Die Bilal-Moschee in Aachen - page 21

21
europäischen Moderne gekennzeichnet. Der
Originalbau der Moschee hat im Erdgeschoss den
Grundriss einer klassischen arabischen Stützen-
moschee mit vorgelagertem Hof, über den der
Zugang in einen durch Stützen unterteilten Gebets-
raum möglich ist. Ein Vergleich mit dem Grund-
riss der Damaszener Omaijaden-Moschee macht
deutlich, dass nicht nur die Raumaufteilung,
sondern auch das Verhältnis von Gebetsraum zu
Hof sowie die Lage des Eingangs dem klassischen
Moscheebau entsprechen. Die fünf Stützen im
Gebetsraum sind darüber hinaus ein Symbol für
die fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis,
tägliches Gebet, Fasten im Ramadan, Pilgerfahrt
nach Mekka und Almosengeben). Die hellblau
gefasste und durchkuppelte Decke des Gebets-
raums, 1966 in einem Zeitungsartikel als
„Himmel“ beschrieben, korrespondiert mit dem
realen Himmel, der den davorliegenden Hof
bedeckt und sich in dem Wasser des Brunnens
spiegelt – ein klassisches Konzept der islamischen
Architektur. Auch die meisten üblichen Bauteile
einer Stützenmoschee lassen sich an der Bilal-
Moschee finden: das Minarett, die Gebetsnische,
die Frauenempore, Waschgelegenheiten und
der Brunnen, wobei deren Gestalt nur in Teilen
der klassischen Formensprache entspricht. Die
Platzierung der Kuppel beispielsweise erfolgt an
ungewöhnlicher Stelle, indem sie den Treppenturm
bekrönt – im klassischen Moscheebau wäre sie als
Hoheitssymbol wohl eher über dem Gebetsraum
zu finden. Ihre Form entspricht der Tradition, ihr
Material jedoch nicht. Was das Mobiliar betrifft,
so war die importierte Kanzel möglicherweise das
sichtbarste Zeichen der klassischen islamischen
Tradition in der gesamten Moschee. Ihr Aufbau und
Aufsatz sind typisch für die arabischen Kanzeln, eine
ähnliche gibt es z. B. in der Sultan-Hasan-Moschee
in Kairo. Das ästhetische Prinzip des Quadrats, das
sich vom Grundriss über die Muster der Böden
und Wanddekorationen bis zu der Form des Brun-
nens vielfach in der Bilal-Moschee wiederholt,
betont den proportions- und richtungslosen Cha-
rakter der arabischen Stützenmoscheen. Das
Festhalten an den klassischen Grundformen
stimmt mit der Steinbach’schen Überzeugung
einer architektonischen Kontinuität und seiner
Faszination für islamische Architektur überein.
Heute ist die architektonische Nähe der Moschee
zu den klassischen Stützenmoscheen größtenteils
verloren gegangen. Der Umbau des Hofs zum
Konferenzraum hat das Raumgefühl im Erdgeschoss
gravierend verändert, so dass dort nur noch der
Gebetsraum und seine Stützen auf die historischen
Vorbildmoscheen verweisen.
Möchte man die Bilal-Moschee in ihrer Archi-
tektur mit zeitgenössischen Moscheebauten ver-
gleichen, wird deutlich, wie neuartig und hete-
rogen diese Bauaufgabe in den 1960er Jahren in
Deutschland war. Andere deutsche Moscheen, die
kurz vor und nach der Bilal-Moschee in Hamburg,
Frankfurt amMainoderMünchenentstanden, setzen
ganz andere Schwerpunkte: So sind sowohl die Fazle-
Omar-Moschee in Hamburg (Fertigstellung 1957) als
auch die Nuur-Moschee in Frankfurt (Fertigstellung
1959) einfache Zweckbauten mit wenig Dekor,
die lediglich durch ihre kleinen Minarette als
Gotteshäuser gekennzeichnet werden. Die Imam-
Ali-Moschee in Hamburg dagegen (Fertigstellung
1965) ist als erster deutscher Nachkriegsmoscheebau
mit einem architektonischen Programm zu ver-
stehen – allerdings mit einem Programm, das archi-
tektonische Tradition und eine bestimmte kulturelle
Zugehörigkeit betont. Damit steht die Imam-Ali-
Moschee ganz im Gegensatz zur Bilal-Moschee, die
sich als erster deutscher Moscheebau überhaupt
künstlerisch mit der europäischen architektonischen
Moderne auseinander setzt und als regional eher
unbestimmter Moscheebau Muslimen verschiedener
Nationalitäten eine Heimat bieten will.
Der architektonische Bezug der Bilal-Moschee
auf zeitgenössische christliche Sakralbauten ist
eindeutig und auch naheliegend, bedenkt man
die künstlerische Tradition, in der sich Kramer
bewegte. Maßgebliche Bezugsbauten für die
Moschee waren dabei die zeitgenössischen Kirchen
1...,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20 22,23,24,25,26,27,28
Powered by FlippingBook