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Gutachtliche Entscheidungen

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der Größe der Fläche, auf die das Medikament aufgetragen

wird, ferner von der Stromstärke, weil bei größerer Stärke

mehr Wirkstoff eindringen kann. In demselben Sinne be-

steht eine Abhängigkeit zur Behandlungszeit.

Aufgrund der komplexen Zusammenhänge und derVielzahl

der zu beachtenden Maßnahmen undWirkungen ist ein Be-

handlungsprotokoll erforderlich.

Als Beispiel für einen Behandlungsfehlervorwurf, der aus ei-

ner nicht hinreichend sorgfältig durchgeführten und über-

wachten Galvanisation erwachsen ist, diene folgender in der

Gutachterkommission behandelte Fall, dem die Kranken-

unterlagen eines Facharztes für Allgemeinmedizin zugrun-

de lagen. Im dargestellten Fall wurde die Leitfähigkeit

außerdem durch die verwendete heparinhaltige Salbe in ei-

nem nicht bekannten Maße beeinflusst, sodass erhöhte Auf-

merksamkeit geboten war.

Sachverhalt

Ein 44-jähriger Patient wurde unter der Annahme eines

Muskelfaserrisses elektrotherapeutisch behandelt. Am Tage

zuvor hatte er sich das rechte Knie verdreht und einen plötz-

lich einschießenden reißenden Schmerz in der rechten Wa-

de verspürt. Sonographische Zeichen vermittelten das klini-

sche Bild eines Muskelfaserrisses.

Nach einer Therapie mit Ibuprofen 800 und einer heparin-

haltigen Salbe (Thrombocutan) wurden elektrotherapeuti-

sche Anwendungen von einer Helferin durchgeführt, die in

diesem Bereich schon länger tätig war.

Laut Protokoll sind die Elektroden ordnungsgemäß ange-

legt, die Schwämme ausgewaschen und gut durchfeuchtet

worden.Die therapeutische Stromstärke wurde ermittelt, in-

dem die Stromstärke so lange erhöht wurde, bis der Patient

ein angenehmes Kribbeln verspürte. Die Strombegrenzung

lag bei 40 mA.Der Patient hatte bis zu einer Stromstärke von

25 – 30 mA nichts verspürt. Obwohl der Patient auf eine Er-

höhung der Stromstärke drängte, wurde diesem Drängen

nicht nachgegeben.

Nach dem ersten Therapieblock von 10 Minuten stellte sich

der Patient am folgenden Tag bei einem Dermatologen vor,

der im Bereich der Stromanwendung Brandblasen erkann-

te. Letztlich ergaben sich 1,5 – 2 cm große Verbrennungen im

Bereich der am Vortag angelegten Elektroden. Die obere

Verbrennung war nekrotisch (Anode), die untere weich und

aufgequollen (Kathode).

Beurteilung

Die Verletzungen legten einen Behandlungsfehler nahe. Es

hat sich eine Gefahr realisiert, deren Verwirklichung mit ge-

botener Sorgfalt hätte vermieden werden können. Das ergab

letztlich auch die von der Gutachterkommission in Auftrag

gegebene Begutachtung.

Diese ging davon aus, dass die Schwämmchen den Bedin-

gungen einer Elektrotherapie (Iontophorese) entsprachen,

aber die gewählte Stromstärke zwischen 25–30 mA nicht

vertretbar war. Offensichtlich wurde bei der Festlegung der

Stromstärke die Vorbehandlung mit heparinhaltiger Salben-

grundlage nicht berücksichtigt (Widerstandsherabset-

zung!).Über die Vorbereitung der Behandlung, zum Beispiel

Reinigung und Untersuchung der Haut, sowie über den Ver-

lauf der Therapie, nämlich die Prüfung der Haut im engen

Zeittakt, enthielt die Dokumentation keine Aufzeichnun-

gen. Daraus war zu schließen, dass gegen den Rat des Her-

stellers des verwendeten Geräts die Stromstärke nicht lang-

sam und nicht unter aufmerksamer Kontrolle der unter den

Elektroden liegenden Hautpartien erhöht und damit der

wirksamste Schutz gegenVerätzungen vernachlässigt wurde.

Wilhelm Kreysel und Ernst Jürgen Kratz

Fehlerhafte Galvanisation bei orthopädischer Therapie