WERDER MAGAZIN Nr. 322 - page 92

das Team so unauffällig wie souverän
zusammen, Fabian Ernst entwickelte mit
zehn Torvorlagen bemerkenswerte Offen-
sivqualitäten, und die Neuzugänge Rein-
ke, Ismaël und Ümit Davala erwiesen sich
auf Anhieb als Verstärkungen.
Mit einem 4:1-Erfolg
beim 1. FC Köln er-
öffnete der SV Werder einen Fußballherbst,
der in Sachen Spektakel kaum zu toppen
war. 5:3 gegen den VfL Wolfsburg, 4:2
beim SC Freiburg, 5:1 in Hannover – die
Angriffsmaschinerie kam immer besser auf
Touren, kaum ein Gegner konnte mit dem
rasanten Kombinationsspiel schritthalten.
Werder spielte nicht, Werder zelebrierte
Fußball. Angeführt von ‚Le Chef‘ Johan
Micoud, der sein Offensivensemble mit
Kreativität und Präzision von Sieg zu Sieg
dirigierte, erklommen die Grün-Weißen im
Dezember erneut die Tabellenspitze.
Nach der Winterpause
kehrte Stürmer Ail-
ton nicht nur pünktlich aus seinem Hei-
maturlaub zurück, sondern machte auch
dort weiter, wo er am Ende der Hinrunde
aufgehört hatte. Zum Rückrundenstart
traf der ‚Kugelblitz‘ gegen die Berliner
Hertha gleich doppelt – am Ende sicherte
sich der Brasilianer mit sensationellen 28
Treffern die Torjägerkanone.
Im Frühjahr
bestachen die Werderaner zu-
dem durch eine fast schon unheimliche
Nervenstärke. Im Viertelfinale des DFB-
Pokals stand die Mannschaft bei der SpVgg
Greuther Fürth unmittelbar vor dem Aus,
doch Micoud und Ivan Klasnic verwandel-
ten den 1:2-Rückstand mit zwei Toren in
der Nachspielzeit noch in ein 3:2. Auch die
folgenden Siege bei Borussia Mönchenglad-
bach und gegen den 1. FC Kaiserslautern
fielen in die Kategorie ‚Last-Minute-Coup‘.
Nach 25 Spieltagen
betrug der Vorsprung
auf den FC Bayern bereits elf Punkte, ge-
schlagen geben wollte sich der Rekord-
meister aber noch nicht. Insbesondere
Uli Hoeneß blies vor dem direkten Duell
am 32. Spieltag noch einmal zur (Verbal-)
Attacke. Man müsse die Bremer wegfegen,
forderte der Bayern-Manager, ein einfa-
ches 1:0 oder 2:1 reiche nicht. „Das ha-
ben wir natürlich dankend angenommen“,
erinnert sich Tim Borowski. „Uns war im-
mer klar: Wir geben die Antwort auf dem
Platz.“
An der Weser
näherte man sich vor dem
Nord-Süd-Gipfel langsam aber sicher dem
Ausnahmezustand. Gartenzäune und
ganze Dächer wurden in grün und weiß
gestrichen; mit Fahnen, Fan-Schals und
Trikots rüsteten sich die Bremer für den
großen Tag. Das Epizentrum des Werder-
Wahnsinns lag auf dem Domshof, wo
mehrere tausend Fans den großen Show-
down auf einer Großbildleinwand verfolg-
ten. Und was sich ab 15.30 Uhr im Mün-
chener Olympiastadion abspielte, war der
krönende Höhepunkt einer berauschen-
den Saison. Wenn sich eine Partie dieser
Epoche unwiderruflich in das kollektive
Werder-Gedächtnis eingebrannt hat, dann
wohl besagter Triumph von München.
Klasnic, Micoud, Ailton – nach nur 35 Mi-
nuten lagen die Grün-Weißen bereits 3:0
in Führung. Der Rest war Formsache.
In Bremen
machte sich schon bald nach
Abpfiff ein gewaltiger Feiertross auf den
Weg, schließlich sollten die Helden von
München am Flughafen standesgemäß
in Empfang genommen werden. Auf dem
Rollfeld ging Willi Lemke später als Zere-
monienmeister bis an die Grenze seiner
stimmlichen Belastungsfähigkeit. Mann-
schaft, Trainer und Verantwortliche ver-
sanken mit knapp 30.000 Fans im kollek-
tiven Freudentaumel.
Noch war die
erfolgreichste Saison in Wer-
ders Vereinsgeschichte aber nicht beendet.
„Ich glaube, es ist ganz normal, dass man
nach dem Gewinn der Meisterschaft et-
was nachlässt“, sagt Fabian Ernst über die
‚schöpferische Pause‘ in den letzten beiden
Bundesliga-Spielen. Zum DFB-Pokal-Finale
gegen Alemannia Aachen waren die Wer-
deraner dann aber wieder voll auf dem
Posten. Vor allem Tim Borowski, der mit
zwei Toren maßgeblich am 3:2-Finalsieg
beteiligt war, spielte zum Saisonabschluss
noch einmal groß auf.
Zurück in Bremen
ging der grün-weiße
Freudentaumel in die nächste Runde.
„Was auf dem Weg zum Rathaus abgegan-
gen ist, war unglaublich“, sagt Valérien
Ismaël. „Erst da wurde uns so richtig be-
wusst, dass wir eine ganze Stadt glücklich
und stolz gemacht haben.“ Ganz Bremen
feierte Werder, und Werder feierte Bre-
men. Die Feiertagswochen im Mai 2004
werden für immer unvergessen bleiben.
Jörn Lange
g
Fotos: Getty Images, imago, picture-alliance
4 WERDER MAGAZIN EXTRA
Das hat Bremen noch nie
erlebt
Mehr als 30.000
Fans empfingen die
Mannschaft nach der
Rückkehr aus München
am Bremer Flughafen.
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