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an hätte Grund zum
Feiern gehabt an
Bord der Werder-
Sondermaschine auf
dem Weg zurück von Tiflis nach
Bremen. Aber das hart erkämpfte
1:1 bei Dynamo Tiflis hatte die
Profis, unter ihnen Rune Brat-
seth, Jonny Otten, Thomas Wol-
ter und Mirko Votava, und sogar
den Begleittross müde gemacht.
Immerhin: Nach dem 2:1-Hin-
spiel-Sieg im Weser-Stadion war
das Viertelfinale im UEFA-Pokal
erreicht.
In Reihe eins
dösten Otto Reh-
hagel und seine Gattin Beate vor
sich hin, das Werder-Präsidium
mit Dr. Franz Böhmert an der
Spitze hatte sich zur traditio-
nellen Kartenrunde zusammen-
gefunden. Die Getränke waren
ausgeschenkt, die Snacks verteilt,
auch das Kabinenpersonal hatte
sich zurückgezogen. Schläfrige
Ruhe machte sich breit. Für einen
Agentur-Journalisten die ideale
Gelegenheit, die Stunden bis zur
Landung zum Arbeiten zu nut-
zen. Der sogenannte Nachdreher
stand an. Eine Geschichte, in der
das Spiel noch einmal mit etwas
Abstand aufgearbeitet und mit
Stimmen und Reaktionen gar-
niert, eben ‚nachgedreht‘, wird.
Auf einem Gerät,
unvergleichbar
mit heutigen Laptops (für Fach-
leute: Olivetti M10, batteriebe-
trieben), stand der Einstieg in
die Story schnell. Die Georgier,
damals noch für die Sowjet-
union am Start, waren nach 31
Minuten durch Tengis Sulakwe-
lidse in Führung gegangen, be-
gleitet von einem infernalischen
Krach der 80.000 Zuschauer.
Werder drohte das Aus. Doch
ausgerechnet – Lieblingswort
vieler Journalisten – Defensiv-
Mann Thomas Schaaf erzielte
nach exakt einer Stunde den
Ausgleich und besiegelte damit
letztlich das Weiterkommen.
Die Finger flitzten
über die
Tastatur, die Story war schon
fast rund, da wurde ich aufge-
schreckt. „Kannst wohl auch
nicht schlafen, was?“ dröhnte
mir Uli Borowka ins Ohr. Mit
einem Käsebrötchen in der Hand
und einer dicken Schramme im
Gesicht blinzelte er interessiert
auf mein Display. Ich erwähnte
schon, dass wir das Jahr 1987
schrieben. Ganze sechs (!) Zei-
len des Textes waren auf einen
Blick zu erkennen.
Für Borowka
viel zu wenig, neu-
gierig ließ er sich in den freien
Sessel neben mir plumpsen:
„Jetzt will ich mal alles lesen, darf
ich?“ Er durfte, nachdem ich den
Text gespeichert und gesichert
hatte. Und der sonst so rustika-
le Verteidiger mutierte plötzlich
zum Literaten. Aufmerksam,
fast genussvoll, las er Wort für
Wort, lachte sogar einmal kurz
und hob am Ende den Daumen
– verbal, im schönsten Ruhrpott-
Deutsch: „Hasse gut gemacht!“
Wie Recht Uli hatte,
sollte ich
allerdings erst einen Tag später
erfahren. Denn bei der bis heute
beim SID gepflegten täglichen
Abdruckanalyse hatte ich die
dpa-Konkurrenz klar geschlagen,
war in mehr Zeitungen abge-
druckt. Und ich hatte damit auch
bei meinem damaligen Fußball-
Chef in der Neusser SID-Zentrale
gepunktet: Wolfgang Niersbach,
mittlerweile Präsident des Deut-
schen Fußball-Bundes.
Andreas Frank
ANDREAS FRANK
wurde 1959 in Hamburg gebo-
ren und schreibt seit 1981 für
den SID (Sport-Informations-
Dienst) über den SV Werder
Bremen und die weiteren Nord-
Clubs der Bundesliga.
Erlebnisreiche Tiflis-Reise
Andreas Frank erinnert sich an
den Siegtreffer von Thomas Schaaf (re., hier mit Oliver
Reck) und an seinen damaligen Chef beim SID, den heu-
tigen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach (Foto li.).
„Hasse gut gemacht!“
Es war
1987, und es war in 10.000 Metern Höhe – in einer
eiskalten Dezember-Nacht irgendwo über Osteuropa.
Fotos: picture-alliance
WERDER MAGAZIN 306 87
WERDER-ERINNERUNGEN
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