „Asthma bronchiale“ bei einem
langjährigen erheblichen Zigarettenkonsum.Wenige Mona-
te später behandelte er die Patientin wegen einer von ihm
angenommenen „spastischen Bronchitis“. Nach weiteren
neun Monaten (November 1995) stellte der Arzt im Rahmen
der Behandlung einer Sinusitis auskultatorisch erneut über
den Lungen hörbares Giemen und Brummen fest. Er behan-
delte antibiotisch mit Ciprobay 250
®
(Ciprofloxacin). Fünf
Wochen späterwurde ein seit einerWoche bestehender Hus-
ten mit Schnupfen unter der Diagnose eines „infekt-exacer-
bierten Asthma bronchiale“ mit Giemen und Brummen über
allen Lungenabschnitten ebenfalls mit Ciprobay 250
®
behan-
delt. Die gleiche Behandlung erfolgte acht Tage später. Im
Juni 1996 wurde Allergospasmin
®
(Cromoglicinsäure) als
Broncholytikum verordnet.
Eine kurz darauf aufgetretene angebliche „Sinusitis“ wurde
ebenfalls mit Ciprobay 250
®
und Sinupret
®
(Rad.gentianae)
behandelt. Wegen eines Erkältungsinfektes erhielt die Pa-
tientin im September 1996 u.a. Sinupret
®
,das in den nächsten
vier Monaten zweimal erneuert wurde. In den folgenden
zwei Monaten wurde wieder Allergospasmin
®
verordnet.
Bei den insgesamt neun Konsultationen im Jahre 1997 wur-
den Auskultationsbefunde nicht dokumentiert.
Am 14.10.1997 fielen dem Arzt derbe indolente Halslymph-
knoten beiderseits und eine leichte linksbetonte Struma auf.
Dabei lagen die Schilddrüsen-in-vitro-Werte im Normbe-
reich. Ab Januar 1998 wurde in zweimonatigen Abständen
dreimal wieder Sinupret
®
bzw.Metohexal
®
(Metoprololtar-
trat) verordnet.
Nach weiteren eineinhalb Monaten – am 10.06.1998 –wurde
der Arzt wegen Gelenkbeschwerden konsultiert, die nicht
mit Fieber oder Gelenkschwellungen verbunden waren. Zu
diesem Zeitpunkt hörte der Arzt über dem linken Mittelfeld
mittelblasige Rasselgeräusche,während die übrigen Lungen-
teile frei von pathologischen Geräuschen waren. Unter dem
Verdacht einer Bronchopneumonie leitete der Arzt eine anti-
biotische Behandlung mit Vaxar
®
600 mg (Grepafloxacin)
ein. Der Blutdruck war normal.
Am 12.06.1998 wurde eine röntgenologische Untersuchung
durchgeführt, die eine Verbreiterung des oberen Media-
stinums und in beiden Lungen zahlreiche Rundherde im Sin-
ne von Metastasen bei unbekanntem Primärtumor ergab.
Die nachfolgende Bronchoskopie am 25.06.1998 führte zur
Feststellung eines großzelligen Plattenepithel-Karzinoms
mit Einbruch des Tumors in den stark geröteten rechten
Hauptbronchus. Die anschließend in einer Lungenklinik
eingeleitete Chemotherapie konnte den Verlauf der Erkran-
kung nicht mehr günstig beeinflussen. Drei Monate nach
Feststellung des Tumors ist die Patientin imAlter von 38 Jah-
ren diesem Leiden erlegen.
Beurteilung durch die Gutachterkommission
Der entscheidende Mangel bei der Behandlung der Patien-
tin liegt in der Tatsache, dass sich der Arzt nicht wesentlich
früher durch eine Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane
Gewissheit über den zugrunde liegenden Lungenbefund
verschaffte.Anlass dazu bestand schon wenige Monate nach
Beginn der Behandlung, die sich mehrfach auf eine rezidi-
vierende chronisch obstruktive Bronchitis bezog und einen
entsprechenden Auskultationsbefund ergab. Hinzu trat die
Feststellung des langjährigen Zigarettenkonsums. Erneuter
Anlass zu weiterführenden Untersuchungen bestand im No-
vember 1995, als der Arzt im Zuge der antibiotischen Be-
Verzögerte Diagnose eines Bronchialkarzinoms
Rechtzeitige Feststellung führt zu größeren Behandlungschancen
Gutachtliche Entscheidungen
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