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Gutachtliche Entscheidungen

151

Gemessen an der berichteten Dekubitusprävalenz in deut-

schen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen von bis zu

40 Prozent werden Vorwürfe zur Dekubitusprophylaxe im

Bereich der Gutachterkommission Nordrhein nur sehr sel-

ten vorgebracht. In den Jahren 2004 bis 2007 hat sich gegen-

über dem Zeitraum 2000 bis 2003 der Anteil der hierzu ab-

geschlossenenVerfahren jedoch von 0,5 Prozent auf 1,2 Pro-

zent mehr als verdoppelt

(siehe Tabelle unten)

. Erfreulicher-

weise ging in den letzten 4 Jahren die sogenannte Behand-

lungsfehlerquote von 44 auf 27 Prozent zurück. Häufige

Fehler sind fehlende Einschätzung des Patienten, zu lange

Lagerungsintervalle und mangelnde Befundkontrollen.

Die Entstehung eines Dekubitus kann nicht in jedem Fall

vermieden werden. Die Prophylaxe gehört zum Pflegestan-

dard und ist dokumentationspflichtig. Die Unterlassung der

Dokumentation kann zur Beweislastumkehr im Hinblick

auf den Schaden führen. Dem Arzt obliegt es, durch Anord-

nung und Kontrolle das individuelle Gefährdungsrisiko zu

ermitteln und die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen

und zu kontrollieren.

Dekubitusgefährdung

Als besonders dekubitusgefährdet gelten Patienten mit

Querschnittlähmung oder dauernder Analgesie via Peridu-

ralkatheter, kontinuierlicher Analgosedierung und Kontra-

indikation zur Umlagerung. Ein Diabetes mellitus begüns-

tigt durch Polyneuropathie, Mikro- und Makrozirkulations-

störung und reduzierte Immunabwehr die Entwicklung von

Dekubitalgeschwürden. Skalen zur Einschätzung einer De-

kubitusgefährdung helfen, das Risiko zu erkennen und zeit-

gerecht die erforderliche Prophylaxe einzuleiten. Allerdings

entbinden diese zumeist vom Pflegepersonal geführten Ska-

len den Arzt nicht davon, den gefährdeten Patienten selbst

in Augenschein zu nehmen.

Einfache Prophylaxemaßnahmen bestehen in der Vermeidung

einer umschriebenen Druckbelastung über einen längeren

Zeitraum, der frühzeitigen Mobilisation, sorgfältigen Haut-

pflege der Prädilektionsstellen und Verhindern von Feuchtig-

keit an der Haut und von Reibung und Scherkräften. Ist eine

Mobilisation nicht möglich, muss eine regelmäßige Umlage-

rung durchgeführt werden, und zwar nach Plan alle 2 Stun-

den. Ist dies nicht durchführbar, so sind gegebenenfalls An-

tidekubitusmatratzen zu verwenden.Werden Lagerungshil-

fen aufgrund von Schmerzen oder mangelnder Compliance

nicht toleriert, so ist nach individuellen Lösungen zu suchen.

Dekubitusbehandlung

Es kann außerordentlich schwierig und langwierig sein, ein

Dekubitalgeschwür durch lokale Maßnahmen zur Abhei-

lung zu bringen. Führen konservative Maßnahmen nicht

zum Erfolg, sollte beizeiten ein Chirurg konsiliarisch zuge-

zogen werden. In einem Stufenkonzept sollte frühzeitig

auch die Frage einer Defektdeckung mit einem Plastischen

Chirurgen besprochen werden.

Festgestellte Behandlungsfehler

Im aktuellen Auswertungszeitraum waren in 94 Prozent

Krankenhausärzte von einem Begutachtungsantrag betrof-

fen, in erster Linie Allgemeinchirurgen (29 Prozent), gefolgt

von Internisten (23 Prozent), Orthopäden (15 Prozent), Un-

fallchirurgen (8 Prozent) und Geriatern (8 Prozent). Behand-

lungsfehler wurden letztlich bei je 4 Allgemeinchirurgen,

Internisten und Orthopäden sowie bei einem Unfallchirur-

gen, einem Geriater, einem Neurologen, einem Radiologen,

einemUrologen und einemAllgemeinmediziner festgestellt.

Unzureichende Prophylaxe

Fehlendes Einschätzen der Risikofaktoren

Bei einem herzkranken, dementen, bettlägerigen und in-

kontinenten 79-jährigen Patienten mit subkapitaler Ober-

armfraktur war die unterlassene Abschätzung des Dekubi-

tusrisikos zu beanstanden: Eine Norton-Skala lag zwar der

Krankenakte bei, war aber nicht ausgefüllt. Weiterhin wur-

den Prophylaxemaßnahmen trotz hohen Risikos unterlas-

sen. Der Pflegebericht weist lediglich am 3. Tag eine

Übungsbehandlung des verletzten Armes auf. Für den 3. und

4. Tag wurde vermerkt, dass die Mobilisation erschwert sei.

Am 5. Tag wurde eine Druckschädigung mit Blasenbildung

am Gesäß bemerkt, ohne dass nunmehr eine suffiziente Be-

handlung erfolgte. Erst ab dem Folgetag erfolgte eine Ver-

sorgung mit Comfeel

®

-Platten. Verspätet wurden Lage-

rungsmaßnahmen auf einer Wechseldruckmatratze ab dem

8.Tag bis zur Entlassung am 16. Tag durchgeführt. Zu die-

sem Zeitpunkt lag ein Dekubitus Grad II bis III vor.

Prophylaxe trotz Risikofaktoren versäumt

Bei einer erheblich untergewichtigen 53-jährigen Patientin

(BMI 17,7) mit einer Paraparese der Beine bei seit Jahren be-

stehender Multipler Sklerose, die aufgrund einer pertrochan-

tären Oberschenkelfraktur rechts aufgenommen worden

war, wurde am 6. Tag ein Dekubitus II. Grades an der rech-

Ärztliche Fehler bei der Dekubitusprophylaxe

Zu lange Lagerungsintervalle, mangelnde Befundkontrollen und fehlende Risikoeinschätzung

häufig bemängelt

Tabelle: Vorwu

̈

rfe zur Dekubitusprophylaxe in den Begutachtungsverfahren

Zeitraum

Verfahren insgesamt

mit Dekubitusvorwurf

n

Fehler

Behandlungs-

n

% von n

Fehler

Behandlungs-

bejaht

fehler-Quote

bejaht

fehler-Quote

2004–2007

5.466 1.808 33,1 %

66 1,2

18

27,3 %

2000–2003

4.466 1.590 35,6 %

23 0,5

10

43,5 %

1996–1999

4.705 1.659 35,3 %

21

0,5

7

33,3 %