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Nach der allgemeinen Arztbesprechung um 8:15 Uhr such-

ten Chefarzt und Oberarzt den Patienten auf der Intensiv-

station auf.Während derVisite erlitt der Patient einen selbst-

limitierenden, nicht näher beschriebenen generalisierten

Krampfanfall. Eine um 8:55 Uhr durchgeführte Echokardio-

graphie zeigte eine ausgedehnte Akinesie des linken Ventri-

kels als Folge des großen Herzvorderwandinfarktes mit

stark eingeschränkter Pumpfunktion des linken Ventrikels.

Die Verlegung unter ärztlicher Begleitung in die Universi-

tätsklinik zur Durchführung einer Herzkatheterunter-

suchung und ggf. Intervention wurde sogleich angeordnet.

Sie erfolgte zwischen 10 und 10:30 Uhr bei zunehmender

kardialer Verschlechterung im Sinne eines protrahierten

kardiogenen Schocks.

Behandlung in der Universitätsklinik

Kurz nach der Ankunft trat eine akute Dekompensation

der Kreislaufsituation ein, die eine etwa einstündige Re-

animationsbehandlung notwendig machte. Noch unter dieser

Behandlung erfolgten die Anlage einer intraaortalen Ballon-

Gegenpulsation und eine Herzkatheteruntersuchung mit se-

lektiver Koronarangiographie. Dabei fanden sich ein stamm-

naher Abbruch des Ramus interventrikularis anterior

(RIVA) der linken Herzkranzarterie und eine serielle hoch-

gradige Stenosierung im Ramus circumflexus der linken

Koronararterie bei Nachweis einer eher kleinen rechten

Koronararterie mit filiformer distaler Stenosierung vor der

Crux cordis. Der verschlossene RIVA konnte rekanalisiert

und mit einem Stent versorgt werden. Trotz Wiedereröff-

nung des Infarktgefäßes kam es jedoch nicht zu einer Erho-

lung der Pumpfunktion des linkenVentrikels.Die Kreislauf-

situation bei Blutdruckwerten um 70/45 mmHg konnte auch

unter maximaler Katecholamingabe nicht stabilisiert wer-

den. Im Rahmen des Schockereignisses kam es zu einer

Oligurie mit Anstieg des Kreatinins im Sinne eines akuten

Nierenversagens. Trotz optimaler Maximaltherapie starb der

Patient am Morgen des 20. Februar im kardiogenen Schock.

Gutachtliche Beurteilung

Nach Auffassung der Gutachterkommission war es situati-

onsangemessen und richtig, dass die noch in der Ausbildung

zur internistischen Fachärztin befindliche in der Notfallam-

bulanz der Klinik Dienst tuende Ärztin nach Untersuchung

und Diagnosestellung eines akuten Herzinfarktes sofort den

Dienst habenden Oberarzt fernmündlich unterrichtete, um

die standardgerechte Therapie sicherzustellen. Die vom

Oberarzt bei der Erörterung bejahte Indikation zur Durch-

führung einer rtPa-Lyse-Therapie war prinzipiell nicht feh-

lerhaft, obwohl die Erfolgsaussichten bei einemTherapiebe-

ginn etwa acht Stunden nach Eintritt der Herzinfarktsym-

ptomatik als stark eingeschränkt zu bewerten sind. Als Al-

ternative hätte zu diesem Zeitpunkt schon die Verlegung des

Patienten in die nahe gelegene kardiologische Universitäts-

klinik zur interventionellen Diagnostik und Therapie in Be-

tracht gezogen werden müssen. Dass diese nicht erwogen

wurde, ist der in der Ambulanz tätigen Ärztin nicht vorzu-

werfen, da die Therapieentscheidung der Oberarzt traf. Die

Gutachterkommission hat diese Verfahrensweise trotz des

Zeitablaufs noch nicht als vorwerfbar fehlerhaft bewertet.

Behandlungsfehler

Das Verhalten der in der Ambulanz und Intensivstation täti-

gen Ärztin war insoweit fehlerhaft, als sie nach demWieder-

auftreten der thorakalen Beschwerden in Verbindung mit

den EKG-Veränderungen nicht sofort den Oberarzt verstän-

digt hat, um die standardgerechte Therapie zu wahren. Das

Versäumnis hatte die gravierende Folge, dass die nunmehr

notwendige Verlegung in die Universitätsklinik erst rund

6 Stunden später durchgeführt werden konnte.

Der Vorwurf fehlerhafter ärztlicher Behandlung trifft nach

Auffassung der Kommission jedoch in erster Linie den

Dienst habenden Oberarzt, der es versäumt hat, sich sofort

persönlich über den Zustand des als Diabetiker und Hyper-

toniker und damit als Risikopatienten einzuordnenden

Kranken durch eigene Untersuchung zu unterrichten sowie

Einleitung und Verlauf der Therapie nicht überwacht zu

haben. Er hätte zudem schon zu diesem Zeitpunkt durch ei-

ne frühzeitige Kontaktaufnahme mit der Universitätsklinik

die Frage einer etwaigen Verlegung zur weiterführenden

Diagnostik und Therapie klären müssen.

Unterlassene Überwachung

Bei der gebotenen Kontrolle des Krankheitsverlaufs in der

Nacht zum 19. Februar hätte der Oberarzt, der sich nach der

Therapieentscheidung am Abend bis zur Visite am nächsten

Morgen nicht mehr um den ihm fachärztlich anvertrauten

Patienten kümmerte, die gegen 4 Uhr eintretende deutliche

Verschlechterung des Zustandes frühzeitig erkennen, sach-

gerecht beurteilen und adäquat reagieren können. Die zu

diesem Zeitpunkt einsetzenden thorakalen Beschwerden

gingen mit elektrokardiographischen Veränderungen im

Sinne einer erneuten Verstärkung der ST-Hebungen und ei-

ner entsprechenden Zunahme der Senkungen in II, III und

aVF einher.

Die Symptome des Patienten und die EKG-Veränderungen

hätten als Indikatoren einer Reokklusion des Infarktge-

fäßes,welche in 5 bis 10 Prozent der Fälle nach einer primär

erfolgreichen Lyse auftreten kann, gedeutet werden müs-

sen. Die folgerichtige und sachgerechte Maßnahme wäre

spätestens zu diesem Zeitpunkt die sofortige Kontaktauf-

nahme mit der Universitätsklinik zwecks Verlegung des Pa-

tienten mit dem Ziel der Durchführung geeigneter interven-

tioneller Maßnahmen gewesen. Dies versäumt zu haben hat

die Kommission als entscheidenden vorwerfbaren Behand-

lungsfehler des Oberarztes gewertet.

Die am Morgen des 19. Februar sofort veranlasste Verlegung

in die Universitätsklinik war sachgerecht, wenn auch zeit-

lich erheblich verspätet. Beim Eintreffen des Patienten in

der Klinik musste unvermeidbar zunächst der reanimations-

pflichtige Herz-Kreislauf-Zustand behandelt werden, was

zu einer weiteren Verzögerung der notwendigen kardiologi-

schen Behandlung beitrug.Obwohl in derUniversitätsklinik

in optimaler Weise alle dem fachärztlichen Standard ent-

sprechenden Maßnahmen getroffen wurden, konnten die

ärztlichen Bemühungen den Eintritt des Todes am 20. Fe-

bruar nicht mehr verhindern.

Gutachtliche Entscheidungen

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Therapieversäumnisse bei einem Herzinfarkt