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Gutachtliche Entscheidungen

Zur Diagnostik von Lungenembolien

chykardie. Diese geschilderten Umstände hätten jedenfalls

zu weiteren Untersuchungen (zum Beispiel Duplexsonogra-

phie der Beinvenen, Thoraxaufnahme, Lungenszintigra-

phie) führen müssen. Denn erfahrungsgemäß verlaufen

Lungenarterienembolien nicht selten klinisch weitgehend

„stumm“ oder mit nur uncharakteristischen Symptomen.

Der Arzt hat bei seiner Anamnese – anders als die Allge-

meinärztin, die früher abgelaufene Beinvenenthrombosen

ermittelte – nicht nach vorangegangenen Thrombosen ge-

fragt. Das spricht dafür, dass er an die Möglichkeit einer

Lungenembolie nicht gedacht hat. Die Unterlassung weiter-

führender Untersuchungen, die zu der viertägigen Diagnose-

verzögerung führte, wertete die Gutachterkommission als

vorwerfbaren Behandlungsfehler, der allerdings keinen

messbaren gesundheitlichen Schaden nach sich gezogen

hat. Auch im Falle einer früheren Diagnose der Embolien

wäre dieselbe – komplikationslos verlaufene – Behandlung

angezeigt gewesen.

Die von der Allgemeinärztin getroffenen Sofortmaßnahmen

waren dagegen als sachgerecht zu beurteilen. Sicherheits-

halber hätte allerdings ihre Untersuchung eine sonographi-

sche Überprüfung des Venenstatus einschließen sollen. Feh-

lerhaft war es, nicht vorsorglich einen Liegendtransport zur

Lungen-Perfusionsszintigraphie angeordnet zu haben. Zu

einem Gesundheitsschaden haben diese Unterlassungen

glücklicherweise nicht geführt.

Ergänzend zum Thema

Ursächlich für Fehleinschätzungen war häufig, dass an die

Möglichkeit von Lungenembolien nicht gedacht wurde,

wenn Thromben in den tiefen Beinvenen nur zu einer um-

schriebenen oder partiellen venösen Abflussstörung geführt

hatten, jedoch noch nicht zu einem kompletten Verschluss

einer odermehrerer Beinvenen mit den erst dann in Erschei-

nung tretenden „typischen“ Thrombosezeichen wie fühlbarer

Volumen- bzw. messbarer Umfangsvermehrung der betrof-

fenen Extremität.

Soweit fulminante Lungenembolien kein sofortiges Herz-

versagen auslösen, gelten als wichtige Leitsymptome für die

Annahme von Lungenembolien: plötzlich und ohne Fieber

auftretende atemabhängige Schmerzen imBereich des Brust-

korbs mit Hustenreiz, innerer Unruhe bzw. Angstgefühl und

einer Tachykardie als Ausdruck eines akuten Cor pulmona-

le. Solche Beschwerden sollten unverzüglich weiterführende

Untersuchungen wie Duplex-Sonographie, Phlebographie

und Lungen-Perfusionsszintigraphie nach sich ziehen.The-

rapeutisch sollten sich – nach Ausschluss von Kontraindika-

tionen–eine Fibrinolyse, ggf.eine Thrombektomie von tiefen

Bein-, Becken- oder Armvenenthrombosen als Emboliequel-

le und ggf. auch die Anlage einer arterio-venösen Fistel in

der Leiste anschließen.

Im Hinblick auf die heute mit einer frühzeitigen Fibrinolyse

oder einer operativen Behandlung verbesserten therapeuti-

schen Möglichkeiten gewinnt eine frühestmögliche Diagnose

von Thromben in den tiefen Venen der unteren Extremitä-

ten an Bedeutung, um Lungenembolien mit zum Teil dele-

tärem Ausgang oder ein postthrombotisches Syndrom mög-

lichst zu vermeiden.

Die Gutachterkommission stellte in den vergangenen fünf

Jahren in 5.478 gutachtlichen Bescheiden 1.946 (35,5 Pro-

zent) vorwerfbare Behandlungsfehler fest. In 364 der 5.478

Verfahren lagenTodesfälle vor.Von insgesamt 130Verfahren

(2,4 Prozent), die für diesen Beitrag ausgewertet wurden, be-

trafen 12 denVorwurf derVerkennung einer Lungenembolie,

37 diagnostische Versäumnisse bei Thrombosen und 81 eine

unzureichende Thromboseprophylaxe. Hierunter waren 23

Patienten, die infolge fulminanter Lungenembolie verstor-

ben waren.

Während im Gesamtkollektiv die Zahl der von den Antrag-

stellern auf vermutete Behandlungsfehler zurückgeführten

Todesfälle mit 364 von 5.478 bei 6,6 Prozent lag,war der Pro-

zentsatz bei den untersuchtenThromboemboliefällen mit 23

von 130 Patienten (17,7 Prozent) 2 1/2-mal so hoch. Aller-

dings war ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem

Tod des Patienten und dem festgestellten Diagnose- bzw.

Therapiefehler nur in zwei Fällen festzustellen.

Bei den festgestellten Diagnosefehlern lag die Quote der

anerkannten Behandlungsfehler mit 58,3 Prozent bei der

Lungenembolie und 59,5 Prozent bei der tiefen Beinvenen-

thrombose signifikant höher als der Durchschnitt (35,5 Pro-

zent). Nur in einem Drittel der anerkannten Behandlungs-

fehler (19/56= 33,9 Prozent) konnte der eingetretene Ge-

Zeitraum

Gesamt-

davon

Anzahl d.

Anzahl d.

als Folge

1.1.1995–31.12.1999

zahl

BF*

Todesfälle

BF* bei

von BF*

(BF-Quote in %)

Todesfällen anerkannt

Gutachtliche Bescheide

5.478

1.946 (35,5)

364

Anzahl der ausgewerteten Fälle

130

56 (43,1)

23

5

2

davon Vorwürfe betr.:

DF° Lungenembolie

12

7(58,3)

6

2

1

DF° Beinvenenthrombose

37

22 (59,4)

4

1

0

BF* Thromboseprophylaxe

81

27 (33,3)

13

2

1

° DF = Diagnosefehler * BF = Behandlungsfehler