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Kramer übertrug, liegt nahe – das große Interesse
der etablierten Architekten wie Schwarz oder
Steinbach war schließlich auch die Voraussetzung
dafür, dass das Werk Le Corbusiers im deutschen
Kirchenbau der Folgejahre breit rezipiert wurde. Die
Bilal-Moschee verweist deutlich und in zweifacher
Weise auf das Vorbild Le Corbusiers bzw. besonders
auf La Tourette: in der Formensprache einzelner
Bauteile und in ihrem geometrischen Aufbau.
Als Gemeinsamkeiten der beiden Bauten fallen
die geschlossenen Fassaden, der eingefasste Hof
und das Flachdach auf. Die Ähnlichkeiten setzten
sich auch bei einzelnen Bauteilen fort: bei den
schmal geschalten Sichtbetonwänden im Außen-
und Innenbereich, bei den durch vertikale und
horizontale Stege unterbrochenen Fensterbändern
und bei verschiedenen schräg auf ein Flachdach
gesetzten Lichthauben, den Corbusier’schen „Licht-
maschinengewehren“. Auch Details wie die weit
auskragenden, halbrunden Wasserspeier aus Beton
finden sich an beiden Bauten. Auf die „Fünf Punkte
einer neuen Architektur“ Le Corbusiers nimmt
die Moschee in Teilen Bezug, etwa mit ihrem
Türband, den verschiedenen Stützenformen oder
dem geplanten Dachgarten beziehungsweise dann
ausgeführten Flachdach. Über den Brutalismus
und verschiedene formale Einzelheiten hinaus
werden La Tourette und die Bilal-Moschee durch
das Modulor-System verbunden. Die Modulor-
Grundgröße spielt auch in der Bilal-Moschee an
einzelnen Stellen eine Rolle, so z. B. bei der Tiefe
der Frauenempore und der Höhe ihrer Brüstung
zum Gebetsraum. Vor allen Dingen aber weist die
Bilal-Moschee eine auffällige Anzahl von Goldenen
Schnitten auf, die die Aufteilung fast aller Flächen
bestimmen, so etwa die Struktur der Fassade, das
Verhältnis von Gebetsraum zu Hof, die Lage der
Empore im Gebetsraum, den Ansatzpunkt des
Kassettendekors, die Unterteilung der Fenster-
bänder, die Position des Treppenturms im Innen-
raum, den Einschnitt des Brückenstegs in der
Fassade oder den Schwellungspunkt der Entasis.
Neben dem Brutalismus darf auch der zeit-
genössische Kirchenbau von Steinbach, Schwarz
und Eiermann, der sich in den 1950er Jahren
neben der klassischen Moderne von Gropius,
Mies und Le Corbusier etablierte, als Einfluss auf
die Bilal-Moschee gelten. Die frühen Entwürfe
der Moschee, die einen beinahe Steinbach’schen
Bau mit Backsteinelementen und sehr viel stärker
durchbrochenen Fassaden zeigen, erinnern bei-
spielsweise an St. Anna in Düren. Die Annakirche
wird gelegentlich als „Schwesterkirche“ bezeichnet,
was sich vor allen Dingen auf die nahe Bauzeit und
den gemeinsamen Baumeister Steinbach bezieht,
aber auch auf formale Gemeinsamkeiten. Auch bei
der Annakirche gibt es den hohen, geschlossenen
Baukörper, der die Bilal-Moschee charakterisiert
und der an einzelnen Stellen durch besondere
Bauteile belichtet wird: durch das Fensterband
– das bei der Bilal-Moschee ein Türband ist –,
durch kleine Kuppeln und durch Fensterschlitze.
Gemeinsam ist den beiden Bauten auch, dass die
Gestaltung der Fassade lediglich durch die Struktur
der verschiedenen Materialien erreicht wird. Auch
die Matthäuskirche in Pforzheim, die 1951–53 von
Kramers ehemaligem Lehrer Eiermann errichtet
wurde, kann als Vergleichsbau angeführt werden.
Alle Fassaden des Kirchenraums sind bis zur Trauf-
bzw. Giebelhöhe mit farbig verglasten Formsteinen
aufgemauert, die den Kassetten an den Hof-
und Gebetsraumwänden der Bilal-Moschee als
Vorbild gedient haben könnten. Die tragenden
Stahlbetonstützen sind in Sichtbeton gefertigt und
gliedern das Untergeschoss, das sich in vollständig
verglasten Fassaden mit Rahmenstrukturen öffnet –
auch hier weist die Moschee eine starke Ähnlichkeit
mit dem Kirchenbau auf.
Letztlich führten Kritikpunkte der Nutzer zu
den Umbauten und der heutigen Gestalt der Bilal-
Moschee. Hatte der Originalbau einen großen
Bezug sowohl zum klassischen Moscheebau als
auch zum zeitgenössischen christlichen Sakralbau,
ist der Bau heute in hohem Maße zu- und umge-
baut. Besonders die Überdachung des Hofs und die
Entfernung des Brunnens, der auf die Himmlischen