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Gutachtliche Entscheidungen

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Urotheliale Karzinome gehen von der Schleimhaut des

Nierenbeckens, des Harnleiters und der Harnblase aus. Sie

finden sich entsprechend der größeren Oberfläche mehr-

heitlich in der Harnblase, können aber auch zeitgleich und

später in allen drei Etagen der ableitenden Harnwege auftre-

ten. Männer sind dreimal häufiger betroffen als Frauen.

Wie bei keinem anderen Tumor sind im Hinblick auf die

Karzinogenese Toxine erkannt und erforscht worden, ob-

wohl der Nachweis eines Zusammenhanges im Einzelfall

schwierig ist.

Die schmerzlose Harnblutung ist in 80 Prozent der Fälle das

typische Erstsymptom;„dysurische“ Beschwerden wie auch

entzündliche Befunde können ein urotheliales Karzinom

maskieren. So wird in den fachlichen Leitlinien empfohlen,

dass eine Harnblutung so lange als tumorverdächtig zu gel-

ten hat, bis ein Tumor gefunden oder aber eine andere Blu-

tungsquelle nachgewiesen worden ist. Denn Verlauf und

Prognose eines urothelialen Karzinoms sind wie bei ande-

ren Tumorentitäten abhängig vom Tumorstadium und vom

Grad der Bösartigkeit zum Zeitpunkt der Diagnosestellung,

Kriterien also, die auch für die Therapie bestimmend sind.

Eine kurative transurethrale Resektion ist nur dann mög-

lich, wenn das Harnblasenkarzinom im Stadium pT1 noch

nicht in die Muskulatur eingebrochen ist und eine zeitge-

rechte Nachresektion diesen Befund bestätigt. Bei Einbruch

des Karzinoms in die Muskulatur ist eine Heilung nur durch

die radikale Entfernung der Harnblase mit Bildung einer Er-

satzblase möglich. Bei Einbruch in Nachbarorgane muss die

Operation auch deren Sanierung durch − anteilige − Darm-

resektion oder Uterus- und Adnexentfernung umfassen. Mit

entsprechenden Fällen wurde die Gutachterkommission

wiederholt befasst.

Fall 1 – Sachverhalt

Der 54-jährige Patient litt im April an einer akuten Mik-

tionsstörung mit sichtbarer Harnblutung. Im August/

September wurde bei einer hausärztlichen Untersuchung

der Nachweis einer Erythrozyt- und Leukozyturie geführt.

Es erfolgte eine Behandlung mit Tavanic

®

.Anschließend be-

stand die Erythrozyturie fort. Daraufhin erfolgte im Sep-

tember eine erste Untersuchung durch den belasteten Uro-

logen. Hierbei wurde die Leukozyturie bestätigt, die Prosta-

ta war schmerzhaft. Bei der Urethro-Zystographie wurde ei-

ne Prostatavergrößerung dargestellt. Bei derAusscheidungs-

Urographie fanden sich regelrechte Verhältnisse. Blutwerte

(Kreatinin, PSA) waren unauffällig. Es wurde die Diagnose

einer rezidivierenden Prostatitis (ohne Zwei- oder Drei-

Gläser-Probe) gestellt.

Im Oktober trat neuerlich eine Miktionsstörung mit termi-

naler Hämaturie auf. Bei der Untersuchung durch den Uro-

logen waren der Harnstatus normal und die Prostata

schmerzhaft. Es erfolgte eine Behandlung mit Enoxor

®

.

Im November und Dezember nahmen die Beschwerden ab,

persistierten jedoch bei Vollfüllung der Harnblase. Im Janu-

ar des Folgejahres traten wiederkehrende Schmerzen beim

Wasserlassen auf. Im Harnstatus wurden Erythrozyten und

Leukozyten nachgewiesen. Die Sonographie der Harn-

organe war ohne Krankheitsbefund.

Im Juli trat wiederum eine Miktionsstörung ohne Blutab-

gänge auf. Im Harnstatus fand sich eine Erythrozyturie. Bei

der Sonographie wurde der Nachweis einer vergrößerten

Prostata geführt. Im Septemberwurde bei anhaltenden Mik-

tionsbeschwerden erneut eine Makrohämaturie festgestellt.

Die Behandlung erfolgte mit Tarivid

®

. Im November nahm

die Miktionsstörung zu mit terminaler Hämaturie.

ImDezemberwurde bei einer Urethrozystoskopie ein Harn-

blasentumor nachgewiesen. Im Januar des nächsten Jahres

erfolgten die transurethrale Resektion des Harnblasentu-

mors und der Prostatawucherung. Die histologische Unter-

suchung wies ein muskel-invasives Harnblasenkarzinom

geringer Differenzierung (pT 2 G3) nach. Nachfolgend wur-

de eine pelvine Lymphadenektomie mit Nachweis von bila-

teralen Metastasen vorgenommen. Es folgte eine palliative

Zystektomie mit orthotoper Ileozystoplastik.

Bei der histologischen Untersuchung fand sich ein 2,5 x 2 cm

durchmessendes Harnblasenkarzinom ohne exophytisches

Wachstum mit Infiltration bis in das Fettgewebe. Nach der

Operation trat eine Pneumonie mit respiratorischer In-

suffizienz auf. Wegen eines Ileus war eine Relaparatomie

und wegen einer Anastomosenstenose eine Ileozökostomie

erforderlich. Nach allmählicher Erholung wurde von März

bis Mai eine Chemotherapie angeschlossen. Im Oktober

fanden sich bei den bildgebenden Untersuchungen von

Abdomen, Schädel und Knochen zahlreiche Metastasen. Im

Januar des nächsten Jahres erfolgte bei Tumorprogression

eine Schmerztherapie. Im Juli trat der Tod ein.

Fall 2 – Sachverhalt

Die 75-jährige Patientin wurde im September nach frühe-

rer Uterusextirpation und linksseitiger Adnexektomie (vor

31 Jahren) wegen eines Zystadenoms einer Adnexektomie

rechts unterzogen.Wegen anschließender Makrohämaturie

nach fraglicher Harnblasenläsion nahm der behandelnde

Frauenarzt eine Zystoskopie vor, bei der als mögliche Ope-

rationsfolge Schleimhautveränderungen nachgewiesen

wurden.

Von Oktober bis zumMai des übernächsten Jahres erfolgten

insgesamt 22 Behandlungen durch den belasteten Urologen.

Im Januar des auf den gynäkologischen Eingriff folgenden

Jahres bestanden Blasenbeschwerden; die Untersuchungen

ergaben den Nachweis einer Erythrozyturie und Leukozy-

turie. Die Sonographie war ohne Krankheitsbefund. Im

Februar blieb eine Miktionszystourethrographie ohne

Nachweis eines Refluxes oder eines Deszensus. Die Aus-

Versäumnisse bei der Diagnose des Harnblasenkarzinoms

Bei Blutzellen im Harn den Verdacht auf ein Karzinom mit geeigneten Methoden

nachweisen oder ausschließen