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am 10. August in eine Herzchirurgische Klinik verlegt. An

diesem Tage verschlechterte sich der Zustand akut; die Pa-

tientin wurde reanimations- und intubationspflichtig. Nach

Installation einer arteriellen Ballonpumpe begann sofort die

notfallmäßige umfangreiche operative Behandlung, die auch

zunächst zu einem ausreichend guten Kreislauf führte.

Während der anschließenden intensiv-medizinischen Be-

handlung konnten die eintretenden Blutgerinnungsstörun-

gen trotz Substitution jedoch kaum beeinflusst werden. Die

Patientin verstarb am Abend des 11. August an einem irre-

versiblen Herz-Kreislaufversagen. Eine Obduktion wurde

auf Wunsch der Angehörigen nicht durchgeführt.

Gutachtliche Beurteilung

Dieser Sachverhalt wurde hinsichtlich der gegen den Allge-

meinmediziner erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe von

der Gutachterkommission in Verbindung mit dem Gutachten

eines kardiologischen Fachsachverständigen wie folgt beur-

teilt:

Die Untersuchungen am 8. Juli und 10. Juli waren nicht aus-

reichend. Aufgrund der von der Patientin geäußerten

Schmerzen und des vom Arzt selbst geäußerten Verdachts

auf funktionelle Herzbeschwerden bestand bereits zu die-

sem Zeitpunkt Anlass zu einer EKG-Untersuchung. Aller-

dings dürfte es nach dem späteren Beschwerdeverlauf und

der Diagnose in derMedizinischen Klinik vom 26. Juli wahr-

scheinlich sein, dass der Infarkt etwa am 21. Juli eingetreten

war und daher zum Zeitpunkt der ersten Untersuchungen

noch keine Anzeichen dafür feststellbar waren.

Zudem erschienen dem Arzt die Beschwerden der Patientin

durch den gastroskopischen Nachweis eines Ulcus ventriku-

li und degenerativer Wirbelsäulenveränderung zumindest

subjektiv erklärt. Zu dieser Bewertung wird der von ihm als

nicht pathologisch beurteilte EKG-Befund vom 12. Juli bei-

getragen haben. Die Gutachterkommission war nicht in der

Lage, diesen – nicht auffindbaren –Befund nachzuprüfen, so

dass insoweit eine unter Umständen fehlerhafte Beurteilung

nicht festgestellt werden kann. Bei der geringen ergometri-

schen Belastung mit 50 Watt war jedenfalls eine koronare

Herzkrankheit nicht auszuschließen.

Mangelhaft war allerdings die Behandlung ab 16. Juli. An

diesem Tage klagte die Patientin über fortdauernde Be-

schwerden in der Brust „bei längerer Belastung oder tiefem

Atmen“ im Sinne einer perikardialen Reaktion. Wegen der

für diesen Zeitpunkt beschränkten Aussagekraft des Be-

lastungselektrokardiogramms vom 12. Juli und im Hinblick

darauf, dass der Arzt selbst eine Angina pectoris in seine

differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen hat,

war an diesem Tage ein Kontroll-EKG, kombiniert mit einer

Untersuchung der so genannten herzspezifischen Enzyme,

zwingend erforderlich.Die Unterlassung dieser Maßnahmen

stellt nach Auffassung der Gutachterkommission einen vor-

werfbaren Behandlungsfehler dar.

Schwerwiegende Versäumnisse

Als schwerwiegend fehlerhaft beurteilte die Kommission die

Versäumnisse des Arztes ab 22. Juli. An diesem Tage klagte

die Patientin über thorakale Dauerschmerzen mit Aus-

strahlung in den linken Oberarm, Oberbauchschmerzen

und zusätzlich über Erbrechen seit dem 21. Juli. Diese Sym-

ptome – geradezu klassisch und typisch für einen akuten

Herzinfarkt – boten unmittelbaren Anlass zu einer zielge-

richteten Diagnostik, insbesondere zu einer EKG-Untersu-

chung mit Bestimmung der so genannten herzspezifischen

Enzyme.

Dies am 22. Juli unterlassen zu haben, war nach Auffassung

der Gutachterkommission ein nicht verständlicher und nicht

mehr verantwortbarer Verstoß gegen elementare medizini-

sche Regeln. Solche Versäumnisse durften dem behandeln-

den Arzt schlechterdings nicht unterlaufen. Damit war der

Behandlungsfehler als „grob“ im Sinne der Rechtsprechung

zur Haftpflicht des Arztes zu qualifizieren. Eine solche Be-

wertung hat beweisrechtliche Folgen für den Arzt.

Umkehr der Beweislast

Im vorliegenden Fall konnte die Gutachterkommission

nicht die sichere Feststellung treffen, dass eine sachgerech-

te Diagnostik ab 16. Juli bzw. 22. Juli und damit eine statio-

näre Behandlung ab diesem Zeitpunkt angesichts der Größe

und Lokalisation des Herzinfarktes den tödlichen Krankheits-

verlauf verhindert hätte. Die Chancen für eine Abwendung

dieses Verlaufs und für eine erfolgreiche therapeutische Be-

einflussung des Krankheitsgeschehens wären jedoch bei einer

frühzeitigeren Krankenhauseinweisung wesentlich besser

gewesen.

Im günstigen Fall hätte bei rechtzeitiger Beseitigung des

Durchblutungshindernisses im verschlossenen Bereich der

linken Herzkranzarterie eine Wiederherstellung der Herz-

muskeldurchblutung bewirkt werden können. Zumindest

die Größe des Infarktes hätte wesentlich verkleinert, im op-

timalen Fall der Eintritt des Infarktes möglicherweise ver-

mieden werden können. Ein derart günstiges Behandlungs-

ergebnis kann aber im vorliegenden Fall nicht sicher ange-

nommen werden.

Beweisrechtlich kann die Feststellung eines groben Behand-

lungsfehlers für die Frage, ob er den eingetretenen Schaden

verursacht hat, zur Umkehrung der Beweislast führen. Das

bedeutet, dass in einem solchen Fall nicht der Patient die

Kausalität nachzuweisen hat.Vielmehr ist es dann Sache des

betroffenen Arztes, den Nachweis zu führen, dass der Ge-

sundheitsschaden – hier sogar der Tod – nicht eine Folge sei-

ner Versäumnisse ist, was bei dem gegebenen Sachverhalt

wohl nicht gelingen würde.

Ergänzend zum Thema: Herzinfarkt

Plötzlich auftretende Schmerzen im Bereich des Brustkorbs

oder des Oberbauchs mit Ausstrahlung nach einer bzw. bei-

den Seiten, zumal in Verbindung mit einem Schweißaus-

bruch oder einer klammen Haut, müssen bei Ärzten jeglicher

Fachrichtung – vor allem im Notdienst und auch bei ansons -

ten unauffälligem körperlichen Untersuchungsbefund – dif-

ferenzialdiagnostisch den Verdacht auf einen akuten Herz-

infarkt lenken. Der Patient ist unter derartigen Umständen

so früh und so rasch wie möglich mit dem Notarztwagen in

eine Innere Klinik zu transportieren. Diese hat der Arzt zu-

Gutachtliche Entscheidungen

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Diagnostische Versäumnisse bei einem Myokardinfarkt