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Befunde einer Varikozele sind häufig anzutreffen, bedürfen

aber nur selten einer Behandlung. Im Gegensatz zur sympto-

matischen Varikozele durch erworbene Obstruktionen des

Nierenvenen- und Cavasystems ist die idiopathische Variko-

zele eine anlagebedingte, refluxive Erweiterung der Hoden-

vene(n) und des Plexus pampiniformis vor allem bei aufrech-

ter Körperhaltung. Sie kommt unter jungen Männern bei et-

wa fünf bis 30 Prozent vor, dabei linksseitig in etwa 70 bis 90

Prozent, rechtsseitig in etwa fünf bis 20 Prozent und beidsei-

tig in etwa zehn bis 15 Prozent. Bei etwa 15 bis 50 Prozent der

Betroffenen besteht zugleich eine Infertilität oder eine Sper-

miogenese-Störung (OAT-Syndrom). Etwa 80 bis 90 Prozent

aller Männer mit einer Varikozele sind jedoch fruchtbar und

werden Väter. Ob mit der Beseitigung einer Varikozele eine

Verbesserung der Schwangerschaftsrate zu erzielen ist, wird

kontrovers beurteilt. Bei diesen Gegebenheiten kann es zu

Problemen bei der Indikationsstellung kommen.Die Gutach-

terkommission hatte sich in letzter Zeit mit zwei dement-

sprechenden Fällen zu befassen; beim ersten Fall hätten ein-

getretene Komplikationen vermieden werden müssen.

Sachverhalte

Fall 1

Der 36-jährige Antragsteller wandte sich nach frühererVariko-

zelen-Operation (nach Bernardi) wegen eines linksseitigen

Scrotumschmerzes und eines Orgasmusschmerzes an einen

niedergelassenen Urologen. Der belastete niedergelassene

Arzt für Urologie stellte bei dem klinischen Befund eines

drittgradigen Varikozelen-Rezidivs die Indikation zur Ope-

ration mit dem Einweisungsvermerk „noch Kinderwunsch“.

Eine Überprüfung des Spermien-Status (durch eine Spermio-

graphie) wurde ebenso unterlassen wie der differenzial-

diagnostische Ausschluss einer anderen Schmerzursache wie

einer Prostatitis (durch eine 2-Gläser-Probe).

Die ebenfalls belasteten Krankenhausärzte der Abteilung für

Urologie übernahmen die Operationsindikation ungeprüft

und verschlossen bei der Varikozelen-Operation (nach

Ivanissevich) alle erkennbaren Venen des Samenstranges

einschließlich der des Ductus deferens. In der Folgezeit kam

es zu einer hämorrhagischen Infarzierung des linken Hodens,

der bei anhaltenden Schmerzen operativ entfernt wurde. Bei

der histologischen Untersuchung zeigte sich eine vollstän-

dige Hodennekrose.

Fall 2

Bei dem 34-jährigen Antragsteller wurde von einem nieder-

gelassenen Urologen und Andrologen eine normogonado-

trope Azoospermie bei linksseitiger Varikozele diagnosti-

ziert und die Indikation zu Hodenbiopsien und einer Variko-

zelen-Operation gestellt. Dementsprechend erfolgten in

der belasteten Abteilung für Urologie eine laparoskopische

Varikozelen-Klippung/Resektion links und transscrotale

Hodenbiopsien beidseits. Am Operationstag kam es gegen

16 Uhr zu einer blutungsbedingten schmerzhaften Schwel-

lung des linken Unterbauchs, in der darauf folgenden Nacht

auch zu einer gleichartigen Schwellung des Scrotums. Der

Patient erhielt Eiskühlungen und Schmerzmittel. Hämo-

globin, Hämatokrit und Erythrozyten fielen am 1. und 2. Tag

nach den Eingriffen auf 11,2 und 10,0g/dl beziehungsweise

33,5 und 29,4 Prozent beziehungsweise 3,77 und 3,29/µl ab.

Eine Reintervention erfolgte nicht.

Wegen eines fluktuierenden etwa mannsfaustgroßen Häma-

toms des linken Unterbauchs waren elf Tage nach den Ein-

griffen eine operative Hämatomausräumung undWunddrai-

nage und wegen eines infizierten Hämatoms vor allem des

linken Scrotums etwa sieben Tage später eine weitere Häma-

tomausräumung und Wunddrainage notwendig. Etwa neun

Wochen nach den ersten Eingriffen zeigten sich die Opera-

tionswunden bei abnehmenden Beschwerden weitgehend

verheilt.

Beurteilung

Eine Varikozele ist nicht wegen ihres Bestehens behandlungs-

bedürftig, sondern nur wegen hierdurch verursachter Ho-

denstörungen oder -beschwerden. Hierbei sind folgende Tat-

sachen zu berücksichtigen:

Die meisten Männer (80 bis 90 Prozent) mit einer Variko-

zele sind fruchtbar und werden Väter.

Zwischen einer Varikozele und einer Abnormalität des

Spermiogramms (OAT-Syndrom) sowie einer Verkleine-

rung des Hodenvolumens bestehen Beziehungen.

Mit der Beseitigung einer Varikozele kann sich ein abnor-

males Spermiogramm verbessern und ein verkleinerter

Hoden vergrößern.

Ob allerdings mit der Beseitigung einer Varikozele eine

Verbesserung der Zeugungsfähigkeit zu erzielen ist, wird

kontrovers beurteilt.

Von der Europäischen Gesellschaft für Urologie wurden da-

her zur Behandlung einer Varikozele folgende Indikationen

festgelegt:

Ein kleiner Hoden (mit Wachstumsrückstand),

ein zusätzlicher Hodenbefund,

eine beidseitig tastbare Varikozele,

ein pathologisches Spermiogramm,

eine symptomatische Varikozele.

Nach den Empfehlungen des Arbeitskreises Andrologie der

Deutschen Gesellschaft für Urologie sollte bei einer Azoo-

spermie die Behandlung einer Varikozele unterbleiben.

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Gutachtliche Entscheidungen

Fehler bei der Behandlung einer Varikozele

Eine Varikozele ist nicht wegen ihres Bestehens behandlungsbedürftig, sondern nur wegen

hierdurch verursachter Hodenstörungen oder -beschwerden