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Gutachtliche Entscheidungen

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Das Prostatakarzinom ist nach dem Lungenkrebs die zweit-

häufigste Krebstodesursache und der am häufigsten diagnos-

tizierte bösartige Tumor des Mannes. Eine Verhärtung der

Prostata, total oder herdförmig, kann verschiedene Ursachen

haben. Am häufigsten handelt es sich um ein Prostata-

karzinom, seltener um eine granulomatöse oder unspezifische

Prostatitis, um eine Tuberkulose oder um Prostatasteine.

Im frühzeitigen, organbegrenzten Tumorstadium, wenn

noch keine Lymphknoten- oder Fernmetastasen bestehen,

ist das Prostatakarzinom durch Operation oder Strahlen-

therapie heilbar. Voraussetzung für eine kurative Therapie

ist daher die Früherkennung. Eine Hilfe bietet hier – neben

der digital-rektalen Untersuchung – vor allem die Bestim-

mung des prostataspezifischen Antigens (PSA). Es ist ein Se-

kretionsprodukt der Prostata, das mit hoher Empfindlich-

keit ein Prostatakarzinom in einem frühen Stadium anzeigen

kann. Hierbei gelten derzeit Werte bis 4 ng/ml als normal,

Werte von 4–10 ng/ml als verdächtig und Werte von über

10 ng/ml als Hinweis auf ein Karzinom. Besonders verdäch-

tig ist ein Anstieg des PSA-Wertes innerhalb einer kurzen

Zeitspanne. Die Diagnose eines Prostatakarzinoms kann je-

doch nur durch eine Gewebeentnahme aus der Prostata ge-

stellt werden.

Bei PSA-Werten von über 4 ng/ml bzw. über 10 ng/ml wird

in mehr als 25 Prozent bzw. 50 Prozent der Fälle in der Ge-

webebiopsie der Prostata ein Karzinom gefunden. Wegen

der Heilbarkeit des Prostatakarzinoms im Frühstadium ist

eine Aufklärung über die Bedeutung des PSA-Tests not-

wendig. Eine allgemeine Screening-Untersuchung ist der-

zeit noch umstritten

(Näheres dazu Deutsches Ärzteblatt,

Heft 24 vom 11.06.2004, im Internet verfügbar unter www.

aerzteblatt.de)

. Wenn ein verdächtiger PSA-Wert gefunden

wird, muss eine weiterführende Diagnostik erfolgen.

Die Gutachterkommission hat sich in den letzten Jahren in

einer Reihe von Fällen mit Versäumnissen bei der Diagnose

befassen müssen. Beschuldigt waren Urologen, Internisten

und Ärzte für Allgemeinmedizin.

Beispielhaft werden zwei – auf das Wesentliche beschränkte –

Sachverhalte geschildert, bei denen die urologische und die

internistische Fachdisziplin betroffen waren.

Fehlerhaftes Vorgehen eines Urologen

Der 44-jährige Patient suchte am 16. Februar den beschul-

digten Urologen wegen zunehmender Beschwerden beim

Wasserlassen auf. Bei der rektalen Untersuchung stellte der

Arzt einen steinharten und druckschmerzhaften rechten

Prostatalappen fest. Eine Röntgenaufnahme des Bauchrau-

mes zeigte ein unauffälliges Skelettsystem ohne Hinweis

auf ein Harnsteinleiden. Das PSA im Blutserum ergab einen

Wert von 45 ng/ml. Unter der Verdachtsdiagnose einer

granulomatösen Prostatitis leitete der Arzt eine antibio-

tische Behandlung ein.

Bei der nächsten Vorstellung am 10. März besprach der Arzt

– nach den Krankenunterlagen –mit dem Patienten zwar die

Frage einer bioptischen Abklärung. Eine entsprechende

Maßnahme wurde aber nicht getroffen. Bei der erneuten

Untersuchung am 24. Juli war der rechte Prostatalappen

nach wie vor steinhart, aber nicht mehr schmerzhaft. Es er-

folgte eine erneute antibiotische Behandlung. Die Kontrolle

des PSA am 3. August ergab 39 ng/ml. Weitere Vorstellun-

gen im August und September fanden wegen hämorrhoi-

daler Beschwerden statt.

Bei der erneuten Kontrolle am 12. Oktober war der PSA-

Wert auf 58 ng/ml und am 27. November auf 128 ng/ml an-

gestiegen.

Nachdem der Patient Mitte Dezember über Schmerzen in

der Leiste klagte und die Prostata extrem schmerzhaft war,

wies der Arzt den Patienten „wegen granulomatöser Pro-

statitis und zum Ausschluss eines Karzinoms“ in eine urolo-

gische Klinik ein. Dort ergab die feingewebliche Untersu-

chung der Stanzzylinder ein bereits beide Prostatalappen

einbeziehendes, teils mittelgradig, teils gut differenziertes

hellzelliges Adenokarzinom der Prostata. Eine weitere

Untersuchung im Januar durch eine Skelettszintigraphie

zeigte herdförmige Aktivitätsmehrbelegungen im Sinne dis-

seminierter Metastasen im Bereich der linken Schulter, der

Rippen, der Wirbelsäule und der Beckenknochen. Nach

einer plastischen Orchidektomie wurde zusätzlich eine me-

dikamentöse Androgenblockade eingeleitet. Der PSA-Wert

war am 4. Mai auf 4,1 ng/ml und am 24. August auf

2,3 ng/ml gefallen. Über den weiteren Verlauf hat die Kom-

mission keine Feststellungen getroffen.

Gutachtliche Beurteilung

Nach dem Untersuchungsergebnis vom 16. Februar mit

einem steinharten rechten Prostatalappen und einem PSA-

Wert von 45 ng/ml war eine weitere diagnostische Ab-

klärung dringend angezeigt. Ohne Weiteres von einer

granulomatösen Prostatitis auszugehen mit der Folge einer

antibiotischen Behandlung war schwerwiegend fehlerhaft.

Der beschuldigte Arzt hat möglicherweise eine Biopsie er-

wogen – eine Ablehnung durch den Patienten ist nicht doku-

mentiert –, jedoch nicht veranlasst. Dies ist erst nach zehn

Monaten geschehen. Für die zeitliche Verzögerung und da-

mit für die Verschlechterung der Prognose hat die Kommis-

sion den Urologen verantwortlich gemacht. Sie hat aller-

dings nicht feststellen können, ob zum Zeitpunkt der ersten

Untersuchung im Februar noch eine kurative Therapie

möglich gewesen wäre, da nach dem Untersuchungsergeb-

nis eine damals schon eingetretene Metastasierung des

Prostatakarzinoms anzunehmen war.

Verzögerte Diagnose eines Internisten

Bei dem 60-jährigen Patienten wurde im Rahmen einer

Früherkennungsuntersuchung am 7. April ein PSA-Wert

Verzögerte Diagnose des Prostatakarzinoms

Information des Patienten über die Möglichkeit der Früherkennung durch PSA-Test und

weiterführende Diagnostik bei verdächtigem Wert