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Die Gutachterkommission hatte wiederholt Sachverhalte zu

beurteilen, bei denen das erhöhte Operationsrisiko bei Dia-

betikern nicht ausreichend beachtet wurde. Vermindern lässt

sich das Risiko durch eine sorgfältige Erhebung der Ana-

mnese und eine gründliche Untersuchung mit sachgerechter

Vorbereitung, die vor allem die aktuelle Blutzuckereinstel-

lung sowie das Ausmaß etwaiger diabetischer Folgeerkran-

kungen (Durchblutungs- und Nierenfunktionsstörungen,

Nervenschäden) betrifft.

Ist das Komplikationsrisiko für den Eingriff deutlich erhöht,

kann ein Verschieben der Operation angezeigt sein, soweit

nicht ohnehin die Risikoabwägung zu dem Ergebnis führt,

dass die Indikation für eine operative Behandlung zu vernei-

nen ist. Hierzu beispielhaft die Darstellung eines von der

Gutachterkommission beurteilten Falles.

Der Sachverhalt

Aus den Krankenunterlagen des beschuldigten niedergelas-

senen Chirurgen und der nachbehandelnden Klinik ergab

sich Folgendes: Der 55-jährige Patient stellte sich dem Arzt

wegen Fußbeschwerden vor, die nach dem Ergebnis der Un-

tersuchung unter anderem auf eine Hornschwiele unter

dem linken Fuß zurückgeführt wurden. Der Patient litt seit

Jahren an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit

Polyneuropathie, der dem Arzt bekannt war. Er schlug dem

Patienten eine operative Entfernung der Hornschwiele vor.

Ob und inwieweit der Patient über die Risiken dieses Vorge-

hens näher aufgeklärt wurde,war zwischenArzt und Patient

strittig. Dokumentiert war die Aufklärung nicht. Es lag eine

Einwilligungserklärung des Patienten vor, die dieser am

Operationstag unterschrieben hatte, und zwar nach seiner

Darstellung „auf dem Operationstisch“. Die Erklärung ent-

hielt den Zusatz, dass der Patient „über eine Operation am

linken Fuß in Lokalanästhesie aufgeklärt worden“ sei.

Die Krankenunterlagen enthalten im Übrigen keine Unter-

suchungsbefunde, insbesondere fehlen Feststellungen über

die Höhe des Blutzuckers. Der Arzt hat hierzu erklärt, dass

er Fußpulse beiderseits getastet habe, um eine periphere An-

giopathie auszuschließen.

Ambulante operative Behandlung

Dem Operationsbericht lag als Diagnose zugrunde: Großer

Clavus (Hühnerauge) links und Ganglion linker Fuß (bei be-

kanntem Diabetes mellitus).

Nach dem Bericht wurden das circa kirschgroße Ganglion

herauspräpariert und die Operationswunde primär ver-

schlossen. Anschließend wurde der „Große Clavus im Be-

reich des lateralen linken Vorfußballens, der zentral eine

deutliche trichterförmige Eindellung“ zeigte, freipräpariert.

Das unter der Eindellung festgestellte „entzündliche Gewe-

be“ wurde komplett exzidiert; die Wunde wurde wegen der

„diabetischen Polyneuropathie“ nur mit Adaptationsnähten

verschlossen. Die histologische Untersuchung erbrachte in

der Beurteilung „ein Ganglion am linken Fuß ohne Hinwei-

se auf Entzündung oder Malignität“ und „einen unverdäch-

tigen Clavus am linken Fuß“.

Postoperative Behandlung

Der weitere Verlauf ist nicht dokumentiert. Der Arzt berich-

tete jedoch über einen Verbandwechsel am zweiten Tag

nach der Operation und darüber, dass der Bereich der Wun-

de „leicht gerötet“ und der Fuß geschwollen gewesen sei. Er

habe Doxycyclin und Diclofenac verordnet. Am dritten Tag

nach der Operation stellte sich der Patient mit weiter ge-

schwollenem Fuß vor; er wurde mit der Diagnose „Wund-

infektion“ stationär eingewiesen.

Stationäre Behandlung

Bei der Aufnahme in der Klinik gab der Patient zur Ana-

mnese an, dass bereits ab dem ersten Tag nach der Opera-

tion zunehmende Schmerzen und Temperatursteigerungen

bis 40° C beobachtet worden seien.

Die Aufnahmeuntersuchung ergab folgenden wesentlichen

Lokalbefund: „Lateral im Bereich des Vorfußballens circa

5 cm messende querverlaufende Wunde. Wundränder ne-

krotisch. Auf Druck entleert sich Pus – nach Fäden ex er-

kennt man Nekrosen, die bis zum Köpfchen des 5.Mittelfuß-

knochens links reichen. Der Fußrücken ist geschwollen und

gerötet bis zum oberen Sprunggelenk. Lymphatischer Strei-

fen ist feststellbar. Die Fußpulse sind tastbar. Die Schmerz-

empfindlichkeit der Fußsohle aufgehoben.“ Die Körpertem-

peratur betrug 38,6° C, der Blutzucker 245 mg/dl.

Noch am selben Tage wurde die Operationswunde wieder

eröffnet. Es wurden „ausgedehnte stinkige Nekrosen“ fest-

gestellt, „die bis zum Köpfchen des 4. Mittelfußknochens

bzw. des Kleinzehengrundgliedes reichten“. Die Nekrosen

wurden exzidiert.

Drei Tage später erfolgte eine erneute Wundrevision, da

die erhöhten Körpertemperaturen bis 40° C anstiegen und

nicht zurückgingen. Die Blutzuckerwerte lagen knapp unter

200 mg/dl. Bei dieser Revision entleerte sich „übelriechen-

der Eiter“. Das Fettgewebe war nekrotisch verändert. Es er-

folgte ein neuer Hautschnitt mit Fascieneröffnung über dem

5. Mittelfußknochen. Die Diagnose lautete „Phlegmone lin-

ker Fuß bei diabetischer Polyneuropathie“.

Diabetische Gangrän – Unterschenkelamputation

Eine Woche nach der letzten Wundrevision kam es erneut

zu septischen Temperaturen, so dass eine weitere Revisions-

operation erforderlich wurde. Nach dem Operationsbericht

fand sich „aufgrund einer diabetischen Gangrän eine große

nekrotischeWunde im Bereich der lateralen Seite des linken

Fußes, die Sehnen liegen frei.“ Die Nekrosen wurden im

großen Umfang abgetragen. Gleichwohl blieben die Körper-

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Gutachtliche Entscheidungen

Operative Risiken bei Diabetikern

Zur Indikation und Durchführung von Eingriffen am diabetischen Fuß