WERDER MAGAZIN Nr. 322 - page 91

Rausch
A
ls Schiedsrichter Edgar Stein-
born abpfiff, brachen bei den
Werderanern alle Dämme. Im
Sprint stürmten die Ersatzspieler
der Grün-Weißen auf den Rasen des Mün-
chener Olympiastadions, wo ihre Kollegen
soeben ihr Meisterstück abgeliefert hatten.
Rund 750 Kilometer weiter nördlich, auf
dem Bremer Domshof, brandete in diesem
Augenblick ein Jubelsturm auf, wie ihn die
Hansestadt nie zuvor erlebt hatte. 8. Mai
2004, 17.17 Uhr: Aus einem grün-weißen
Fußballtraum wird Gewissheit. Durch ei-
nen furiosen 3:1-Sieg beim großen Rivalen
FC Bayern München hatte der SV Werder
das Titelrennen endgültig für sich ent-
schieden – und den Startschuss zu einer
wochenlangen Werder-Party gegeben.
Dass die Grün-Weißen
am Ende der Sai-
son die Meisterschale in die Höhe recken
würden, hätte neun Monate zuvor kaum
jemand für möglich gehalten. Noch vor
dem Bundesliga-Start war das Team im
UI-Cup am österreichischen Vertreter FC
Pasching gescheitert. „Es roch nach Brat-
wurst und Bier“, erinnert sich Torwart
Andreas Reinke an das Hinspiel in Öster-
reich. „Das war Fußball wie er leibt und
lebt.“ Von fußballerischem Leben war
beim SV Werder allerdings wenig zu se-
hen. Einer deftigen 0:4-Auswärtsnieder-
lage folgte im Rückspiel ein dürftiges 1:1.
Das Kapitel ‚internationaler Wettbewerb‘
konnte somit zu den Akten gelegt werden.
Der missglückte Saisonauftakt
sorgte na-
turgemäß für Gesprächsstoff. Nicht zum
ersten Mal in diesem Sommer, schon zu-
vor hatte ein anderes Thema die Werder-
Gemeinde in Aufruhr versetzt. Denn
erstmals in der Vereinshistorie war die
Arbeitsbekleidung der Werder-Profis um
ein knalliges Orange erweitert worden.
Das Urteil der Fan-Szene war zwiespältig.
Während sich Traditionalisten nur schwer
mit dem ‚Papageien-Trikot‘ anfreunden
konnte, stieß der frische Farbtupfer bei an-
deren Anhängern durchaus auf Zuspruch.
Valérien Ismaël sah es pragmatisch: „Die
enge Passform war gut“, erinnert sich
Werders damaliger Neuzugang. „Wenn
uns die Gegner festgehalten haben, hat der
Schiedsrichter sofort auf Foul entschieden.“
Spätestens
mit dem Bundesligaauftakt
gab es dann spannendere Themen. Denn
Werder erwischte einen Start nach Maß
und ging in den ersten vier Spielen drei-
mal als Sieger vom Platz. Den vorläufigen
Höhepunkt markierte eine mitreißende
Offensivgala am vierten Spieltag. Der FC
Schalke 04 wurde mit 4:1 in Richtung
Gelsenkirchen verabschiedet – und die
Grün-Weißen waren erstmals in der Sai-
son 2003/2004 Tabellenführer.
Ganz Fußball-Deutschland
rieb sich ver-
wundert die Augen. Seit Thomas Schaaf
die Mannschaft 1999 übernommen hatte,
war zwar ein kontinuierlicher Fortschritt
zu beobachten. Eine derartige Leistungs-
explosion überraschte jedoch Fans und
Fachleute gleichermaßen. In der fünften
vollen Saison des Cheftrainers schienen
sich die einzelnen Akteure, die er und Ge-
schäftsführer Klaus Allofs nach und nach
an die Weser gelotst hatten, zu einem
perfekten Kollektiv zusammenzufügen.
Mannschaftskapitän Frank Baumann hielt
X
Fotos: Getty Images, imago
WERDER MAGAZIN EXTRA 3
Der Nabel der Fußballwelt
Meisterparty
im Weser-Stadion, Pokal-Party in Berlin,
Autokorso durch Bremen – die Grün-
Weißen reihten 2003/2004 einen
Gänsehautmoment an den nächsten
und sorgten für die bisher erfolgreichste
Spielzeit in Werders Vereinshistorie.
1...,81,82,83,84,85,86,87,88,89,90 92,93,94,95,96,97,98,99,100
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