

DerArzt kann unter verschiedenen Gesichtspunkten zurAuf-
klärung seines Patienten verpflichtet sein. Hierbei sind zu
unterscheiden:
die Befund- und Diagnoseaufklärung,
die Sicherungsaufklärung, auch therapeutische
Aufklärung genannt,
die Risiko- oder Eingriffsaufklärung.
Seinen Befund und seine Diagnose teilt derArzt dem Patien-
ten auf die entsprechenden ausdrücklichen Fragen mit oder,
wenn erkennbar eine persönliche Entscheidung seines Pa-
tienten (z. B. Eheschließung,Mutterschaft, Berufswahl, recht-
zeitige Errichtung einesTestaments) von der Kenntnis des Ge-
sundheitszustandes und der voraussichtlichen künftigen Ent-
wicklung abhängt. Diese Art der Aufklärung hat die Recht-
sprechung und die Kommission bisher kaum beschäftigt.
Sicherungsaufklärung
Bei der so genannten Sicherungsaufklärung, die in letzter
Zeit häufiger zu beanstanden war, handelt es sich um eine
therapeutisch gebotene Aufklärung mit dem Ziel der Gefah-
renabwehr. Sie ist eine Verhaltensinstruktion, die zum Bei-
spiel die Lebensweise, die richtige Einnahme der Medika-
mente, die Dringlichkeit einer notwendigen Behandlung
oder Untersuchung betreffen kann. Die Verletzung dieser
Aufklärungspflicht bedeutet einen ärztlichen Behandlungs-
fehler, der ggf. zum Schadensersatz verpflichtet.
Bei der Risiko- oder Eingriffsaufklärung sind von der Recht-
sprechung entwickelte umfangreiche Informationspflichten
zu beachten. Aufzuklären ist über Verlauf und Art des Ein-
griffs, insbesondere über die mit ihm verbundenen und nicht
ganz außerWahrscheinlichkeit liegenden typischen Risiken
und Komplikationen. Die Verletzung dieser Aufklärungs-
pflicht führt zu dem Ergebnis, dass die rechtlich notwendige
Einwilligung des Patienten für Eingriffe in seine körperliche
Unversehrtheit unwirksam ist.Das hat zur Folge,dass der Ein-
griff auch dann rechtswidrig ist, wenn er indiziert war und
fachgerecht ausgeführtworden ist.DerArzt haftet indiesenFäl-
len für die mit demEingriff verbundenen Gesundheitsschäden.
Der Sachverhalt
Der Gutachterkommission werden immer wieder Sachver-
halte unterbreitet, in denen Mängel bei der Risiko- und Si-
cherungsaufklärung festzustellen sind. Hierzu soll beispiel-
haft ein von der Gutachterkommission beurteilter Fall darge-
stellt werden, bei dem die Verpflichtung zur Unterrichtung
über das Eingriffsrisiko nicht gewahrt und darüber hinaus
die gebotene therapeutische Aufklärung unterlassen wurde.
Aus den Krankenunterlagen des beschuldigten Allgemein-
mediziners ergab sich folgender Sachverhalt:
Eine 28-jährige Patientin suchte den Arzt wegen einer
schmerzhaftenVerspannung der rechtsseitigen Rückenmus-
kulatur im mittleren Brustwirbelsäulenbereich auf. Der
Arzt stellte bei seiner Untersuchung einen auslösbaren Druck-
schmerz im Bereich des 6./7. Brustwirbelkörpers fest und
führte ohne Erörterung alternativer Behandlungsmöglich-
keiten und ohne Hinweis auf die Risiken sogleich eine Infiltra-
tionsbehandlung des verspannten Muskels mit Causat
®
(Procain) durch. Er benutzte dazu eine drei Zentimeter
lange Kanüle (Nr. 14) mit einem Durchmesser von 0,6 mm.
Die Injektionsmenge ist nicht dokumentiert. Nach der späte-
ren Angabe des Arztes handelte es sich um eine Ampulle mit
fünf Millilitern. Außerdem wurde ein schmerzlinderndes Prä-
parat (Piroxicam
®
) intramuskulär injiziert. Zwecks Locke-
rung der Muskulatur unternahm der Arzt noch einen einfa-
chen chirotherapeutischen Eingriff.
Etwa eine halbe Stunde nachVerlassen derArztpraxis stellten
sich bei der Patientin starke Beschwerden in Form von Kurz-
atmigkeit und Hustenanfällen ein, die im Laufe des Tages
zunahmen. Dies veranlasste die Patientin,den Arzt am nächs-
ten Tage erneut aufzusuchen. Bei der Schilderung insbeson-
dere ihrer Atembeschwerden und Brustschmerzen erklärte
sie, ein Gefühl zu haben, „als wenn sich in der Lunge ein
Stein befinde“. Der Arzt hörte die Lunge ab, verordnete ein
Hustenmittel (Paracodin retard
®
), bescheinigte Arbeitsunfä-
higkeit und empfahl Schonung und Spaziergänge sowie ei-
ne Wiedervorstellung nach drei Tagen. In diesen Tagen lag
die Patientin zu Bett, weil sie bei nur geringer Bewegung
Erstickungsängste bekam. Danach suchte sie den Arzt wie-
der auf, der nunmehr nach Abhören der Lunge denVerdacht
auf einen Pneumothorax äußerte und die Thoraxorgane
röntgen ließ. Das Röntgenbild zeigte einen Totalkollaps der
rechten Lunge. Die Patientin wurde sofort in eine Klinik
eingewiesen und dort elf Tage stationär behandelt. Nach
Anlage einer Drainage dehnte sich die rechte Lunge wieder
vollständig aus und nahm ihre Funktion auf. Die Wundhei-
lung an der Drainage-Inzision war sekundär verzögert.
Gutachtliche Beurteilung
Bei Verspannungen der Rückenmuskulatur mit schmerzhaf-
ter Bewegungseinschränkung, wenn beispielsweise ein Irri-
tationszustand der paravertebralen Muskulatur ursächlich
ist, kann – nach Ausschöpfen der physikalischen Therapie
(z. B. Massagen, Elektro- und Wärmeanwendung) und/oder
Pharmakotherapie (z. B. Analgetika oder Muskelrelaxan-
zien) – unter Umständen eine gezielte Infiltrationsbehand-
lung mit einem Lokalanästhetikum wie Causat
®
in die
Schmerzpunkte derMuskulatur sinnvoll und erfolgreich sein.
Diese Behandlung ist aber nicht ohne Risiken und Kompli-
kationen. So können kardiovaskuläre Reaktionen bis zur ge-
fährlichen Hypotension in Abhängigkeit von Zeit,Dosis und
Applikationsort, ferner zentral nervöse Reaktionen mit Un-
ruhezuständen sowie allergische Reaktionen bis zum ana-
phylaktischen Schock,vagovasale Reaktionen mit Kreislauf-
depression und bei paravertebraler Applikation im Bereich
des Brustkorbs speziell eine Verletzung der Pleura mit nach-
folgendem iatrogenen Pneumothorax auftreten.
Risiko- und Sicherungsaufklärung
Die Aufklärungspflicht des Arztes
Gutachtliche Entscheidungen
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