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Jahresbericht 2015

Ärztekammer

Nordrhein

Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik

Gesunde Kindheit: Helfen statt verdrängen

Beim 4. Kinderkolloquium der Ärztekammer Nordrhein im April setzten sich die Veranstalter und

Referenten im Schwerpunkt mit Hilfen für Kinder von psychisch kranken Eltern auseinander.

Themen waren der Status-Quo der „Frühen Hilfen“, die Erreichbarkeit von Familien, Angebote vor Ort

und die als defizitär erlebte Verzahnung von Gesundheitswesen, Jugendhilfe und komplementären

Unterstützungs- und Beratungsangeboten.

Sarah, 9 Jahre alt, lebt bei ihrem Vater in Muster-

stadt. Ihre Mutter hat sie seit vier Jahren nicht mehr

gesehen. Von Zeit zu Zeit geht ihr Vater einer Arbeit

nach, es gibt aber auch Phasen, in denen er morgens

nicht aufsteht. Neben seinem Bett liegen dann leere

Schnapsflaschen, es riecht nicht gut. An diesen Ta-

gen hat Sarah immer Angst in die Schule zu gehen,

weil sie nicht weiß, ob ihr Vater wieder aufwacht. In

der Schule sind ihre Gedanken nicht beim Rechnen,

sondern Zuhause beim Vater, bei der Organisation

des Lebens, beim Einkauf, bei der Mahlzeit, die sie

für sich und ihn zubereiten muss. Sarah will, dass

es ihrem Vater besser geht. Sarah hasst den Schnaps

und liebt ihren Vater.

Den Teufelskreis durchbrechen

Etwa jedes sechste Kind in Deutschland kommt

aus einer Familie, in der mindestens ein Elternteil

alkohol- oder drogenabhängig ist. Für diese Kinder

ist das Risiko, als Erwachsene selbst suchtkrank zu

werden, im Vergleich zu Kindern aus nichtsüch-

tigen Familien bis zu sechsfach erhöht. Etwa ein

Drittel dieser Kinder wird im Erwachsenenalter

stofflich abhängig.

Kinder wie Sarah, die aus Familien stammen, in

denen die Krankheit der Eltern dauerhaft zu einer

Überforderung der Kinder führt, haben deutlich

mehr Schulschwierigkeiten und scheitern häufiger.

Sie haben geringere Chancen in der Ausbildungs-

und Arbeitswelt und erwerben in der Regel geringe-

re Bildungsabschlüsse. Fehlende Bildung kann die

Gesundheit schwächen, Krankheit wiederum kann

Bildung und Berufschancen sowie die Teilhabe am

gesellschaftlichen Leben verhindern. Die ungüns-

tigen Voraussetzungen in Schule und Ausbildung –

und damit die Chancen in der Gesellschaft – wirken

sich wiederum auf die eigene Partner- und Eltern-

schaft aus und führen so zu einem „Teufelskreis“.

Um diesen Teufelskreis so früh wie möglich zu

durchbrechen gilt es, mit früh einsetzenden Un-

terstützungsangeboten sowohl Eltern als auch

Kindern zu helfen. „Die Ärztekammer Nordrhein

will mit ihren Kammerkolloquien aufzeigen, wo

Hilfe nötig ist, welche Hilfe effizient ist und wie

die Hilfe bestmöglich organisiert sein sollte“, sagte

der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf

Henke, zum Auftakt der Veranstaltung. „Allein,

wenn wir sehen, an welchen Stellen im Leben der

Kinder und deren Eltern Hilfe von unterschied-

lichsten Akteuren angeboten werden könnte, dann

wird deutlich, dass das nicht allein über das me-

dizinische System funktioniert, sondern dass dies

eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert.“

Gerade Kinder aus Suchtfamilien, so Henke, müss-

ten ein Leben lang um die Liebe und Anerkennung

kämpfen, die ihnen zu Zeiten der Erkrankung ih-

rer Eltern verwehrt geblieben sei. Von daher sei es

sinnvoll, nicht nur die Tabakprävention in dem ak-

tuell diskutierten Präventionsgesetz zu verstetigen,

sondern auch die Alkoholprävention explizit zu er-

wähnen. Eine weitere Option könne sein, die Sucht-

prävention allgemein zu einem Inhalt des Gesetzes

zu machen.

Das Konzept der „Frühen Hilfen“

Mechthild Paul vom Nationalen Zentrum Frühe

Hilfen stellte in ihrem Redebeitrag vor, wie diese

„Frühen Hilfen“ derzeit organisiert und finanziert

sind und welche Aufgaben sich das Zentrum künf-

tig vornimmt. Paul hofft, dass mit dem Präventions-