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Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler

bei der Ärztekammer Nordrhein hatte in der Vergangenheit

wiederholt Patientenbeschwerden zu beurteilen, die sich

auf den Vorwurf einer unzureichenden technischen Durch-

führung einer kathetergestützten Prozedur im Rahmen der

Behandlung einer koronaren Herzkrankheit oder von Herz-

rhythmusstörungen bezogen haben. Dabei ging es weniger

um eine korrekte Indikationsstellung als vielmehr um die

Tatsache, dass infolge lückenhafter oder – wie im vorliegen-

den Fall – fehlender Dokumentation der Prozedur selbst für

die Gutachterkommission nicht nachvollziehbar war, ob die

Durchführung dem geforderten Standard in der Medizin

entsprach.

Die Ablationsbehandlung vor allem supraventrikulärer tachy-

karder Herzrhythmusstörungen hat sich in den zurücklie-

genden 20 Jahren bei bestimmtenArrhythmien mit einer Er-

folgsquote von weit über 90 Prozent als ein erfolgreiches,

zumTeil kuratives Behandlungsverfahren erwiesen. Gleich-

wohl ist bei der Indikationsstellung die akute Komplika-

tionsrate nicht außer Acht zu lassen, da sie vor allem bei

jüngeren Patienten mit der Gefahr bestimmter Langzeit-

folgeschäden verbunden sein kann.

Sachverhalt

Aus den Krankenhausunterlagen der beschuldigten Klinik

ergab sich folgender Sachverhalt: Wegen rezidivierender,

symptomatischer, supraventrikulärer Tachykardien war bei

einer 17-jährigen Patientin die Indikation zu einer elektro-

physiologischen Untersuchung gegeben. Zielsetzung war es,

durch intrakardiale EKG-Ableitung den Mechanismus und

die zugrunde liegende pathologisch-anatomische Ursache

der Herzrhythmusstörung zu evaluieren und gegebenenfalls

durch Vereisung (Kryoablation) oder Hochfrequenzablation

zu veröden. Präinterventionell wurden die Patientin und ih-

re Eltern über den prozeduralenAblauf der Kryo-und Hoch-

frequenzablation sowie mögliche Komplikationen ein-

schließlich einer Schrittmacherpflichtigkeit aufgeklärt.

Unter medikamentöser Provokation gelang es, eine atrio-

ventrikuläre ReentryTachykardie (kreisende Erregung) in

einer rechts-postero-septal gelegenen akzessorischen Lei-

tungsbahn in der Nähe des Koronarvenensinus als patho-

morphologisches Substrat der Herzrhythmusstörung auszu-

lösen. Ein primärerVersuch einer Kryoablation mit der Ziel-

setzung der Unterbrechung der akzessorischen Leitungs-

bahn schlug allerdings fehl. Im unmittelbaren Anschluss

nach frustraner Kryoablation wurde eine Hochfrequenz-

stromablation durchgeführt, die zu einem kompletten AV-

Überleitungsblock mit der Notwendigkeit einer permanen-

ten Schrittmacherimplantation führte.

Im Überprüfungsverfahren vor der Gutachterkommission

legte die beschuldige Klinik außer der Stellungnahme der

beteiligten Ärzte lediglich einen zehn Monate nach der Be-

handlung erstellten Bericht des Operateurs vor. Weitere

Unterlagen zu der Ablationsbehandlung sind trotz mehr-

facher Nachfragen nicht beigebracht worden.

Gutachterliche Beurteilung

Auf Grund der seit Jahren bestehenden rezidivierenden

symptomatischen supraventrikulären Tachykardien, die

teils medikamentös therapierefraktär waren, bestand eine

klare Indikation für eine invasive elektrophysiologische Un-

tersuchung zur Lokalisation des Ursprungs der Tachykardie

und Ablationsbehandlung. Sachverständig beraten, ist die

Gutachterkommission zu folgender Beurteilung der Inter-

ventionsprozedur gelangt:

Ausweislich des internationalen Schrifttums ist der primäre

Einsatz der Kryoablation imVergleich zur Hochfrequenzab-

lation bei AV-Reentry-Tachykardien im Kindes- und Jugend-

lichenalter das Verfahren der Wahl

(Drago, F.: Paediatric ca-

theter cryoablation: techniques, successes and failures, Current

Opinion in Cardiology; 2008, 23:81–84)

. Bei annähernd glei-

cher Erfolgsquote hat die Kryo gegenüber der Hochfre-

quenzablation bis zu einer Temperatur von maximal minus

30 Grad Celsius an der Katheterspitze den Vorteil, nur eine

passagere, reversible Veränderung des pathologisch-anato-

mischen Substrats zu bewirken, die mit einem vorüberge-

henden elektrischen Leitungsverlust einhergeht.Erst bei stär-

kerer Vereisung tritt ein irreversibler Gewebeschaden auf.

Durch stufenweise Steigerung der Kryo-Energie-Ablation

kann dadurch im Vergleich zur Hochfrequenzablation (In-

duktion einer irreversiblen Hitzenekrose bei über 50 Grad

Celsius Gewebetemperatur) ein permanenter Gewebescha-

den – sprich totaler AV-Block – besser verhindert werden.

Aufgrund der Tatsache, dass kein zeitnahes OP-Protokoll

und auch keine andere Dokumentation vorgelegt wurde, aus

der Angaben zur Zieltemperatur an der Katheterspitze, der

angewendeten energetischen Leistung, Dauer und Anzahl

der Energieapplikationen sowohl für die Kryoablation wie

auch für die nachfolgende Hochfrequenzablation zu ent-

nehmen und auch die Lage der fluoroskopisch dokumen-

tierten Katheterpositionen nicht beschrieben waren,war für

die Gutachterkommission nicht nachvollziehbar, ob die Ab-

lationsbehandlung fehlerfrei entsprechend dem medizini-

schen Standard durchgeführt worden war, wie dieser in den

Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zur

Katheterablation

(Kuck, K.H. et al, Clin. Res. Cardiol. 96:

833–849, 2007.)

dargestellt ist. Die gerätetechnischen Para-

meter und die Katheterlage bestimmen nämlich entschei-

dend das Ausmaß und die Lokalisation der Gewebeläsion

und sind somit maßgebend für den Erfolg oder Misserfolg

einer Intervention.

Die Gutachterkommission hat in ihrer Entscheidung festge-

stellt, dass das Fehlen dieser Angaben als Dokumentations-

mangel anzusehen sei.Die Ablationsbehandlung mit den ge-

nannten Verlaufsdaten sei dokumentationspflichtig. Das

Fehlen der für die ärztliche Beurteilung der Behandlung un-

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Gutachtliche Entscheidungen

Die nicht dokumentierte Prozedur einer Ablationsbehandlung

Die unterbliebene Festlegung und Kontrolle der für den Erfolg oder Misserfolg einer

ärztlichen Maßnahme maßgeblichen Kriterien stellt einen Behandlungsfehler dar