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Es besteht in der Medizin Einigkeit darüber, dass bei Ver-

dacht auf ein malignes Geschehen alles getan werden muss,

um so schnell wie möglich entweder den Verdacht auszu-

schließen oder zu sichern, weil die Erfolgsaussichten einer

jeglichen Behandlung entscheidend von der frühen Feststel-

lung und Behandlung abhängig sind.

Naturgemäß bedarf es in den meisten Fällen zur Klärung

der Diagnose des Zusammenwirkens vonÄrzten verschiede-

ner Fachrichtungen. Dieses Zusammenwirken mehrerer

Ärztinnen und Ärzte bringt Gefahren mit sich, die sich aus

demVerhalten aller oder eines der beteiligten Ärzte ergeben

können, etwa bei ungenauer Fragestellung des primär be-

handelnden Arztes an den um Mitwirkung gebetenen Arzt,

nicht vollständiger Mitteilung der von diesem erhobenen

Befunde an den weiterbehandelnden Kollegen oder auch

wegen nicht hinreichen der Beachtung des Inhalts der Be-

richte des befragten Spezialisten.

Aufgrund dieser Gefahrenlage hat sich die Gutachterkom-

mission immer wieder mit Fällen zu befassen, in denen sich

aus dem Zusammenwirken von Ärzten verschiedener Fach-

richtungen Nachteile für den Patienten ergeben haben oder

jedenfalls von diesem geltend gemacht werden, die auf eine

mangelnde oder unzureichende Koordination unter den be-

teiligten Ärzten zurückgeführt werden können. In einem

Fall wurde ein Mammakarzinom – hier bei einem männli-

chen Patienten – verspätet erkannt und behandelt.

Der Sachverhalt

Der 69-jährige Patient stellte sich wegen eines von ihm

selbst seit Jahresfrist bemerkten und seit einigen Monaten

schmerzhaften Knotens in der linken Brust in der Praxis

des später von ihm belasteten Hautarztes vor.

Nach Untersuchung des Patienten ist in der Karteikarte des

Arztes eingetragen: „Unklarer Knoten li. Brust lateral;

Ü Röntgen.“ Er überwies den Patienten an eine radiolo-

gische Gemeinschaftspraxis mit dem Vermerk auf dem

Überweisungsschein „Mamma-Tumor links“, wozu er im

Verfahren bei der Gutachterkommission angab, es habe sich

um eine offene Überweisung gehandelt, bei der die Ent-

scheidung über die anzuwendende Untersuchungstechnik

beim Röntgen-Institut gelegen habe.

Dort führte man eine Thorax-Röntgen-Untersuchung in

2 Ebenen durch und beschrieb in dem Befundbericht an den

Hautarzt den Befund wie folgt: „Kräftig vaskulär konfigu-

rierte Hili. Mediastinum und Lungenfelder frei von patho-

logischen Abschattungen. Keine kardialen Insuffizienzzei-

chen. Keine Pleuraergüsse. Keine Bronchopneumonie.“ Die

radiologische Beurteilung lautete: „Unauffälliger Herz-/

Lungenbefund ohne Nachweis tumoröser Raumforderun-

gen, insbesondere im Bereich links mammär. Entsprechend

klinischer Kriterien ggfs. CT zur differenzierten Beurteilung

durchführbar.“ Nach Eingang des Befundberichtes infor-

mierte der Hautarzt seinen Patienten mündlich über das Er-

gebnis der Röntgen-Untersuchung. Er teilte ihm mit, es sei

nichts Aufregendes gefunden worden und er solle sich keine

Sorgen machen; bei einer Änderung könne und solle er sich

jederzeit wieder vorstellen. In der Karteikarte ist am Tage

dieses Gesprächs eingetragen:„DD Lipofibrom?? Wenn Än-

derung WV.“

Sieben Monate später konsultierte der Patient eine andere

Hautärztin. Diese veranlasste eine Mammographie, bei der

sich der Verdacht auf einen bösartigen Tumor ergab. Dies

führte zur Entnahme des Knotens und nach Bestätigung der

Malignität zur Entfernung der linken Brust und der Lymph-

knoten in der linken Achselhöhle. Die Tumorklassifikation

lautete pT1 pN1a MO G2 RO. Der Patient musste sich an-

schließend der Chemotherapie und einer Strahlenbehand-

lung unterziehen.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission hat einen Behandlungsfehler des

Hautarztes festgestellt. Zwar treffe es zu, dass bei einer offe-

nen Überweisung an den Radiologen dieser die Aufgabe ha-

be, die zweckmäßige Untersuchungstechnik auszuwählen

und einzusetzen.

Jedoch habe der Hautarzt den Inhalt des Befundberichtes

des Radiologen nicht hinreichend beachtet. Darin habe der

Radiologe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass entspre-

chend der klinischen Kriterien gegebenenfalls ein CT zur

differenzierten Beurteilung durchgeführt werden sollte.

Zur differenzierten Beurteilung hätte nach Auffassung der

Kommission die Feststellung gehört, dass eine Röntgen-

Untersuchung der Thoraxorgane nicht geeignet ist, die

Frühdiagnose eines Mammakarzinoms auszuschließen oder

zu sichern.

Auch habe der Arzt eine weitergehende Untersuchung nicht

veranlasst, sondern im Gegenteil nach seinem Sachvortrag

dem Patienten mitgeteilt, dass bei der Röntgenuntersu-

chung kein Anhalt für einen Brustkrebs gefunden worden

sei. Aus seiner der Gutachterkommission zugeleiteten Mit-

teilung, dass nach dem Erhalt des Befundberichtes die Mög-

lichkeit des Mammakarzinoms in seinem Kopf vom ersten

auf den zweiten Platz gerückt sei, müsse geschlossen wer-

den, dass er die Aussagefähigkeit der Röntgen-Untersu-

chung überhaupt nicht gewürdigt habe.

Er sei daher für die Verzögerung der Behandlung verant-

wortlich, wobei aber nicht festgestellt werden könne, ob bei

einer rund acht Monate früheren Operation die Lymphkno-

ten noch nicht befallen gewesen wären. Als Folge des Be-

handlungsfehlers sei jedoch die Verringerung der Chance

auf einen weniger belastenden Krankheitsverlauf festzustel-

len.

Gutachtliche Entscheidungen

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Probleme der horizontalen Arbeitsteilung unter Ärzten