D
ie Werderaner trauten
ihren Augen nicht: In
Erwartung einer gefälli-
gen Story hatten sie das
Magazin ‚Stern‘ im Mai 1987 auf-
geblättert, doch die Überschrift
schlug ihnen wie eine Ohrfeige
ins Gesicht: ‚Antreten zum Abta-
keln‘ prangte dort in großen Let-
tern, gefolgt von einem dreiseiti-
gen Abgesang auf den SV Werder
und Trainer Otto Rehhagel.
Wütend machte
die Grün-Weißen
vor allem die Art und Weise, wie
der Artikel zustande gekommen
war. Für den Fototermin hatten
sie sich mächtig in Schale gewor-
fen – von der Führungsriege in
Kapitänsuniform bis zu den Spie-
lern in Matrosen-Montur. Doch
die angekündigte Werder-Wür-
digung entpuppte sich als deftige
Abrechnung, so dass sich Rehha-
gel in einem ‚kicker‘-Interview
noch Monate später in Rage re-
dete: „Dass ein Journalist zu mir
kommt, sich bei uns ‚lieb Kind‘
macht, sich hier einschleicht und
uns dann das Messer ins Kreuz
haut – das war eine Sauerei.“
Werder-Präsident
Klaus-Dieter
Fischer kann sich gut an die Situ-
ation entsinnen: „Wir haben uns
damals geschworen, dass wir das
Bild, das im ‚Stern‘ gezeichnet
wurde, korrigieren würden.“ Mit
seiner sportlichen Einschätzung
stand das Nachrichtenmagazin
nach den Abgängen von Rudi
Völler und Bruno Pezzey jedoch
nicht alleine da. ‚Bild‘-Kolumnist
Max Merkel fand wie immer
markige Worte: „Bremen ohne
Völler: Otto, das ist, als wenn
du freihändig die Tour de France
durchstehen sollst.“
Mit zwei Siegen,
zwei Remis und
ohne Gegentor startete Werder
in die Saison. Doch während
die neuformierte Defensive um
Gunnar Sauer, Uli Borowka
und Rune Bratseth bereits einen
Vorgeschmack auf ihre Rekord-
Saison gab, kam der Angriff noch
nicht richtig in Schwung. Neu-
verpflichtung Karl-Heinz Ried-
le, der an Völlers gigantischen
Fußstapfen gemessen wurde,
wartete vergeblich auf seinen
ersten Treffer. Erst als sein Team
am fünften Spieltag bei Bayer
Uerdingen in Rückstand geriet,
zündete Riedle erstmals den
Turbo – und drehte das Spiel mit
zwei Toren. Erfolgreicher war in
der ersten Saisonhälfte bereits
Sturmpartner Frank Ordenewitz,
der eine Woche später sogar drei
Tore zum 5:1-Heimsieg gegen
den VfB Stuttgart beisteuerte.
Nach 450 Tagen stand der SV
Werder endlich wieder an der
Spitze der Bundesliga.
Die erste Niederlage
sollte es
erst am neunten Spieltag beim
FC Bayern München geben. Be-
eindrucken ließ sich ‚Rehhagels
Rasselbande‘ davon nicht, sie
startete gleich die nächste Se-
rie und blieb 13 Spiele in Folge
ungeschlagen. „Wir hatten fast
keine Schwächephase“, erinnert
sich Klaus-Dieter Fischer. Am 15.
Spieltag, nur drei Tage nach dem
ersten ‚Wunder von der Weser‘
(6:2 gegen Dynamo Moskau im
Europapokal), entschieden die
Werderaner den zweiten ‚Gigan-
tenkampf‘ der Saison für sich,
diesmal gegen Verfolger 1. FC
Köln. Zwei Wochen später war-
tete die nächste Nervenprobe:
Im DFB-Pokal führten die haus-
hohen Favoriten beim VfL Wolfs-
burg schon mit 4:1, kassierten in
den letzten drei Minuten jedoch
drei Gegentore. Michael Kutzop
war bereits vom Platz geflogen,
Als Werder Kurs auf den
Titel nahm
Dass der SV Werder vor 25
Jahren den deutschen Meistertitel gewann, war eine
riesige Sensation. Ein Saisonrückblick.
Alles anders
Entgegen einer
Reportage im ‚Stern‘, die den
Untergang des SV Werder
prophezeite und für die die
Grün-Weißen als Schiffscrew
posierten (Foto unten),
erlebten Verein und Fans
eine berauschende Saison
1987/1988.
s
Foto: Metelmann Fotografie
Erfolgreiche Führungsspitze
Präsident Dr. Franz Böhmert mit Manager Willi Lemke und Thomas
Schaaf (v. li.) und mit dem damaligen Vize-Präsidenten Klaus-Dieter Fischer (Foto re.).
MAGAZIN
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