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ls die Bundesliga ihre
Premieren-Saison 1964
hinter sich hatte, unter-
zeichnete US-Präsident
Lyndon B. Johnson gerade das
Gesetz zur Aufhebung der Ras-
sentrennung. Die Beatles setzten
zu ihrem Siegeszug durch die
Pop-Welt an, und dass Bundes-
liga-Spieler einen Berater brau-
chen könnten, dürfte ungefähr
so absurd angemutet haben wie
die Einführung von Billigflügen.
Gott sei Dank – denn eine derart
dubiose Verpflichtung wie die
von Werder-Legende Horst-Dieter
Höttges hätte andernfalls wohl
niemals stattfinden können. „Es
war eine lupenreine Entfüh-
rung“, erinnerte sich der ‚Eisen-
fuß‘ später in Arnd Zeiglers Buch
‚Lebenslang grün-weiß‘.
Aufmerksam geworden
auf den
jungen Höttges war Werders da-
maliger Trainer Willi ‚Fischken‘
Multhaup. Geschäftsführer Hans
Wolff lud den für Borussia Mön-
chengladbach spielenden Höttges
daraufhin zum Bundesliga-Spiel
gegen Preußen Münster ein.
Doch allen Bemühungen zum
Trotz, zu einem Wechsel an die
Weser konnte sich der Verteidi-
ger vorerst nicht durchringen.
Da auch Nord-Rivale Hamburger
SV um Höttges buhlte, sah sich
Wolff zu drastischeren Maßnah-
men gezwungen. Als National-
spieler Uwe Seeler im Rahmen
eines Länderspiels für einen
Wechsel zum HSV warb, pack-
te der Manager den verdutzten
Höttges („Los, Junge – du fährst
sofort mit uns nach Bremen“)
am Abend nach der Partie kur-
zerhand ins Auto und fuhr mit
ihm in Richtung Norden. Die
zaghaften Proteste des Jung-
Nationalspielers („Aber ich muss
doch nach Mönchengladbach
zurück?!“) stießen
bei Wolff auf tau-
be Ohren, er hatte
andere Pläne: Ge-
meinsam mit Werder-Verteidiger
Sepp Piontek sollte Höttges acht
Tage in Paris verbringen – auf
Vereinskosten, versteht sich. Den
Einwand, er habe doch gar keine
Kleidung dabei, konterte Wolff
schlagfertig: „Kein Problem, wir
kaufen dir welche.“
Falls Höttges
nach seinem Auf-
enthalt an der Seine noch Zwei-
fel an einem Wechsel zu Werder
gehabt haben sollte, wurden
diese kurz darauf in einer ande-
ren Weltmetropole ausgelöscht,
nämlich in New York. Hier
nahm der SVW an einem Tur-
nier teil. Getarnt mit dunkler
Sonnenbrille ging der Noch-
Mönchengladbacher mit auf die
Reise, um wenige Tage später mit
unterschriebenem Vertrag wie-
der deutschen Boden zu betreten.
Für die Grün-Weißen sollten sich
die investierten Mühen mehr als
bezahlt machen. Höttges hatte in
seiner ersten Saison
bei Werder maßgeb-
lichen Anteil am
Gewinn des deut-
schen Meistertitels und ist mit
420 Bundesliga-Einsätzen in 14
Jahren bis heute Werders Rekord-
Feldspieler. Sein Versprechen
(„So lange ich bei Werder spiele,
steigt der Verein nicht ab“) sollte
sich Zeit seiner aktiven Karriere
bewahrheiten.
Jörn Lange
Die Entführung
Im Werben um Horst-
Dieter Höttges ließen die Verantwortlichen des SV
Werder nichts unversucht. Um das junge Talent an die
Weser zu lotsen, half nur ein Griff in die Trickkiste.
Hart erkämpft
Die Bemühungen um seine Verpflichtung machten sich
bezahlt: Horst-Dieter Höttges (im kleinen Foto unten mit Uwe Seeler)
wurde zu einem der großen Idole des SV Werder Bremen.
Fotos: imago, picture-alliance
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